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»Bleibt weg!«, schrie er ihnen in seinem bruchstückhaften Samnorsk zu. »Gefahr! Bleibt weg!« Amdi hielt inne, doch der Zweibeiner ging weiter. Zwei Rudel Soldaten zerstreuten sich an seinem Weg. Sie hatten strikten Befehl, das Fremde niemals zu berühren. Noch eine Sekunde, und die sorgfältige Arbeit eines Jahres wäre vernichtet. Noch eine Sekunde, und Stahl könnte die Welt verlieren — alles nur wegen Dummheit und Pech.

Doch noch während seine hinteren Glieder auf den Zweibeiner einschrien, sprangen die vorderen auf einen Steinhaufen. Er zeigte auf die Teams, die aus der Grube kamen. »Tötet die Eindringlinge!«

Seine Leibwache umringte ihn von allen Seiten, während Sreck und etliche Soldaten vorbeirannten. Stahls Bewusstsein versank in dem blutigen Lärm. Das war nicht das kontrollierte Chaos der Experimente unter der Verborgenen Insel. Es war Tod aufs Geratewohl, der in alle Richtungen flog: Pfeile, Speere, Hacken. Glieder des Grabteams rannten fuchtelnd und schreiend umher. Sie hatten nicht die Spur einer Chance, aber sie töteten etliche von den anderen, ehe sie starben.

Stahl wich vor dem Durcheinander zurück, zu Jefri hin. Der Zweibeiner rannte immer noch auf ihn zu. Amdi folgte und rief etwas in Samnorsk. Ein einziges vernunftloses Teamglied, ein einziger verirrter Pfeil, und der Zweibeiner würde sterben, und alles wäre verloren. Nie in seinem Leben hatte Stahl so panisch um das Leben eines anderen gefürchtet. Er rannte auf den Menschen zu, umringte ihn. Der Zweibeiner fiel auf die Knie und fasste Stahl an einem Hals. Nur ein ganzes Leben voll Disziplin hielt Stahl davon ab, mit einer Klinge zurückzuhauen: der Fremde griff nicht an, er klammerte sich an ihn.

Das Grabteam war jetzt fast komplett tot, und Sreck hatte die überlebenden Glieder zu weit abgedrängt, als dass sie gefährlich werden konnten. Stahls Wachen umringten ihn in sicherem Abstand von nur fünf oder zehn Ellen. Amdi stand ganz zusammengedrängt da, unter dem Gedankenlärm geduckt, rief aber immer Jefri etwas zu. Stahl versuchte, sich von dem Menschen zu lösen, aber Jefri griff einfach immer wieder nach einem Hals, manchmal nach zweien gleichzeitig. Er stieß blubbernde Geräusche aus, die nicht nach Samnorsk klangen. Stahl erzitterte unter der Anspannung. Zeig nicht deinen Abscheu. Der Mensch würde ihn nicht erkennen, aber vielleicht Amdi. Jefri hatte das schon früher getan, und Stahl hatte daraus Nutzen gezogen, obgleich es ihn Überwindung kostete. Das Pfahlkind brauchte Körperkontakt, das war die Grundlage der Beziehung zwischen Amdi und Jefri. Wenn er diesem Wesen erlaubte, ihn zu berühren, musste das zu ähnlich großem Vertrauen führen. Stahl ließ einen Kopf mit Hals über den Rücken des Geschöpfs gleiten, wie er es Eltern mit Welpen in den unterirdischen Labors hatte tun sehen. Jefri umklammerte ihn fester und strich mit seinen langen ausgeprägten Pfoten über Stahls Fell. Abgesehen von dem Widerwillen, war es eine sehr seltsame Erfahrung. Normalerweise kam derart enger Kontakt mit einem anderen Wesen nur im Kampf oder beim Sex vor — und in beiden Fällen war nicht viel Platz für vernünftiges Denken. Aber bei diesem Menschen — gewiss, das Geschöpf reagierte mit offensichtlicher Intelligenz, aber es gab keine Spur von Denkgeräuschen. Man konnte zugleich denken und fühlen. Stahl biss sich auf eine Lippe, um sein Zittern zu unterdrücken. Es war…, es war wie Sex mit einem Leichnam.

Schließlich trat Jefri zurück und hielt die Hand hoch. Er sagte etwas sehr schnell, und Amdi sagte: »O Fürst Stahl, Ihr seid verletzt. Seht das Blut.« Es war etwas Rotes an den Pfoten des Menschen; Stahl schaute sich selbst an. Gewiss, ein Rumpf hatte einen Kratzer abbekommen. Er hatte es bei all der Aufregung überhaupt nicht bemerkt. Stahl wich von dem Pfahlwesen zurück und sagte zu Amdi: »Es ist nichts. Sind Jefri und du unverletzt?«

Es gab einen rasselnden Wortwechsel zwischen den Kindern, fast unverständlich für Stahl. »Uns geht es gut. Danke, dass Ihr uns beschützt habt.«

Schnelles Denken gehörte zu den Dingen, die Flenser mit seinen Messern in Stahl eingegraben hatte: »Ja. Aber es hätte niemals geschehen dürfen. Die Holzschnitzer haben sich als Arbeiter verkleidet. Ich denke, sie sind seit Tagen dabei gewesen und haben auf eine Gelegenheit gewartet, euch anzugreifen. Als wir den Schwindel entdeckten, wäre es beinahe zu spät gewesen… Ihr hättet wirklich drin bleiben sollen, als ihr den Kampf hörtet.«

Amdi ließ beschämt die Köpfe hängen und übersetzte für Jefri. »Es tut uns Leid. Wir waren aufgeregt, und d-dann dachten wir, Ihr könntet verletzt werden.«

Stahl machte tröstende Laute. Gleichzeitig schauten sich zwei von ihm die Folgen des Gemetzels an. Wo war das Weißjack, das gleich zu Beginn seinen Posten auf der Treppe verlassen hatte? Dieses Rudel würde büßen… Sein Gedankenfluss kam abrupt zum Stehen, als er es bemerkte: Tyrathect. Das Flenser-Fragment beobachtete ihn vom Versammlungssaal aus. Jetzt, da er daran dachte — das Fragment hatte zugeschaut, kaum dass der Kampf begonnen hatte. Anderen mochte seine Haltung gleichgültig erscheinen, doch Stahl konnte die grimmige Belustigung darin erkennen. Er nickte dem anderen kurz zu, doch innerlich krampfte sich Stahl zusammen: Er war so nahe dran gewesen, alles zu verlieren — und der Flenser hatte es bemerkt.

»Gut, lasst uns zusehen, dass ihr beide wieder zur Verborgenen Insel kommt.« Er gab den Betreuern ein Zeichen, die hinter dem Sternenschiff hervorgekommen waren.

»Noch nicht, Fürst Stahl!«, sagte Amdi. »Wir sind eben erst angekommen. Von Ravna müsste sehr bald eine Antwort eintreffen.«

Zähne knirschten, doch so, dass die Kinder es nicht sahen. »Ja, bleibt bitte. Aber wir werden jetzt alle vorsichtiger sein, ja?«

»Ja, ja!« Amdi erklärte es dem Menschen. Stahl stand da, Vorderpfoten auf den Schultern, und tätschelte Jefri den Kopf.

Stahl ließ Sreck die Kinder zurück in die Holzummantelung des Schiffes bringen. Bis sie außer Sicht waren, schauten ihnen alle seine Glieder mit dem Ausdruck von Stolz und Zuneigung nach. Dann wandte er sich um und ging über den rötlichen Schlamm. Wo war dieses dumme Weißjack?

Der Versammlungssaal auf dem Schiffsberg war klein und provisorisch. Er war gut genug gewesen, um während des Winters die Kälte fernzuhalten, aber für eine Besprechung von mehr als drei Leuten war er das reinste Irrenhaus. Stahl schritt an dem Flenser-Fragment vorbei und sammelte sich auf der Empore, wo er den besten Blick auf die Bauarbeiten hatte. Nach einer kurzen Höflichkeitspause trat Tyrathect ein und stieg auf die gegenüberliegende Empore.

Aber das ganze Zeremoniell war für das niedere Volk draußen bestimmt; nun zischte Flensers leises Lachen durch die Luft zu ihm herüber, gerade laut genug, dass er es hören konnte. »Lieber Stahl. Manchmal frage ich mich, ob du wirklich mein Schüler bist…, oder vielleicht ein Wechselbalg, der mir nach meiner Abreise untergeschoben worden ist. Versuchst du tatsächlich, uns zu erledigen?«

Stahl starrte zurück. Er war sich sicher, dass seine Haltung keine Unbehaglichkeit erkennen ließ; das alles hielt er innen verborgen. »Unfälle kommen vor. Der Schuldige wird zerlegt.«

»Gewiss. Aber das scheint deine Antwort auf alle Probleme zu sein. Wenn du nicht so scharf darauf gewesen wärst, die Grabteams zum Schweigen zu bringen, hätten sie vielleicht nicht gemeutert — und du hättest einen ›Unfall‹ weniger gehabt.«

»Der Schwachpunkt war, dass sie es erraten haben. Solche Hinrichtungen sind ein notwendiger Teil militärischer Bauarbeiten.«