»Warren wäre der richtige Mann für dich. Er geht regelmäßig in die Kirche, hat als Klempner ein gutes Einkommen und ist verrückt nach dir.«
»Er ist fünfundzwanzig und zu dick.«
Ihre Mutter sah Josephine prüfend an. »Arme Polakenmädchen finden keine Ritter in schimmernder Rüstung. Nicht in Texas und nirgendwo sonst. Mach dir bloß nichts vor.«
Josephine pflegte Warren Hoffmann zu erlauben, sie einmal in der Woche ins Kino auszuführen. Er hielt ihre Hand in seinen großen schwitzenden, schwieligen Händen und drückte sie während des ganzen Films. Josephine merkte es kaum. Sie war zu sehr in die Handlung des Films versunken. Was sich da oben abspielte, war eine Auferstehung der Welt schöner Menschen und Dinge, mit denen sie aufgewachsen war, nur war diese Welt noch größer und noch erregender. Josephine empfand dunkel, dass Hollywood ihr alles bieten konnte, was sie wünschte: Lebensfreude, Lachen und Glück. Sie wusste, dass es, abgesehen von einer Heirat mit einem reichen Mann, für sie keine Möglichkeit gab, je ein solches Leben zu führen. Und die reichen Jungs waren alle an die reichen Mädchen vergeben.
Nur einer nicht.
David Kenyon. Josephine dachte oft an ihn. Vor langer Zeit hatte sie ein Foto von ihm aus Mary Lous Haus gestohlen. Sie hielt es in ihrem Schrank verborgen und holte es nur heraus, um es anzuschauen, wenn sie unglücklich war. Es brachte die Erinnerung an David zurück, wie er am Rand des Schwimmbeckens neben ihr stand und sagte: Ich entschuldige mich für alle, und das Gefühl der Kränkung war allmählich geschwunden und durch seine sanfte Herzlichkeit verdrängt worden. Sie hatte David noch einmal nach diesem furchtbaren Tag am Schwimmbecken gesehen, als er ihr den Bademantel gebracht hatte. Er hatte mit seiner Familie in einem Wagen gesessen, und Josephine erfuhr später, dass er zum Bahnhof gefahren worden war. Er war nach Oxford, England, unterwegs. Das war vor vier Jahren gewesen, 1952. David war zwar in den Sommerferien und zu Weihnachten nach Hause gekommen, aber ihre Wege hatten sich nie gekreuzt. Josephine hatte die anderen Mädchen oft über ihn sprechen hören. Außer dem Besitz, den David von seinem Vater geerbt hatte, war ihm von seiner Großmutter ein Vermögen in Höhe von fünf Millionen Dollar hinterlassen worden. Er war eine wirklich gute Partie. Aber nicht für die Tochter einer polnischen Näherin.
Dass David Kenyon aus Europa zurückgekehrt war, wusste Josephine nicht. Es war ein später Sonnabendabend im Juli, und Josephine war bei ihrer Arbeit im Golden Derrick. Ihr schien es, als wäre die halbe Bevölkerung von Odessa ins Drive-in-Restaurant gekommen, um mit Gallonen von Limonade, Eis und Sodawasser gegen die Hitzewelle anzukämpfen. Der Andrang war so groß gewesen, dass Josephine noch keine Möglichkeit gefunden hatte, eine Pause zu machen. Ein Kranz von Autos zog sich ohne Ende über die neon-beleuchtete Auffahrt, wie metallene Tiere, die an einer surrealistischen Wasserstelle Schlange standen. Josephine bediente einen Wagen mit der ihrer Meinung nach millionsten Bestellung von Cheeseburgers und Cokes, hielt die Speisekarte bereit und ging hinüber zu einem weißen Sportwagen, der gerade vorgefahren war.
»Guten Abend«, sagte Josephine freundlich. »Wünschen Sie die Speisekarte?«
»Hallo, Fremde.«
Beim Klang von David Kenyons Stimme begann Josephines Herz heftig zu schlagen. Er sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte, nur dass sie ihn noch anziehender fand. Er zeigte Reife und Sicherheit, die er bei seinem Auslandsaufenthalt erworben hatte. Neben ihm saß Cissy Topping, kühl und schön in einem teuren Seidenkomplet.
Cissy sagte: »Hallo, Josie. An einem heißen Abend solltest du aber nicht arbeiten, Schätzchen.«
Als ob Josephine es sich aussuchen könnte, ob sie hierher kommen oder in ein Theater mit Klimaanlage gehen oder mit David Kenyon in einem Sportwagen herumfahren wollte.
Josephine antwortete gelassen: »Es hält mich von der Straße fern« und sah, dass David Kenyon sie anlächelte. Sie wusste, dass er sie verstand.
Noch lange nachdem sie fortgefahren waren, dachte Josephine über David nach. Sie wiederholte sich jedes seiner Worte – Hallo, Fremde… Ich nehme Schweinebraten und ein Bier – nein, lieber Kaffee. Kalte Getränke sind schlecht an einem heißen Abend… Wie gefällt Ihnen die Arbeit hier?… Ich möchte bitte bezahlen… Behalten Sie das Klein-geld…Es war nett, Sie wiederzusehen, Josephine -, suchte nach versteckten Bedeutungen, feinen Unterschieden, die sie vielleicht überhört hatte. Natürlich hätte er nichts sagen können, da Cissy neben ihm saß, aber die Wahrheit war, dass er Josephine nichts zu sagen hatte. Sie war überrascht, dass er sich überhaupt noch an ihren Namen erinnert hatte.
Sie stand vor der Spüle in der kleinen Küche des Restaurants, in Gedanken versunken, als Paco, der junge mexikanische Koch, hinter sie trat und sagte: »Que pasa, Josita? Du hast diesen seltsamen Blick im Auge.«
Sie mochte Paco. Er war Ende Zwanzig, ein schlanker, dunkeläugiger Mann, immer bereit, zu lachen und einen Scherz zu machen, wenn die Spannung stieg und alle nervös waren.
»Wer ist es?«
Josephine lächelte: »Niemand, Paco.«
»Bueno. Weil nämlich sechs hungrige Wagen da draußen verrückt spielen. Vamos!«
Am nächsten Morgen rief er an, und Josephine wusste, wer es war, ehe sie den Hörer abhob. Sie hatte ihn die ganze Nacht nicht aus ihren Gedanken verbannen können. Es war, als ob dieser Anruf die Verlängerung ihres Traumes wäre.
Seine ersten Worte waren: »Sie sind ein Traum. Während ich weg war, sind Sie erwachsen und eine Schönheit geworden«, und sie hätte vor Glück sterben können.
Er führte sie an jenem Abend zum Essen aus. Josephine war auf ein verschwiegenes kleines Restaurant vorbereitet gewesen, in dem David nicht Gefahr lief, seine alten Freunde zu treffen. Stattdessen gingen sie in seinen Klub, wo jeder an ihrem Tisch stehenblieb, um hallo zu sagen. David schämte sich nicht nur nicht, mit Josephine gesehen zu werden, er schien sogar stolz auf sie zu sein. Und sie liebte ihn deswegen und aus hundert anderen Gründen. Sein Aussehen, seine Freundlichkeit und sein Verständnis, die reine Freude, mit ihm zusammenzusein. Sie hatte nie geahnt, dass ein so wundervoller Mensch wie David existieren konnte.
Jeden Tag, nachdem Josephine ihre Arbeit beendet hatte, waren sie zusammen. Josephine musste Männer abwehren, seit sie vierzehn war, denn sie besaß eine sexuelle Ausstrahlung, die herausfordernd wirkte. Immer betätschelten Männer sie, streckten die Hände nach ihr aus, versuchten, ihre Brüste zu drücken oder ihr unter den Rock zu greifen, weil sie meinten, sie könnten das Mädchen damit reizen und ahnten nicht, wie sehr es davon abgestoßen wurde.
David Kenyon war anders. Er legte nur seinen Arm um sie oder berührte sie gelegentlich, und Josephines ganzer Körper reagierte sofort. Bei keinem anderen Mann hatte sie jemals dieses Gefühl gehabt. An den Tagen, an denen sie David nicht sah, konnte sie an nichts anderes denken.
Sie fand sich damit ab, dass sie in ihn verliebt war. Als die Wochen vergingen und sie immer mehr Zeit miteinander verbrachten, entdeckte Josephine, dass das Wunder geschehen war: Auch David hatte sich in sie verliebt.
Er besprach seine Probleme und seine familiären Schwierigkeiten mit ihr. »Mutter will, dass ich die Unternehmensleitung übernehme«, sagte David zu ihr, »aber ich bin nicht sicher, ob ich damit den Rest meines Lebens verbringen will.«
Außer Ölquellen und Raffinerien besaßen die Kenyons eine der größten Viehfarmen im Südwesten, eine Hotelkette, einige Banken und eine große Versicherungsgesellschaft.
»Kannst du nicht einfach nein sagen, David?«
David seufzte: »Du kennst meine Mutter nicht.«
Josephine hatte Davids Mutter kennengelernt. Sie war eine winzige Frau (es schien unmöglich, dass David aus dieser zarten Gestalt hervorgegangen war), die drei Kinder geboren hatte. Während und nach jeder Schwangerschaft war sie sehr krank gewesen und hatte nach der dritten Niederkunft eine Herzattacke gehabt. Die ganzen Jahre hindurch beschrieb sie ihren Kindern wiederholt ihr Leiden, und diese wuchsen in dem Glauben auf, dass ihre Mutter bewusst ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um jedes von ihnen zur Welt zu bringen. Es gab ihr eine gewaltige Macht über die Familie, die sie schonungslos ausübte.