»Wie ich höre, haben Sie bei der Consolidated Broadcasting einen Vertrag für Toby Temple unterzeichnet.«
»O ja. Das größte Geschäft, das die je gemacht haben.«
»Wo kriegen Sie die Ausfallbürgschaft für die Show her?«
»Warum, Sam?«
»Wir wären eventuell daran interessiert. Ich könnte Ihnen sogar zusätzlich einen Filmabschluss bieten. Ich habe gerade die Filmrechte an einer Komödie mit dem Titel The Kid Goes West erworben. Das ist in der Branche noch nicht bekannt. Toby wäre die Idealbesetzung dafür.«
Clifton Lawrence runzelte die Stirn und sagte: »So ein Pech! Schade, dass ich das nicht früher gewusst habe, Sam. Ich habe bereits eine Vereinbarung mit MGM getroffen.«
»Haben Sie fest abgeschlossen?«
»Nun ja, praktisch so gut wie. Ich habe ihnen mein Wort gegeben…«
Zwanzig Minuten später hatte Clifton Lawrence einen lukrativen Vertrag für Toby Temple ausgehandelt, nachdem Pan-Pacific-Studios »Die Toby-Temple-Show« produzieren und ihn als Star in The Kid Goes West herausbringen würden.
Die Verhandlungen hätten an sich länger dauern können, wenn es in der Sauna nicht so unerträglich heiß geworden wäre.
Eine Klausel in Toby Temples Vertrag besagte, dass er nicht an den Proben teilnehmen musste. Tobys Double arbeitete mit den Gast-Stars in den Sketchen und Tanzszenen, und Toby erschien erst zur Schlussprobe und für die Aufnahmen. Auf diese Weise konnte er seinen Part frisch und spontan darbieten.
Am Nachmittag des Premierentags im September 1956 betrat Toby das Theater an der Vine Street, wo die Aufnahmen für die Show gemacht werden sollten, und beobachtete den Ablauf der Probe. Als sie vorbei war, nahm Toby den Platz seines Doubles ein. Plötzlich war das Theater geladen mit Elektrizität. Die Show lebte, knisterte und sprühte. Und als sie an jenem Abend aufgenommen und gesendet wurde, sahen vierzig Millionen Menschen zu. Es war, als ob das Fernsehen extra für Toby Temple erfunden worden wäre. In Großaufnahme war er noch liebenswerter, und jeder wollte ihn in seinem Wohnzimmer haben. Die Darbietung war ein einzigartiger Erfolg. Sie eroberte Platz eins bei den Einschaltquoten und ließ sich von dort nicht mehr verdrängen. Toby Temple war kein Star mehr.
Er war ein Superstar geworden.
20.
Hollywood war aufregender, als Jill Castle es sich je erträumt hatte. Sie machte eine Stadtrundfahrt und sah die Villen der Stars. Und sie wusste, auch sie würde eines Tages ein schönes Heim in Bel-Air oder Beverly Hills besitzen. In der Zwischenzeit wohnte Jill in einem alten Mietshaus, einem hässlichen zweistöckigen Holzgebäude, das in eine noch hässlichere Pension mit zwölf winzigen Schlafkammern verwandelt worden war. Das Zimmer war billig, was bedeutete, dass die zweihundert Dollar, die sie sich gespart hatte, noch eine Weile reichen würden. Das Haus stand in Bronson, ein paar Minuten vom Hollywood Boulevard und der Vine Street, dem Zentrum Hollywoods, entfernt, und auch die Filmstudios lagen ganz in der Nähe.
Das Haus hatte aber noch ein weiteres angenehmes Merkmal. Es beherbergte ein Dutzend Mieter, die alle entweder versuchten, beim Film anzukommen, oder dort als Statisten oder in Nebenrollen arbeiteten oder aber sich bereits aus dem Film-Geschäft zurückgezogen hatten. Die Old-Timers schwirrten in gelben Morgenröcken und Lockenwicklern, in abgetragenen Anzügen und durchgelaufenen Schuhen, denen kein Putzen mehr Glanz verleihen konnte, durchs Haus. Die Mieter sahen eher verbraucht aus als alt. Es gab einen Aufenthaltsraum mit schäbigen und zerschrammten Möbeln, in dem man sich am Abend versammelte, um zu plaudern und Klatsch auszutauschen. Jeder gab Jill Ratschläge, von denen die meisten einander widersprachen.
»Wenn Sie zum Film wollen, meine Liebe, müssen Sie sich einen RA suchen, der Sie mag.« Das kam von einer sauertöpfischen Dame, die kürzlich aus einer Fernsehserie entlassen worden war.
»Was ist ein RA?« fragte Jill.
»Ein Regieassistent.« Der Ton war voll Mitleid über Jills Unwissenheit. »Er ist derjenige, der die Supes einstellt.«
Jill war zu befangen, um zu fragen, was die »Supes« seien.
»Wenn Sie mich fragen, suchen Sie sich einen geilen Besetzungschef. Ein RA kann Sie nur in seinem Film verwenden. Ein Besetzungschef kann Sie überall einsetzen.« Das von einer zahnlosen Frau, die in den Achtzigern sein musste.
»Soo? Die meisten von ihnen sind schwul«, sagte ein glatzköpfiger Charakterdarsteller.
»Was macht das schon? Ich meine, wenn er einen lanciert?« warf ein eifriger, bebrillter junger Mann ein, der darauf brannte, Drehbuchautor zu werden.
»Wie ist es, wenn man als Statist anfängt?« fragte Jill. »Central Casting -«
»Das können Sie vergessen. Die registrieren Sie nicht einmal, es sei denn, Sie sind eine Spezialität.«
»Verzeihung – was ist eine Spezialität?«
»Na, wenn Sie beispielsweise amputiert sind. Das bringt dreiunddreißig- achtundfünfzig statt der regulären einundzwanzig-fünfzig ein. Wenn Sie einen Frack oder Smoking haben oder reiten können, verdienen Sie achtundzwanzig dreiunddreißig. Wenn Sie wissen, wie man Karten ausgibt, oder mit dem Rechen an einem Spieltisch umgehen können, gibt es achtundzwanzig dreiunddreißig. Wenn Sie Fußball oder Baseball spielen können, kriegen Sie dreiunddreißig achtundfünfzig – soviel wie als Amputierter. Wenn Sie auf einem Kamel oder Elefant reiten, gibt es fünfundfünfzig vierundneunzig. Hören Sie auf mich, versuchen Sie gar nicht erst, Statistin zu werden. Bemühen Sie sich um eine Nebenrolle.«
»Ich wüsste nicht, wo da der Unterschied liegt«, bekannte Jill.
»In einer Nebenrolle hat man wenigstens eine Zeile Text zu sagen. Statisten dürfen nicht sprechen, außer den Omnies.«
»Den was?«
»Die Omnies – die machen die Hintergrundgeräusche.«
»Als erstes müssen Sie sich einen Agenten suchen.«
»Wie finde ich einen?«
»Die sind im Screen Actor aufgeführt. Das ist das Fachorgan der Filmschauspieler-Gewerkschaft. Ich habe ein Exemplar in meinem Zimmer. Ich werde es mal holen.«
Gemeinsam mit Jill gingen sie die Liste der Agenten durch und schränkten sie schließlich auf ein Dutzend der kleineren ein. Alle stimmten darin überein, dass Jill in einer großen Agentur keine Chance hätte.
Mit der Liste bewaffnet, machte Jill die Runde. Die ersten sechs Agenten wollten nicht einmal mit ihr sprechen. Sie begegnete dem siebenten, als er gerade sein Büro verließ.
»Entschuldigen Sie«, sagte Jill. »Ich suche einen Agenten.«
Er betrachtete sie einen Augenblick und sagte dann: »Zeigen Sie mir mal Ihr Album.«
Sie starrte ihn verständnislos an. »Mein was?«
»Sie sind wohl gerade erst aus dem Bus gestiegen? Ohne ein Album können Sie in dieser Stadt nichts anfangen. Lassen Sie ein paar Aufnahmen von sich machen. Verschiedene Posen. Glamour-Zeugs. Titten und Arsch.«
Jill fand einen Fotografen in Culver City in der Nähe der David-Selz-nick-Studios, der ihr ein Album für fünfunddreißig Dollar machte. Eine Woche später holte sie die Bilder ab und war sehr angetan von ihnen. Sie fand, dass sie schön aussah. Alle ihre Stimmungen waren von der Kamera eingefangen worden. Sie war nachdenklich… böse… schmachtend… sexy. Der Fotograf hatte die Bilder in eine Mappe mit Cellophan-hüllen geheftet.
»Hier vorne«, erklärte er, »fügen Sie Ihren Rollennachweis ein.«
Rollennachweis. Das war der nächste Schritt.
Gegen Ende der beiden folgenden Wochen hatte Jill jeden Agenten auf ihrer Liste besucht oder sich um ein Gespräch bemüht. Keiner von ihnen war auch nur entfernt interessiert. Einer hatte zu ihr gesagt: »Sie waren schon gestern hier, Schätzchen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das stimmt nicht.«
»Nein? Sie sah aber genauso aus wie Sie. Das ist es eben. Ihr seht alle wie Elizabeth Taylor oder Lana Turner oder Ava Gardner aus. In jeder anderen Stadt würden Sie sofort einen Job finden. Sie sind schön, sehen sexy aus, und Sie haben eine glänzende Figur. Aber in Hollywood zählt das nicht allzuviel. Schöne Mädchen kommen aus allen Teilen der Welt hierher. Sie haben sich bei den Theateraufführungen in der Schule hervorgetan oder einen Schönheitswettbewerb gewonnen, oder ihr Freund hat ihnen gesagt, sie müssten eigentlich zum Film – und bums! Zu Tausenden strömen sie hier zusammen, und sie sind sich alle gleich. Glauben Sie mir, Schätzchen, Sie waren gestern schon hier.«