Die Mitbewohner halfen Jill beim Zusammenstellen einer neuen Liste von Agenten. Ihre Büros waren kleiner, und sie lagen in einem billigen Stadtviertel, aber das Ergebnis war das gleiche.
»Kommen Sie wieder, wenn Sie eine gewisse schauspielerische Erfahrung gesammelt haben, Kind. Sie sehen gut aus, und vielleicht wird aus Ihnen 'ne neue Greta Garbo, aber ich kann meine Zeit nicht damit vergeuden, das herauszufinden. Bringen Sie mir einen Rollennachweis, und ich werde als Agent für Sie tätig werden.«
»Wie kann ich eine Bescheinigung bekommen, wenn niemand mir eine Rolle gibt?«
»Tja. Das ist eben das Problem. Viel Glück.«
Eine einzige Agentur stand noch auf Jills Liste; sie war ihr von einem Mädchen empfohlen worden, neben dem sie im Mayflower Coffee Shop am Hollywood Boulevard gesessen hatte. Die Dunning Agentur befand sich in einem kleinen Bungalow abseits von La Cienega in einem Wohnbezirk. Jill hatte telefonisch einen Termin ausgemacht, und eine Frauenstimme hatte sie gebeten, um sechs Uhr hinzukommen.
Jill sah sich in dem kleinen Büro um, das einmal als Wohnzimmer gedient hatte. Das Mobiliar bestand aus einem alten, zerkratzten, mit Papieren bedeckten Schreibtisch, einer Kunstledercouch, die mit weißen Klebestreifen ausgebessert war, und drei im Raum verteilten Rohrstühlen. Eine große, korpulente Frau mit einem pockennarbigen Gesicht kam aus einem Nebenzimmer und sagte: »Hallo. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ich bin Jill Castle. Ich habe einen Termin mit Mr. Dunning.« »Miss Dunning«, sagte die Frau. »Das bin ich.« »Oh«, sagte Jill überrascht. »Verzeihung, ich glaubte -« Die Frau lächelte sie freundlich an. »Es spielt keine Rolle.« Aber doch, es spielt eine Rolle, dachte Jill voll plötzlicher Erregung. Warum war ihr das nicht früher eingefallen? Eine Agentin! Jemand, der alle Traumata durchgemacht hatte, jemand, der verstehen würde, wie einem jungen Mädchen zumute war, das erst am Anfang stand. Sie würde verständnisvoller sein, als ein Mann es je sein könnte.
»Wie ich sehe, haben Sie Ihr Album mitgebracht«, sagte Miss Dunning. »Darf ich es sehen?« »Natürlich«, sagte Jill. Sie reichte es ihr hinüber. Die Frau öffnete das Album. »Sie sind fotogen.« Jill wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. »Danke.« Die Agentin betrachtete die Bilder von Jill im Badeanzug. »Sie haben eine gute Figur. Das ist wichtig. Woher kommen Sie?« »Aus Texas«, sagte Jill. »Odessa.« »Wie lange sind Sie schon in Hollywood, Jill?« »Ungefähr zwei Monate.«
»Bei wie vielen Agenten sind Sie gewesen?«
Einen Augenblick war Jill versucht zu lügen, aber sie sah nichts als Mitleid und Verständnis in den Augen der Frau. »Etwa dreißig, schätze ich.«
Die Agentin lachte. »Und schließlich kamen Sie zu Rose Dunning. Nun, Sie hätten Schlimmeres tun können. Ich bin nicht MCA oder William Morris, aber ich sorge dafür, dass meine Leute Arbeit haben.«
»Ich habe keinerlei schauspielerische Erfahrung.«
Die Frau nickte, sie schien nicht überrascht. »Wenn Sie welche hätten, wären Sie bei MCA oder William Morris. Ich bin eine Art Vorschule. Ich verhelfe talentierten Kindern zu einem Start, und dann schnappen mir die großen Agenturen sie weg.«
Zum erstenmal seit Wochen spürte Jill so etwas wie Hoffnung. »Glauben Sie – dass Sie etwas für mich tun könnten?« fragte sie.
Die Frau lächelte. »Ich habe Verträge für Klientinnen ausgehandelt, die nicht halb so hübsch sind wie Sie. Ich glaube schon, dass ich Arbeit für Sie finden könnte. Das ist die einzige Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, stimmt's?«
Jill war ihr unendlich dankbar.
»Das Ärgerliche an dieser Stadt ist, dass man Kindern wie Ihnen keine Chance gibt. Alle Studios tönen laut, dass sie verzweifelt nach neuen Talenten suchen, und dann errichten sie eine hohe Mauer und lassen niemand hinein. Nun, wir werden ihnen ein Schnippchen schlagen. Ich denke da an drei Dinge, für die Sie sich eignen könnten: ein Tagesjob in einem Schmachtfetzen fürs Fernsehen, ein Schlager in dem Toby-Temple-Film und eine Rolle in dem neuen Tessie-Brand-Film.«
Jill hatte das Gefühl, als würde sich alles um sie herum drehen. »Aber würden die -«
»Wenn ich Sie empfehle, werden sie Sie nehmen. Ich schicke keine Klientinnen, die nicht gut sind. Es sind nur Nebenrollen, verstehen Sie, aber es ist immerhin ein Anfang.«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen wäre«, sagte Jill.
»Ich glaube, ich habe das Drehbuch des Fernsehspiels hier.« Rose Dunning stemmte sich mühsam aus ihrem Sessel, ging ins Nebenzimmer und bat Jill, ihr zu folgen.
Das Zimmer war ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett in einer Ecke unter dem Fenster und einem metallenen Aktenschrank in der gegenüberliegenden Ecke. Rose Dunning watschelte zu dem Akten-schrank, öffnete eine Schublade und nahm ein Drehbuch heraus. Sie brachte es Jill.
»Das ist es. Der Besetzungschef ist ein guter Freund von mir, und wenn Sie mit dem da Erfolg haben, wird er Sie weiter beschäftigen.«
»Ich werde Erfolg haben«, versprach Jill leidenschaftlich.
Die Agentin lächelte. »Natürlich kann ich ihm nicht die Katze im Sack
schicken. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir vorzulesen?«
»Nein, natürlich nicht.«
Die Agentin öffnete das Drehbuch und setzte sich aufs Bett. »Nehmen wir diese Szene.«
Jill setzte sich neben sie aufs Bett und sah sich das Drehbuch an.
»Ihre Rolle ist die Natalie. Sie ist ein reiches Mädchen, das mit einem Schlappschwanz verheiratet ist. Sie beschließt, sich von ihm scheiden zu lassen, aber er will nicht. Hier treten Sie auf.«
Jill überflog schnell die Szene. Sie wünschte, sie hätte die Chance gehabt, das Drehbuch über Nacht oder nur eine Stunde durchzugehen. Sie wollte so gern einen guten Eindruck machen.
»Fertig?«
»Ja – ich glaube«, sagte Jill. Sie schloss die Augen und versuchte, sich in ihre Rolle zu versetzen. Eine reiche Frau. Wie die Mütter der Freunde und Freundinnen, mit denen sie aufgewachsen war, Menschen, die es für selbstverständlich hielten, dass sie alles, was sie wollten, im Leben haben konnten, und die glaubten, dass die anderen Leute nur für sie da seien. Die Cissy Toppings der Welt. Sie schlug die Augen auf, sah auf das Drehbuch hinunter und fing an zu lesen. »Ich möchte mit dir reden, Peter.«
»Können wir das nicht aufschieben?« Das war Rose Dunning, die ihr das Stichwort gab.
»Ich fürchte, es ist schon zu lange aufgeschoben worden. Ich fliege heute nachmittag nach Reno.«
»Einfach so?«
»Nein. Ich habe seit fünf Jahren versucht, dieses Flugzeug zu bekommen, Peter. Und diesmal werde ich es nehmen.«
Jill fühlte Rose Dunnings Hand auf ihren Schenkeln. »Das ist sehr gut«, sagte die Agentin beifällig. »Lesen Sie weiter.« Sie ließ ihre Hand auf Jills Bein ruhen.
»Dein Problem ist, dass du noch nicht erwachsen bist. Du spielst immer noch herum. Nun, von jetzt an wirst du allein spielen müssen.«
Rose Dunnings Hand streichelte ihren Schenkel. Es war peinlich. »Fein. Machen Sie weiter«, sagte sie.
»Ich – ich möchte nicht, dass du je wieder mit mir in Verbindung trittst. Hast du mich verstanden?«
Die Hand streichelte Jill jetzt schneller, bewegte sich auf ihre Leistengegend zu. Jill ließ das Drehbuch sinken und sah Rose Dunning an. Das Gesicht der Frau war gerötet, und ihre Augen hatten einen glasigen Ausdruck.