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Die wenigen Minuten, die Josephine den schönen Goldpokal in ihren Händen gehalten hatte, waren den ganzen Schmerz wert gewesen.

6.

Hollywood war 1946 die Filmhauptstadt der Welt, ein Magnet für die Begabten, die Habgierigen, die Schönen, die Hoffnungsvollen und die Sonderbaren. Es war das Land der Palmen und Rita Hayworths und des Heiligen Tempels des Allumfassenden Geistes und Santa Anitas. Es war die Kraft, die sie über Nacht zu einem Star machte; es war ein Schwindelgeschäft, ein Bordell, ein Orangenhain, ein Schrein. Es war ein magisches Kaleidoskop, und jeder, der hineinsah, sah sein eigenes Wunschbild.

Für Toby Temple war Hollywood der Ort, für den er bestimmt war. Er kam in der Stadt mit einem Kleidersack und dreihundert Dollar in bar an und zog in eine billige Pension am Cahuenga Boulevard. Er musste schnell etwas unternehmen, ehe er pleite war. Toby wusste alles über Hollywood. Es war eine Stadt, in der man eine Fassade aufrichten musste. Toby ging in ein Herrenmodegeschäft in der Vine Street, ließ sich neu einkleiden und schlenderte mit den verbliebenen zwanzig Dollar in der Tasche in das Brown Derby, wo alle Stars zu speisen pflegten. Die Wände waren mit Karikaturen der berühmtesten Schauspieler Hollywoods bedeckt. Toby konnte den Pulsschlag des Showgeschäfts fühlen, die Macht in dem Raum spüren. Er sah die Empfangsdame auf sich zukommen. Sie war Anfang Zwanzig, rothaarig und sehr hübsch und hatte eine großartige Figur. Sie lächelte Toby fragend an. »Kann ich etwas für Sie tun?« Toby konnte nicht widerstehen. Er griff mit beiden Händen zu und packte ihre reifen, melonenförmigen Brüste. Ein Ausdruck des Entsetzens trat auf ihr Gesicht. Als sie den Mund öffnete, um zu schreien, ließ Toby seine Augen glasig-starr werden und sagte schüchtern: »Entschuldigen Sie, Miss – ich bin blind.«

»Oh, das tut mir leid!« Sie war zerknirscht über ihre Unterstellung und empfand Mitleid. Sie führte Toby am Arm an einen Tisch, war ihm beim Platznehmen behilflich und nahm seine Bestellung entgegen. Als sie einige Augenblicke später wieder an seinen Tisch kam und ihn dabei ertappte, wie er sich die Bilder an der Wand betrachtete, strahlte Toby sie an und sagte: »Es ist ein Wunder! Ich kann wieder sehen!«

Er war so unschuldig-komisch, dass sie lachen musste. Sie lachte die ganze Zeit während des gemeinsamen Dinners über Tobys Witze, auch später noch im Bett.

Toby nahm in und um Hollywood Gelegenheitsarbeiten an, weil diese ihn mit dem Showgeschäft in Berührung brachten. Er bewachte den Parkplatz bei Giro, und wenn die Berühmtheiten vorfuhren, öffnete Toby den Wagenschlag mit einem freundlichen Lächeln und einer passenden Bemerkung. Sie nahmen keine Notiz von ihm. Er war nur ein kleiner Parkplatzwächter, und sie registrierten nicht einmal, dass er existierte. Toby beobachtete die schönen Mädchen, wenn sie in ihren teuren, enganliegenden Kleidern aus den Wagen stiegen, und er dachte: Wenn ihr nur wüsstet, was für ein großer Star ich einmal sein werde, würdet ihr allen diesen Kriechern den Laufpass geben.

Toby putzte die Klinken bei den Agenten, aber er merkte schnell, dass er seine Zeit vergeudete. Die Agenten krochen nur den Stars hinten rein. Man durfte sich nicht um sie bemühen. Sie selbst mussten einen entdecken. Der Name, den Toby am häufigsten hörte, war Clifton Lawrence. Er gab sich nur mit den größten Talenten ab und machte die unglaublichsten Abschlüsse. Eines Tages, dachte Toby, wird Clifton Lawrence mein Agent sein.

Toby abonnierte die beiden Bibeln des Showgeschäfts: Daily Variety und den Hollywood Reporter. Er kam sich wie ein Eingeweihter vor. Fo-rever Amber war von Twentieth Century-Fox gekauft worden, und Otto Preminger würde Regie führen. Ava Gardner hatte zugesagt, in Whistle Stop neben George Raft und Jorja Curtright die Hauptrolle zu übernehmen, und Life with Father war von Warner Brothers gekauft worden. Dann sah Toby eine Notiz, die seinen Puls schneller schlagen ließ: »Produktionsleiter Sam Winters wurde zum Vizepräsidenten der Produktionsabteilung der Pan-Pacific-Studios ernannt.«

7.

Als Sam Winters nach dem Krieg nach Hause zurückkehrte, wartete sein Job in den Pan-Pacific-Studios auf ihn. Sechs Monate später gab es einen Riesenkrach. Der Leiter des Studios wurde gefeuert, und Sam wurde gebeten, seinen Posten zu übernehmen, bis ein neuer Produktionsleiter gefunden werden konnte. Sam machte seine Sache so gut, dass die Suche eingestellt wurde und er offiziell zum Vizepräsidenten der Produktionsabteilung ernannt wurde. Es war ein nervenaufreibender, Magengeschwüre verursachender Job, aber Sam liebte ihn mehr als alles in der Welt.

Hollywood war ein Zirkus mit drei Manegen, voll von wilden, geisteskranken Charakteren, ein Minenfeld mit einer Horde darüber hinwegtanzender Idioten. Die meisten Schauspieler, Regisseure und Produzenten waren egozentrische Größenwahnsinnige, undankbar, lasterhaft und destruktiv. Aber für Sam spielte nur Talent eine Rolle. Talent war der magische Schlüssel.

Sams Bürotür ging auf, und Lucille Elkins, seine Sekretärin, kam mit der soeben geöffneten Post herein. Lucille gehörte zum festen Inventar, eine der Zuverlässigen, die immer dableiben und ihre Chefs kommen und gehen sehen.

»Clifton Lawrence möchte Sie sprechen«, sagte Lucille.

»Bitten Sie ihn herein.«

Sam mochte Lawrence. Er hatte Lebensart. Fred Allan hatte gesagt: »Die ganze Aufrichtigkeit in Hollywood könnte im Nabel einer Stechmücke untergebracht werden, und dann wäre immer noch Platz für vier Kümmelkörner und das Herz eines Agenten.«

Cliff Lawrence war ehrlicher als die meisten Agenten. Er war in Hollywood bereits Legende, und seine Klientenliste war das Who is Who auf dem Unterhaltungssektor. Er hatte ein Ein-Mann-Büro und war dauernd unterwegs, kümmerte sich um seine Klienten in London, in der Schweiz, in Rom und New York. Er war eng mit allen wichtigen HollywoodDirektoren befreundet und nahm an einer wöchentlichen Geheimsitzung teil, zu der sich auch die Produktionsleiter von drei Studios einfanden. Zweimal im Jahr charterte Lawrence eine Jacht, gewann ein halbes Dutzend schöner »Modelle« und lud die leitenden Direktoren der wichtigsten Studios zu einem einwöchigen »Angeltrip« ein. Clifton Lawrence besaß ein Strandhaus in Malibu, dessen Vorratsschränke stets gefüllt waren und das seinen Freunden zur Verfügung stand, wann immer sie es benutzen wollten. Das Verhältnis Clifton – Hollywood glich einer Symbiose, und jeder profitierte davon.

Sam beobachtete, wie sich die Tür öffnete und Lawrence in einem eleganten Maßanzug hereinstürzte. Er ging auf Sam zu, streckte eine tadellos manikürte Hand aus und sagte: »Wollte Ihnen bloß schnell guten Tag sagen. Wie geht's, lieber Junge?«

»Ich will mich mal so ausdrücken«, sagte Sam. »Wenn Tage Schiffe wären, wäre heute die Titanic.«

Clifton Lawrence schnalzte bedauernd.

»Wie hat Ihnen die gestrige Probevorführung gefallen?« fragte Sam.

»Kürzen Sie die ersten zwanzig Minuten und drehen Sie einen neuen Schluss, und Sie werden einen Riesenerfolg haben.«

»Den Nagel auf den Kopf getroffen«, lächelte Sam. »Genau das tun wir. Irgendwelche Klienten, die Sie mir heute verkaufen können?«

Lawrence grinste. »Tut mir leid. Sie sind alle beschäftigt.«

Und das stimmte. Clifton Lawrences erstklassige Stars und die wenigen Regisseure und Produzenten waren immer gefragt.

»Wiedersehen zum Dinner am Freitag, Sam«, sagte Clifton. »Ciao.« Er wandte sich um und ging.

Lucilles Stimme kam über die Sprechanlage. »Dallas Burke ist hier.«

»Schicken Sie ihn herein.«

»Und Mel Foss würde Sie gerne sprechen. Er sagte, es sei dringend.«

Mel Foss war der Leiter der Fernseh-Abteilung von Pan-Pacific-Studios.

Sam blickte auf seinen Terminkalender. »Sagen Sie ihm bitte, er soll morgen zum Frühstück kommen. Acht Uhr. In der Polo Lounge.«