»Ich werde es nicht tun«, sagte Sam.
»Tun Sie, was Sie wollen. Aber ich gebe Ihnen gratis und franko einen Rat: Es ist der einzige Weg, diesen Film jemals zu Ende zu führen.«
Sam telefonierte mit Barry Herman. »Sagen Sie Tessie, dass Ralph Dastin seine Mitarbeit gekündigt hat«, sagte Sam.
»Sie wird erfreut sein, das zu hören.«
Sam knirschte mit den Zähnen und fragte dann: »Hat sie vielleicht schon einen Vorschlag, wer die Regie übernehmen könnte?«
»Ja, den hat sie«, sagte Herman ruhig. »Tessie hat ein sehr begabtes junges Mädchen entdeckt, das sie für geeignet hält. Unter der Führung eines Mannes, der so ausgezeichnet ist wie Sie, Sam -«
»Sparen Sie sich diesen Quatsch«, sagte Sam. »Ist das ihr letztes Wort?«
»Ich fürchte ja, Sam. Tut mir leid.«
Barbara Carter hatte ein hübsches Gesicht, eine gute Figur und war, soweit Sam es beurteilen konnte, vollkommen feminin. Er beobachtete sie, wie sie auf der Ledercouch in seinem Büro Platz nahm und ihre langen, gut geformten Beine übereinanderschlug. Als sie sprach, klang ihre Stimme etwas rauh, aber das rührte vielleicht daher, dass Sam nach irgendeinem Anzeichen suchte. Sie sah ihn prüfend aus sanften grauen Augen an und sagte: »Ich scheine in einer furchtbaren Klemme zu stecken, Mr. Winters. Ich hatte nicht die Absicht, jemanden zu verdrängen. Und doch« – sie hob hilflos die Hände – »sagt Miss Brand, dass sie den Film einfach nicht machen will, wenn ich nicht Regie führe. Was soll ich tun?«
Einen Augenblick war Sam versucht, es ihr zu sagen. Statt dessen fragte er: »Haben Sie Erfahrungen in der Filmbranche – außer, dass Sie Kostümbildnerin sind?«
»Ich war Platzanweiserin, und ich habe eine Menge Filme gesehen.«
Entsetzlich! »Was veranlasst Miss Brand zu der Annahme, dass Sie Regie führen können?«
Als hätte Sam Schleusentore geöffnet, brach es aus Barbara hervor: »Tessie und ich haben viel über diesen Film geredet.« Nicht mehr »Miss Brand«, bemerkte Sam. »Ich bin der Meinung, dass eine Menge an dem Drehbuch falsch ist, und sie stimmte mir zu.«
»Glauben Sie, dass Sie besser wissen, wie man ein Drehbuch schreibt, als ein preisgekrönter Schriftsteller, der ein halbes Dutzend erfolgreiche Filme und Broadway-Stücke geschrieben hat?«
»Durchaus nicht, Mr. Winters! Ich meine nur, dass ich mehr von Frauen verstehe.«
Die grauen Augen blickten jetzt härter, die Stimme klang etwas schärfer. »Finden Sie es nicht lächerlich, dass immer nur Männer Frauenrollen schreiben? Nur wir wissen genau, was wir empfinden. Sehen Sie das nicht ein?«
Sam hatte das Spiel satt. Er wusste, dass er sie verpflichten würde, und er hasste sich dafür, aber schließlich leitete er ein Studio, und es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Filme gemacht wurden. Wenn Tessie Brand wollte, dass ihr Schoßkind bei diesem Film Regie führte, würde Sam sonstwas tun. Ein Tessie-Brand-Film konnte leicht zwanzig bis dreißig Millionen Dollar einspielen. Außerdem konnte Barbara Carter kaum noch großen Schaden anrichten. Jetzt nicht mehr. Die Dreharbeiten standen zu dicht bevor, als dass noch größere Änderungen gemacht werden konnten.
»Sie haben mich überzeugt«, sagte Sam spöttisch. »Sie haben den Job. Ich gratuliere.«
Am nächsten Morgen verkündeten der Hollywood Reporter und Variety auf den ersten Seiten, dass Barbara Carter die Regie des neuen Tessie-Brand-Films übernommen habe. Als Sam die Zeitungen in seinen Papierkorb werfen wollte, fiel ihm eine kleine Nachricht unten auf der Seite ins Auge:
»TOBY TEMPLE FÜR DAS TAHOE HOTEL VERPFLICHTET.«
Toby Temple. Sam erinnerte sich an den eifrigen jungen Komiker in Uniform, und die Erinnerung zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Sam nahm sich vor, sich Temple anzuschauen, sollte er je in dieser Stadt spielen.
Er fragte sich, weshalb Temple sich nie mit ihm in Verbindung gesetzt hatte.
13.
Seltsamerweise war es Millie, die für Toby Temples Aufstieg zum Star verantwortlich war. Vor ihrer Heirat war er nur ein rühriger, tüchtiger Komiker, einer von Dutzenden gewesen. Seit der Heirat war etwas Neues hinzugekommen: Hass. Toby war zur Ehe mit einem Mädchen gezwungen worden, das er verachtete, und ihn beherrschte kalte Wut.
Obgleich Toby es nicht merkte, war Millie eine wunderbare, hingebungsvolle Ehefrau. Sie betete ihn an und tat alles, was sie konnte, um ihm zu gefallen. Sie tapezierte und richtete das Haus in Benedict Canyon ein und machte ein wahres Schmuckstück daraus. Aber je mehr Millie versuchte, Toby zu gefallen, desto mehr hasste er sie. Er war stets äußerst höflich zu ihr, achtete darauf, dass er nichts tat oder sagte, was sie dazu veranlassen konnte, sich bei AI Caruso zu beschweren. So lange er lebte, würde Toby den entsetzlichen Schmerz in seinem Arm nicht vergessen und nicht den Anblick von Al Caruso, als er sagte: »Wenn Sie Millie jemals kränken…«
Weil Toby sich nicht an seiner Frau rächen konnte, richtete er seine Wut gegen sein Publikum. Jeder, der mit Geschirr klapperte oder aufstand, um zur Toilette zu gehen, oder zu reden wagte, während Toby auf der Bühne stand, war sofort einer wilden Schimpfkanonade ausgesetzt. Toby machte das mit einem so unschuldigen, naiven Charme, dass das Publikum entzückt war, und wenn Toby ein hilfloses Opfer fertigmachte, lachten die Leute, bis ihnen die Tränen kamen. Sein unschuldiges, argloses Gesicht und seine bösartige, komische Zunge - diese Mischung machte ihn unwiderstehlich. Er konnte die abscheulichsten Dinge sagen und ungestraft davonkommen. Es galt als Auszeichnung, für eine Schimpfkanonade von Toby Temple ausgewählt zu werden. Es kam seinen Opfern nie in den Sinn, dass Toby jedes Wort ernst meinte. War
Toby vorher nur einer von zahlreichen jungen, vielversprechenden Komikern gewesen, wurde er jetzt zum Gesprächsthema im Showgeschäft.
Als Clifton Lawrence aus Europa zurückkehrte, war er verblüfft zu hören, dass Toby ein Showgirl geheiratet hatte. Es schien nicht zu ihm zu passen, aber als er Toby danach fragte, blickte der ihn an und sagte: »Was gibt's da zu erzählen, Cliff? Ich lernte Millie kennen, verliebte mich in sie, und schon war's geschehen.«
Es hatte nicht echt geklungen. Und noch etwas anderes gab dem Agenten ein Rätsel auf. Eines Tages sagte Clifton zu Toby: »Sie werden tatsächlich ein Star. Ich habe Sie für vier Wochen ans Thunderbird verpflichten können. Zweitausend die Woche.«
»Was ist mit der Tournee?«
»Vergessen Sie das. Las Vegas zahlt zehnmal soviel, und jeder wird Ihre Nummer sehen.«
»Streichen Sie Vegas. Besorgen Sie mir die Tournee.«
Clifton sah ihn überrascht an. »Aber Las Vegas ist -«
»Besorgen Sie mir die Tournee.« In Tobys Stimme war ein Ton, den Clifton Lawrence noch nie gehört hatte. Es war nicht Arroganz oder Leidenschaftlichkeit, es war mehr als das, eine heftige, im Zaum gehaltene Wut.
Eine Wut, die in krassem Gegensatz zu seinem Gesicht stand, das heiterer und knabenhafter war denn je.
Von nun an war Toby ständig unterwegs. Es war seine einzige Möglichkeit, dem Gefängnis zu entfliehen. Er spielte in Nachtclubs und Theatern und in Vortragssälen, und wenn diese Engagements beendet waren, bekniete er Clifton Lawrence, ihn an Universitäten zu vermitteln. Egal wohin – nur fort von Millie.
Er erhielt unzählige Angebote von attraktiven Frauen. Es war in jeder Stadt das gleiche. Sie warteten in Tobys Garderobe vor und nach der Show und lauerten ihm in der Hotelhalle auf.
Toby ging mit keiner ins Bett. Er dachte an den abgehackten und verbrannten Penis und an Al Caruso, der zu Toby gesagt hatte: »Sie sind verdammt gut bestückt… Ich könnte Ihnen nicht weh tun. Sie sind mein Freund. Solange Sie gut zu Millie sind…«
Und Toby wies alle Frauen ab.