David Kenyon hatte seine Mutter aufgesucht, gleich nachdem er Josephine nach Hause gefahren hatte. Sie lag im Bett, eine winzige, gebrechliche Frau, die einst sehr schön gewesen war.
Davids Mutter schlug die Augen auf, als er in ihr gedämpft beleuchtetes Schlafzimmer trat. Sie lächelte, als sie sah, wer es war. »Hallo, mein Sohn, du bist noch spät auf.«
»Ich war mit Josephine aus, Mutter.«
Sie sagte nichts darauf, beobachtete ihn nur mit ihren intelligenten grauen Augen.
»Ich werde sie heiraten«, sagte David.
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann nicht zulassen, dass du einen solchen Fehler machst, David.«
»Du kennst Josephine nicht gut genug. Sie ist -«
»Sicherlich ist sie ein reizendes Mädchen. Aber sie ist keine Frau für einen Kenyon. Cissy Topping würde dich glücklich machen. Und wenn du sie heiratest, würde das auch mich glücklich machen.«
Er nahm ihre gebrechliche Hand in die seine und sagte: »Ich liebe dich sehr, Mutter, aber ich bin durchaus in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
»Wirklich?« sagte sie leise. »Tust du immer das Richtige?«
Er starrte sie an, und sie sagte: »Kann man sich darauf verlassen, dass du immer richtig handelst, David? Dass du nicht den Kopf verlierst? Nichts Furchtbares tust -«
Er riss seine Hand weg.
»Weißt du immer, was du tust, mein Sohn?« Ihre Stimme war noch leiser.
»Mutter, um Himmels willen!«
»Du hast dieser Familie schon genug angetan, David. Bürde mir nicht noch mehr auf. Ich glaube, ich könnte es nicht ertragen.«
Sein Gesicht war aschfahl. »Du weißt, dass ich nicht – ich konnte nichts dafür -«
»Du bist zu alt, um wieder fortgeschickt zu werden. Jetzt bist du ein Mann. Ich möchte, dass du auch wie ein Mann handelst.«
Seine Stimme war voll tiefer Qual. »Ich – liebe sie -«
Sie bekam einen Anfall, und David ließ den Arzt holen. Später hatten er und der Arzt eine Unterredung.
»Ich fürchte, Ihre Mutter wird nicht mehr lange leben, David.«
Und so wurde die Entscheidung für ihn getroffen.
Er besuchte Cissy Topping.
»Ich liebe eine andere«, sagte David. »Meine Mutter dachte immer, dass du und ich -«
»Das dachte ich auch, Liebling.«
»Ich weiß, es ist etwas Ungeheuerliches, worum ich dich bitten möchte, aber wärest du bereit, mich zu heiraten, bis – bis meine Mutter stirbt, und dich dann von mir scheiden zu lassen?«
Cissy sah ihn an und sagte leise: »Wenn du das willst, David.«
Es kam ihm vor, als wäre ein unerträgliches Gewicht von seinen Schultern genommen worden. »Danke, Cissy, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr -«
Sie lächelte und sagte: »Wozu sind alte Freunde da?«
Sofort nachdem David gegangen war, rief Cissy Topping Davids Mutter an. Alles, was sie sagte, war: »Es ist alles geregelt.«
Das einzige, was David Kenyon nicht vorausgesehen hatte, war, dass Josephine von der bevorstehenden Heirat hören würde, ehe er ihr alles erklären konnte. Als David zu Josephines Haus kam, wurde die Tür von Mrs. Czinski geöffnet.
»Ich möchte gerne Josephine sprechen«, sagte er.
Sie blitzte ihn mit Augen an, aus denen ein bösartiger Triumph leuchtete. »Jesus wird Seine Feinde bezwingen und niederschlagen, und die Bösen sollen für immer verflucht sein.«
David sagte geduldig: »Ich möchte mit Josephine reden.«
»Sie ist fort«, sagte Mrs. Czinski. »Sie ist fortgegangen!«
18.
Der staubige Greyhound Bus, der von Odessa über El Paso und San Bernardino nach Los Angeles fuhr, war um sieben Uhr morgens in der Hollywood-Station in der Vine Street eingetroffen, und während der zweitägigen Reise über fünfzehnhundert Meilen war aus Josephine Czinski Jill Castle geworden. Äußerlich war sie die alte geblieben. Innerlich hatte sie sich verändert. Etwas in ihr war verschwunden. Das Lachen war erstorben!
In dem Augenblick, als sie die Nachricht gehört hatte, wusste Josephine, dass sie fliehen musste. Sie begann, achtlos ihre Kleider in einen Koffer zu werfen. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie fahren oder was sie tun würde, wenn sie dort ankäme. Sie wusste nur, dass sie fort musste, auf der Stelle.
Als sie ihr Schlafzimmer verließ und die Fotos der Filmstars an der Wand sah, wusste sie plötzlich, wohin sie fahren würde. Zwei Stunden später saß sie im Bus nach Hollywood. Odessa und alle Bewohner dieser Stadt traten in den Hintergrund, verblassten immer mehr, als der Bus sie ihrer neuen Bestimmung entgegenfuhr. Sie versuchte, ihre wahnsinnigen Kopfschmerzen zu vergessen. Vielleicht hätte sie der schrecklichen Schmerzen wegen einen Arzt aufsuchen sollen. Aber jetzt war das gleichgültig. Sie waren ein Teil ihrer Vergangenheit, und sie war sicher, sie würden vergehen. Von jetzt an würde das Leben wunderbar werden. Josephine Czinski war tot. Es lebe Jill Castle.
ZWEITES BUCH
19.
Toby Temple wurde zum Superstar aufgrund des unwahrscheinlichen Zusammentreffens eines Vaterschaftsprozesses mit einem Blinddarmdurchbruch und dank dem Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Der Presseklub von Washington gab sein alljährliches Bankett, und der Ehrengast war der Präsident. Es war eine Repräsentationsveranstaltung; anwesend waren der Vizepräsident, Senatoren, Kabinettsmitglieder, Oberste Richter und jeder, der eine Eintrittskarte kaufen, leihen oder stehlen konnte. Weil über das Ereignis immer in der internationalen Presse berichtet wurde, war die Rolle des Conferenciers ein hochbezahlter Job geworden. In diesem Jahr war einer von Amerikas Star-Komikern als Conferencier ausersehen worden. Eine Woche, nachdem er zugesagt hatte, wurde er als Beklagter in einem Vaterschaftsprozess genannt, der ein fünfzehnjähriges Mädchen betraf. Dem Rat seines Rechtsanwalts folgend, fuhr der Komiker sofort für unbestimmte Zeit auf Urlaub ins Ausland. Der Organisationsausschuss wandte sich nun an Nummer zwei seiner Wahl, einen beliebten Film- und Fernsehstar. Er kam am Abend vor dem Bankett in Washington an. Am folgenden Nachmittag, dem Tag des Festessens, rief sein Agent an und teilte mit, der Schauspieler sei im Krankenhaus und müsse sich wegen eines Blinddarmdurchbruchs einer plötzlichen Operation unterziehen.
Es waren nur noch sechs Stunden bis zum Beginn des Banketts. Der Ausschuss ging verzweifelt die Liste möglicher Ersatzleute durch. Die geeigneten Künstler waren alle in einem Film oder in einer Fernsehshow beschäftigt oder zu weit weg, um noch rechtzeitig nach Washington kommen zu können. Ein Kandidat nach dem anderen fiel aus, und schließlich, fast am Ende der Liste, tauchte der Name Toby Temple auf. Ein Ausschuss-Mitglied schüttelte den Kopf. »Temple ist Nachtklubkomiker. Er ist zu unbeherrscht. Wir können nicht wagen, ihn auf den Präsidenten loszulassen.«
»Er wäre schon brauchbar, wenn wir ihn veranlassen könnten, seinen Ton zu dämpfen.«
Der Vorsitzende des Ausschusses blickte um sich und sagte: »Ich will Ihnen mal sagen, warum er besonders brauchbar ist, meine Herren. Er ist in New York und kann in einer Stunde hier sein. Das gottverdammte Bankett findet heute abend statt.«
Auf diese Weise entschied sich der Ausschuss für Toby Temple.
Als Toby sich in dem überfüllten Bankettsaal umsah, dachte er, wenn heute abend eine Bombe auf diesen Saal fiele, wäre die Regierung der Vereinigten Staaten mit einem Schlag führerlos.
Der Präsident saß in der Mitte am Tisch des Sprechers auf dem Podium. Ein halbes Dutzend Beamte des Geheimdienstes stand hinter ihm. In der Hast der letzten Minuten, als alles koordiniert werden musste, hatte niemand daran gedacht, Toby dem Präsidenten vorzustellen, aber Toby störte das nicht. Der Präsident wird sich an mich erinnern, dachte er. Er rief sich sein Treffen mit Downey, dem Vorsitzenden des Organisationsausschusses, ins Gedächtnis zurück. Downey hatte gesagt: »Wir mögen Ihre Art von Humor, Toby. Sie sind sehr komisch, wenn Sie die Leute angreifen. Aber -« Er machte eine Pause, um sich zu räuspern. »Das ist – äh – ein empfindlicher Kreis hier heute abend. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht so, dass sie einen kleinen Scherz über sich selbst nicht akzeptieren könnten, aber alles, was heute abend in diesem Saal gesagt wird, wird von den Nachrichten-Medien in der ganzen Welt verbreitet, und natürlich will keiner von uns, dass irgend etwas gesagt wird, das den Präsidenten der Vereinigten Staaten oder Mitglieder des Kongresses lächerlich macht. Mit anderen Worten, wir möchten, dass Sie komisch sind, aber wir wollen nicht, dass Sie jemanden verärgern.«