Im Vorzimmer läutete das Telefon, und Lucille hob ab. »Mr. Winters' Büro.«
Eine unbekannte Stimme sagte: »Hallo. Ist der große Boss da?«
»Wer ist dort, bitte?«
»Sagen Sie ihm, ein alter Kamerad möchte ihn sprechen – Toby
Temple. Wir waren zusammen in der Armee. Er hat mich eingeladen,
ihn zu besuchen, wenn ich je nach Hollywood kommen sollte. Und hier bin ich.«
»Er ist in einer Konferenz, Mr. Temple. Könnte er zurückrufen?« »Klar.« Er nannte seine Telefonnummer, und Lucille warf sie in den
Papierkorb. Es war nicht das erste Mal, dass jemand die alte Masche mit dem Armee-Kameraden bei ihr versucht hatte.
Dallas Burke war als Regisseur einer der Wegbereiter der Filmindustrie. Burkes Filme wurden in jedem College gezeigt, an dem Filmkurse stattfanden. Von seinen früheren Filmen galt ein halbes Dutzend als Klassiker, und jedes seiner Werke konnte mindestens brillant und fortschrittlich genannt werden. Burke war jetzt Ende Siebzig, und seine wuchtige Gestalt war geschrumpft, so dass sein Anzug schlotternd an ihm herunterhing.
»Es ist schön, Sie wiederzusehen, Dallas«, sagte Sam, als der alte Mann das Büro betrat.
»Nett, Sie zu sehen, Kid.« Er wies auf seinen Begleiter. »Kennen Sie meinen Agenten?«
»Klar. Wie geht es Ihnen, Peter?«
Sie setzten sich.
»Wie ich höre, haben Sie eine Story für mich«, sagte Sam zu Dallas Burke.
»Sie ist einmalig.« Die Stimme des alten Mannes zitterte vor Aufregung.
»Ich bin begierig, sie zu hören, Dallas«, sagte Sam. »Schießen Sie los.«
Dallas Burke beugte sich vor und begann: »Woran ist jeder auf der Welt am meisten interessiert, Kid? An Liebe – stimmt's? Und diese Geschichte handelt von der heiligsten Art der Liebe, die es gibt – der Liebe einer Mutter zu ihrem Kind.« Seine Stimme wurde immer kräftiger, je weiter er sich in seine Geschichte vertiefte. »Wir beginnen in Long Island mit einem neunzehnjährigen Mädchen, das als Sekretärin bei einer reichen Familie arbeitet. Alter Geldadel. Gibt uns einen guten Aufhänger für einen raffinierten Hintergrund – wissen Sie, was ich meine? HighSociety-Quatsch. Der Mann, bei dem sie arbeitet, ist mit einer geizigen Blaublütigen verheiratet. Er mag seine Sekretärin, und sie mag ihn, obgleich er viel älter ist als sie.«
Sam hörte nur mit halbem Ohr zu. Es spielte keine Rolle, ob die Story eine Wiederholung von Back Street oder von Imitation of Life sein würde, Sam würde sie in jedem Fall kaufen. Es war beinahe zwanzig Jahre her, seit Dallas Burke seinen letzten Regieauftrag erhalten hatte. Doch Sam konnte der Industrie keinen Vorwurf daraus machen. Burkes letzte drei Filme waren teuer, altmodisch und alles andere als Kassenerfolge gewesen. Dallas Burke war als Filmemacher für immer passe. Aber er war ein Mensch und lebte noch, und irgendwie musste man sich seiner annehmen, weil er keinen Cent gespart hatte. Ihm war ein Zimmer im Altersheim der Filmschaffenden angeboten worden, aber er hatte das empört abgelehnt. »Ich will nicht euer gottverdammtes Almosen!« hatte er gebrüllt. »Ihr redet mit dem Mann, der mit Doug Fairbanks und Jack Barry-more und Milton Sills und Bill Farnum gearbeitet hat. Ich bin ein Riese, ihr winzigen Bastarde!«
Und das war er auch. Er war eine Legende; aber selbst Legenden müssen essen.
Als Sam Produzent geworden war, hatte er einen befreundeten Agenten angerufen und ihn gebeten, Dallas Burke mit einer Idee für eine FilmStory zu ihm zu bringen. Seit der Zeit hatte Sam jedes Jahr unbrauchbare Geschichten von Dallas Burke für genügend Geld gekauft, damit der alte Mann leben konnte, und während Sam bei der Armee war, hatte er dafür gesorgt, dass die Vereinbarung weiterlief.
»… so dass also«, sagte Dallas Burke, »das Kind aufwächst, ohne seine Mutter zu kennen. Aber die Mutter verfolgt den Lebensweg des Kindes. Am Schluss, als die Tochter diesen reichen Doktor heiratet, gibt es eine Riesenhochzeit. Und können Sie sich den Knalleffekt denken, Sam? Hören Sie sich das an – es ist einmalig. Die Mutter wird nicht eingelassen! Sie muss sich heimlich durch den Hintereingang in die Kirche schleichen, um die Trauung ihres einzigen Kindes mitzuerleben. Da bleibt im Publikum kein Auge trocken…
Das war's. Was halten Sie davon?«
Sam hatte falsch geraten. Stella Dallas. Er warf dem Agenten einen Blick zu; der wich seinen Augen aus und sah verlegen auf die Spitzen seiner teuren Schuhe hinunter.
»Es ist großartig«, sagte Sam. »Es ist genau das, was wir suchen.« Sam wandte sich an den Agenten. »Rufen Sie die Geschäftsleitung an und arbeiten Sie einen Vertrag mit denen aus, Peter. Ich werde Ihren Anruf dort ankündigen.«
Der Agent nickte.
»Machen Sie ihnen klar, dass sie ein hübsches Sümmchen hinblättern müssen, oder ich biete es Warner Brothers an«, sagte Dallas Burke. »Ich gebe Ihnen die Option darauf, weil wir Freunde sind.«
»Ich weiß das zu schätzen«, erwiderte Sam.
Er blickte den beiden Männern nach. Er wusste genau, dass er eigentlich kein Recht hatte, das Geld der Gesellschaft für eine derartige sentimentale Geste auszugeben. Aber die Filmwirtschaft verdankte Männern wie Dallas Burke einiges – ohne ihn und seinesgleichen wäre sie nie eine Industrie geworden.
Um acht Uhr am nächsten Morgen fuhr Sam Winters vor dem Beverly Hills vor. Ein paar Minuten später schlängelte er sich durch die Menge in der Polo Lounge, nickte Freunden, Bekannten und Konkurrenten zu. In diesem Raum wurden beim Frühstück, Lunch oder bei Cocktails mehr Geschäfte abgeschlossen als in allen Studiobüros zusammen. Mel Foss blickte auf, als Sam sich näherte.
»Morgen, Sam.«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, und Sam glitt in die Nische Foss gegenüber. Vor acht Monaten hatte Sam Mel Foss als Leiter der Femseh-Abteilung von Pan-Pacific-Studios eingestellt. Fernsehen war das jüngste Kind der Unterhaltungsbranche, und es entwickelte sich mit unglaublicher Schnelligkeit. Alle Studios, die einmal verächtlich auf das Fernsehen herabgeblickt hatten, waren jetzt beteiligt.
Die Kellnerin kam, um ihre Bestellungen entgegenzunehmen, und als sie gegangen war, fragte Sam: »Was gibt's Gutes, Mel?«
Mel Foss schüttelte den Kopf. »Nichts Gutes«, sagte er. »Wir stecken in Schwierigkeiten.«
Sam wartete schweigend.
»Wir werden die >Raiders< nicht weiterproduzieren.«
Sam sah ihn überrascht an. »Die Bewertungsquoten sind großartig. Warum sollte die Fernsehgesellschaft die Sache annullieren wollen? Sie ist gut genug, um ein Hit zu werden.«
»Es geht nicht um die Show«, sagte Foss. »Es geht um Jack Nolan.« Jack Nolan war der Star der »Raiders«. Er hatte auf Anhieb sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum Erfolg gehabt.
»Was ist denn los mit ihm?« fragte Sam. Er hasste es, dass man Mel Foss jede Information aus der Nase ziehen musste.
»Haben Sie die letzte Ausgabe von Peek Magazine gelesen?«
»Ich lese es überhaupt nicht. Der reine Mülleimer.« Plötzlich wusste er, was Foss meinte. »Sie haben Nolan erwischt!«
»Schwarz auf weiß«, erwiderte Foss. »Der blöde Kerl hat sein schönstes Spitzenkleid angezogen und ist zu einer Party gegangen. Jemand hat ihn fotografiert.«
»Wie schlimm steht es?«
»Könnte nicht schlimmer sein. Ich habe gestern ein Dutzend Anrufe von der Fernsehgesellschaft bekommen. Die Geldgeber und die Gesellschaft wollen aussteigen. Keiner will mit einem Schwulen in Verbindung gebracht werden.«
»Einem Transvestiten«, sagte Sam. Er hatte sich fest darauf verlassen, der Direktorenkonferenz in New York nächsten Monat einen beeindruckenden Fernsehbericht vorlegen zu können. Die Nachricht von Foss machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Der Verlust der »Raiders« würde ein schwerer Schlag sein.
Es sei denn – er könnte etwas tun.