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Toby zwinkerte der Vorzimmerdame zu, holte tief Atem und betrat Mrs. Tanners Büro.

Alice Tanner war eine dunkelhaarige Frau mit einem anziehenden, aristokratischen Gesicht. Sie schien Mitte Dreißig zu sein, etwa zehn Jahre älter als Toby. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch, doch was Toby von ihrer Figur sehen konnte, war sensationell. Hier könnte es mir gefallen, stellte er fest.

Er lächelte gewinnend und sagte: »Ich bin Toby Temple.«

Alice Tanner stand auf und ging ihm entgegen. Ihr linkes Bein war von einer schweren Metallstütze umschlossen, und sie hinkte mit dem geübten, wiegenden Gang eines Menschen, der seit langem damit lebte.

Kinderlähmung, dachte Toby. Er war nicht sicher, ob er etwas dazu sagen sollte.

»Also, Sie wollen sich in unsere Kurse einschreiben lassen?«

»Sehr gern«, sagte Toby.

»Darf ich fragen, warum?«

Er bemühte sich, aufrichtig zu klingen: »Weil, wo immer ich hinkomme, Mrs. Tanner, die Leute über Ihre Schule und die wundervollen Stücke reden, die Sie herausbringen. Ich wette, Sie haben keine Ahnung, welchen Ruf Ihre Schule hat.«

Sie sah ihn einen Augenblick prüfend an. »Ich habe schon eine Ahnung. Deshalb muss ich auch besonders darauf achten, Schwindler rauszuhalten.«

Toby fühlte, dass er errötete, setzte aber ein jungenhaftes Lächeln

auf und sagte: »Das kann ich mir vorstellen. Bestimmt versuchen viele, sich bei Ihnen einzuschleichen.«

»Nicht wenige«, stimmte Mrs. Tanner zu. Sie warf einen Blick auf die Karte, die sie in der Hand hielt. »Toby Temple.«

»Wahrscheinlich haben Sie den Namen noch nicht gehört«, erklärte er, »weil ich die letzten zwei Jahre in -«

»Auf Repertoirebühnen in England spielte.«

Er nickte. »Richtig.«

Alice Tanner blickte ihn an und sagte ruhig: »Mr. Temple, Amerikaner dürfen nicht in englischen Repertoiretheatern spielen. Die Berufsgenossenschaft der britischen Schauspieler lässt das nicht zu.«

Toby spürte ein plötzliches Schwächegefühl in der Magengrube.

»Sie hätten sich zuerst informieren und uns beiden die Peinlichkeit ersparen sollen. Tut mir leid, aber wir nehmen hier nur Berufstalente auf.« Sie drehte sich um. Die Unterredung war beendet.

»Halt!« Seine Stimme war wie ein Peitschenschlag.

Sie drehte sich erstaunt um. In diesem Augenblick hatte Toby noch keine Ahnung, was er sagen oder tun würde. Er wusste nur, dass seine gesamte Zukunft in der Schwebe hing. Diese Frau war der Schlüssel zu allem, was er wollte, zu allem, wofür er geschuftet und geschwitzt hatte, und er würde sich durch sie nicht aufhalten lassen.

»Sie beurteilen Talente nicht nach Regeln, Lady! Okay – ich bin also nicht aufgetreten. Und warum nicht? Weil Leute wie Sie mir keine Chance geben wollen. Verstehen Sie, was ich meine?« Es war die Stimme von W. C. Fields.

Alice Tanner öffnete den Mund, um ihn zu unterbrechen, aber Toby gab ihr keine Gelegenheit dazu. Er war Jimmy Cagney, der ihr riet, dem armen Kerl eine Chance zu geben, und James Stewart, der ganz seiner Meinung war, und Clark Gable, der sagte, er sehne sich danach, mit dem

Jungen zu arbeiten, und Cary Grant, der hinzufügte, er fände den Jungen brillant. Eine Menge Hollywood-Stars gaben sich hier ein Stelldichein, und sie sagten alle komische Dinge, Sachen, an die Toby Temple nie zuvor gedacht hatte. Die Worte, die Witze strömten in einem Anfall von Verzweiflung aus ihm hervor. Er war ein Ertrinkender in der Finsternis seiner eigenen Vergessenheit, der sich an ein Rettungsfloß von Worten klammerte, und die Worte waren das einzige, was ihn über Wasser hielt. Er war schweißüberströmt, rannte im Zimmer umher und imitierte die Bewegungen jeder Person, die er reden ließ. Er war wie wahnsinnig, völlig außer sich, vergaß, wo er war und weshalb er hier war, bis er Alice Tanner sagen hörte: »Hören Sie auf! Hören Sie auf!«

Sie lachte Tränen, sie rannen ihr das Gesicht hinunter.

»Hören Sie auf!« wiederholte sie, nach Atem ringend.

Und langsam kehrte Toby wieder zur Erde zurück. Mrs. Tanner wischte sich mit einem Taschentuch die Augen.

»Sie – Sie sind verrückt«, sagte sie. »Wissen Sie das?«

Toby starrte sie an, ein Gefühl des Stolzes nahm langsam von ihm Besitz, hob ihn auf eine Woge der Begeisterung. »Es hat Ihnen gefallen -hm?«

Alice Tanner schüttelte den Kopf, holte tief Atem, um ihr Lachen zu bändigen, und sagte: »Nicht – nicht sehr.«

Toby sah sie hasserfüllt an. Sie hatte über ihn gelacht, nicht mit ihm. Er hatte sich blamiert.

»Worüber haben Sie dann gelacht?« wollte Toby wissen.

Sie lächelte und sagte ruhig: »Über Sie. Das war die tollste Vorführung, die ich je gesehen habe. Irgendwo hinter all diesen Filmstars steckt ein junger Mann mit einer großen Begabung. Sie brauchen nicht andere Leute zu imitieren. Sie sind von Natur aus komisch.«

Toby fühlte, wie sein Zorn abebbte.

»Ich glaube, dass Sie eines Tages wirklich gut sein könnten, wenn Sie den Willen haben, ernsthaft zu arbeiten. Wollen Sie das?«

Er lächelte sie selig an und sagte: »Krempeln wir die Ärmel hoch und gehen wir an die Arbeit.«

Josephine arbeitete am Sonnabend vormittag schwer; sie half ihrer Mutter beim Hausputz. Um 12 Uhr holten Cissy und einige andere Freundinnen sie zu einer Landpartie ab.

Mrs. Czinski blickte ]osephine nach, wie sie in der großen Limousine zusammen mit den Kindern der Öl-Leute davonfuhr. Sie dachte: Eines Tages wird Josephine etwas Schlimmes zustoßen. Ich sollte sie nicht mit diesen Leuten verkehren lassen. Sie sind die Kinder des Teufels. Und sie fragte sich, ob auch in Josephine ein Teufel steckte. Sie würde mit Reverend Damian sprechen. Er würde wissen, was zu tun war.

9.

Actors West bestand aus zwei Abteilungen: der Schaukastengruppe, die die erfahreneren Schauspieler in sich vereinigte, und der Werkstattgruppe. Es waren die Schauspieler des Schaukastens, die jene Stücke aufführten, welche sich die Talentsucher der Studios ansahen. Toby war der Werkstattgruppe zugeteilt worden. Alice Tanner hatte ihm gesagt, dass es ein halbes oder ein ganzes Jahr dauern würde, ehe er soweit wäre, in einer Schaukastenaufführung mitzuwirken.

Toby fand den Unterricht interessant, aber ein entscheidender Bestandteil fehlte: das Publikum, die Lacher, die Menschen, die ihm Beifall spenden, die ihn lieben würden.

Seit Toby am Unterricht teilnahm – inzwischen waren einige Wochen vergangen -, hatte er die Leiterin der Schule sehr wenig gesehen. Gelegentlich kam sie in das Werkstatt-Theater, um die Improvisationen zu begutachten und ein ermutigendes Wort zu sagen, oder er begegnete ihr, wenn er zu seinem Kurs ging. Aber er hatte gehofft, es würde sich ein intimerer Kontakt ergeben. Er merkte, dass er ziemlich viel an Alice Tanner dachte. Sie war, was Toby eine Klassefrau nannte, also genau das, was er brauchte und, seiner Meinung nach, auch verdiente. Der Gedanke an ihr verkrüppeltes Bein hatte ihn zuerst gestört, aber allmählich übte es eine sexuelle Faszination auf ihn aus.

Toby sprach sie bei der nächsten Gelegenheit erneut auf seine Mitwirkung in einer Schaukastenaufführung an, wo die Kritiker und Talentsucher ihn sehen könnten.

»Sie sind noch nicht soweit«, antwortete Alice Tanner.

Sie stand ihm im Weg, hielt ihn vom Erfolg fern. Ich muss etwas unternehmen, entschied Toby.

Ein Schaukasten-Stück gelangte zur Aufführung, und am Premierenabend saß Toby in einer der mittleren Reihen neben einer Studentin namens Karen, einer dicken kleinen Charakterdarstellerin aus seinem Kurs. Toby hatte schon Szenen mit Karen gespielt und wusste zwei Dinge von ihr: sie trug nie Unterwäsche, und sie hatte einen

Mundgeruch. Sie hatte beinahe alles versucht, um Toby klarzumachen, dass sie mit ihm ins Bett gehen wollte, aber er hatte so getan, als kapierte er nicht. Jesus, dachte er, mit ihr zu schlafen wäre so ähnlich, wie in ein Fass mit heißem Schweineschmalz einzutauchen.