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Jefri und seine Probleme waren vielleicht nur die kleinste Fußnote in der Geschichte der PEST (weniger als das, da niemand von ihm wusste), aber für Ravna Bergsndot bedeuteten diese Gespräche den einzigen Lichtblick in ihrem gegenwärtigen Leben.

Das Kind war sehr einsam, doch weniger als zuvor, glaubte sie. Sie hörte von seinem Freund Amdi, dem strengen Tyrathect und dem heldenhaften Herrn Stahl und den stolzen Klauenwesen. Ravna lachte in sich hinein, über sich selbst. Die Wände ihrer Kabine zeigten ein flaches Wandbild mit einem Dschungel. Tief im tropfnassen Dämmer lagen regelmäßige Schatten — eine Burg, in den Wurzeln eines riesigen Mangrovenbaums erbaut. Das Wandbild war berühmt; das Original war eine Analog-Arbeit von vor zweitausend Jahren gewesen. Es stellte das Leben in noch fernerer Vergangenheit dar, während der Dunklen Zeitalter auf der Nyjora. Sie und Lynne hatten einen großen Teil ihrer Kindheit damit verbracht, sich vorzustellen, sie wären in solch eine Zeit versetzt worden. Das, wo der kleine Jefri festsaß, war echt. Holzschnitzerins Halsabschneider waren keine interstellare Gefahr, doch für die Leute in seiner Umgebung waren sie ein tödlicher Schrecken. Gott sei Dank hatte Jefri die Morde nicht mit angesehen.

Es war eine wirkliche mittelalterliche Welt. Ein rauer und gnadenloser Ort, wenn auch Jefri an anständige Leute geraten war. Und der Vergleich mit der Nyjora traf nur annähernd zu. Diese Klauenwesen besaßen ein Rudelbewusstsein; sogar der alter Grondr ’Kalir war davon überrascht gewesen.

Überall in Jefris Nachrichten sah Ravna die Panik unter Stahls Leuten durchscheinen:

Herr Stahl hat mich wieder gefragt ob es irgendwie geht dass wir unser Schiff wenigstens ein bisschen fliegen lassen. Ich weiß nicht. Wir hatten fast eine Bruchlandung, denke ich. Wir brauchen Kanonen. Das würde uns retten, wenigstens bis ihr hier seid. Sie haben Armbrüste und Pfeile ganz wie damals auf der Nyjora, aber keine Kanonen. Er fragt mich, könnt ihr uns beibringen wie man Kanonen macht?

Holzschnitzerins Räuberbanden würden zurückkehren, und diesmal genügend stark, um Stahls kleines Königreich zu überrennen. Seinerzeit, als sie glaubte, der Flug der ADR würde nur vierzig Tage dauern, war ihr das nicht als besonders großes Risiko erschienen, doch jetzt… Womöglich fand Ravna bei der Ankunft Holzschnitzerins Mordtaten vollendet.

O Pham, lieber Pham. Wenn es dich jemals wirklich gegeben hat, komm bitte jetzt zurück. Pham Nuwen vom mittelalterlichen Canberra. Pham Nuwen, Kauffahrer aus dem Langsam… Was würde jemand wie du in dieser Lage tun? Hmm.

EINUNDZWANZIG

Ravna wusste, dass sich unter seiner stürmischen Oberfläche Blaustiel mindestens ebenso viel Sorgen wie sie machte. Schlimmer, er war ein Krümelkacker. Als ihn Ravna das nächste Mal nach ihrem Fortkommen fragte, wich er in technische Einzelheiten aus.

Schließlich unterbrach ihn Ravna. »Sehen Sie: Der Junge sitzt da auf etwas, was vielleicht die PEST zur Hölle schicken kann, und er hat weiter nichts als Pfeil und Bogen. Wie lange wird es dauern, bis wir da unten sind, Blaustiel?«

Blaustiel rollte nervös an der Decke hin und her. Die Skrodfahrer hatten Rückstoßdüsen — bei Schwerelosigkeit konnten sie sich geschickter bewegen als die meisten Menschen. Statt dessen benutzten sie Haftflecken und rollten an den Wänden herum. In mancher Hinsicht war das hübsch. Momentan irritierte es.

Zumindest konnten sie sich unterhalten; sie warf einen Blick quer durch die Brücke, wo Pham Nuwen saß, den Blick an den Hauptbildschirm geheftet. Wie üblich galt seine ganze Aufmerksamkeit den sich langsam weiterschiebenden Sternen. Er war unrasiert, der rötliche Bart stach leuchtend von der Haut ab; sein langes Haar fiel verfilzt und ungekämmt. Körperlich war er von seinen Verletzungen geheilt. Der Schiffsarzt hatte sogar die Muskelmasse ersetzt, die die Kommunikationsvorrichtungen des ALTEN verdrängt hatten. Pham konnte sich jetzt selbst anziehen und ernähren, doch er lebte noch immer in einer eigenen Traumwelt.

Die beiden Fahrer zwitscherten einander etwas zu. Es war Grünmuschel, die schließlich Ravnas Frage beantwortete: »Eigentlich wissen wir nicht genau, wie lange. Die Eigenschaften des Jenseits verändern sich, je tiefer wir kommen. Jeder Sprung kostet uns einen Bruchteil mehr Zeit als der vorige.«

»Das weiß ich. Wir nähern uns der Langsamen Zone. Aber das Schiff ist dafür konstruiert; es müsste leicht sein, die Verlangsamungsrate zu errechnen.«

Blaustiel streckte eine Ranke von der Decke zum Fußboden aus. Eine Sekunde lang machte er sich am selbstregulierenden Oberflächenprofil zu schaffen, dann gab seine Voderstimme ein Geräusch menschlicher Verärgerung von sich. »Normalerweise hätten Sie Recht, meine Dame Ravna. Doch in diesem besonderen Fall… Zum einen hat es den Anschein, dass die Zonen selbst in Bewegung sind.«

»Was?«

»Das ist nicht so unerhört. Kleine Verschiebungen finden ständig statt. Das ist einer der Hauptzwecke für Grundschlepper-Schiffe: die Änderungen zu verfolgen. Wir haben das Pech, mitten durch das Ungewisse Gebiet zu fliegen.«

Eigentlich hatte Ravna gewusst, dass am Boden unter ihnen eine hohe Grenzschicht-Turbulenz bestand. Sie dachte daran nur nicht in großartigen Begriffen wie ›Zonenverschiebung‹ ; ihr war auch nicht bewusst geworden, dass es ernst genug war, um Auswirkungen auf sie zu haben.

»In Ordnung. Wie schlimm kann es also werden? Um wie viel kann es unseren Flug verlangsamen?«

»O je.« Blaustiel rollte zur Wand gegenüber, er stand jetzt auf gestirntem Himmel. »Es wäre so schön, ein Minderer Skrodfahrer zu sein. So viele Probleme, die meine hohe Berufung mit sich bringt. Am liebsten stünde ich in diesem Moment tief in der Brandung und würde an Erinnerungen von einst denken.« An andere Tage in der Brandung.

Grünmuschel nahm den Faden auf: »Die Frage ist nicht: ›Die Flut, wie hoch kann sie steigen?‹ , sondern: ›Dieser Sturm, wie schlimm kann er werden?‹ Momentan ist es schlimmer als alles in dieser Region während der letzten tausend Jahre. Immerhin haben wir die lokalen Nachrichten verfolgt; die meisten stimmen darin überein, dass der Sturm seinen Höhepunkt erreicht hat. Wenn unser anderes Problem sich nicht verschlechtert, müssten wir in etwa einhundertundzwanzig Tagen am Ziel sein.«

Unser anderes Problem. Ravna schwebte zur Mitte der Brücke und schnallte sich an einem Sattel fest. »Sie meinen die Schäden, die wir beim Abflug von Relais erhalten haben. Die Ultraantriebs-Dorne, ja? Wie halten sie sich?«

»Anscheinend ziemlich gut. Wir haben nicht versucht, schneller als achtzig Prozent des vorgesehenen Maximums zu springen. Andererseits fehlen uns gute Diagnostikroutinen. Es ist denkbar, dass es ganz plötzlich zu ernsthaften Ausfällen kommt.«

»Denkbar, aber unwahrscheinlich«, warf Grünmuschel ein.

Ravna nickte. Angesichts all ihrer anderen Probleme hatte es keinen Zweck, sich über Möglichkeiten den Kopf zu zerbrechen, die sie sowieso nicht beeinflussen konnten. Auf Relais hatte das wie ein Ausflug von dreißig, vierzig Tagen ausgesehen. Jetzt… Der Junge im Brunnen musste vielleicht noch lange Zeit tapfer sein, egal, wie sehr sie es sich anders wünschte. Hmm. Also Zeit für Plan B. Zeit für etwas, wie jemand wie Pham Nuwen es vorschlagen würde. Sie stieß sich vom Boden ab und ließ sich neben Grünmuschel nieder. »Gut, wir können uns also bestenfalls auf einhundertundzwanzig Tage einstellen. Wenn der Zonensturm schlimmer wird oder wenn wir Reparaturen vornehmen lassen müssen…« Wo eigentlich? Möglicherweise wäre das nur eine Verzögerung, aber nicht unmöglich. Die umgebaute ADR sollte sogar im Unteren Jenseits repariert werden können. »Vielleicht sogar zweihundert Tage?« Sie warf Blaustiel einen Blick zu, doch er unterbrach sie nicht mit seinen üblichen Zusätzen und Einschränkungen. »Sie haben beide die Botschaften gelesen, die wir von dem Jungen erhalten. Er sagt, die Einheimischen werden in Kürze überrannt, wahrscheinlich in weniger als hundert Tagen. Irgendwie müssen wir ihm helfen…, ehe wir selbst dort sind.«