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»Lesen Sie weiter«, stieß sie heiser hervor.

»Ich – ich kann nicht«, sagte Jill. »Wenn Sie -«

Die Hand der Frau bewegte sich schneller. »Das ist, um dich in Stimmung zu bringen, Liebling. Es ist ein sexueller Kampf, siehst du. Ich

möchte den Sex in dir fühlen.« Ihre Hand drückte jetzt fester und bewegte sich zwischen Jills Beinen.

»Nein!« Jill sprang zitternd auf.

Speichel tropfte aus dem Mundwinkel der Frau. »Sei gut zu mir, und ich werde gut zu dir sein.« Ihre Stimme klang flehentlich. »Komm her, Baby.« Sie streckte die Arme aus und griff nach ihr, und Jill lief aus dem Zimmer.

Auf der Straße übergab sie sich. Selbst als die quälenden Krämpfe vorüber waren und ihr Magen sich beruhigt hatte, fühlte sie sich nicht besser. Ihre Kopfschmerzen hatten wieder eingesetzt.

Es war nicht fair. Die Kopfschmerzen gehörten nicht zu ihr. Sie gehörten zu Josephine Czinski.

Während der nächsten fünfzehn Monate wurde Jill Castle ein echtes Mitglied der Überlebenden, des Stammes der Menschen am Rande des Showgeschäfts, die Jahre und manchmal ein ganzes Leben lang versuchten, in der Branche Fuß zu fassen, und inzwischen in anderen Berufen arbeiteten. Die Tatsache, dass diese Nebenbeschäftigungen zuweilen zehn oder gar fünfzehn Jahre füllten, entmutigte sie nicht. Wie uralte Volksstämme einst um längst erloschene Lagerfeuer saßen und von tapferen Taten erzählten, so saßen die Überlebenden in Schwabs Drugstore herum und erzählten sich wieder und wieder Heldenepen aus dem Showgeschäft, hüteten sorgsam den Rest kalten Kaffees in ihren Tassen, während sie einander Kostproben des neuesten Klatsches aus erster Hand übermittelten. Sie waren nicht mehr im Geschäft, und doch waren sie auf geheimnisvolle Weise mit seinem Puls und Herzschlag verbunden. Sie konnten berichten, welcher Star ersetzt werden würde, welcher Produzent beim Beischlaf mit seinem Regisseur erwischt worden war und welcher Chef einer Fernsehgesellschaft die Treppe hinauffallen würde. Sie wussten das alles, noch bevor jemand anders es wusste, erfuhren es durch ihre eigene, besondere Art von Urwaldtrommeln. Denn das Geschäft war wie ein Urwald. Darüber hatten sie keine Illusionen. Ihre Illusionen lagen in anderer Richtung. Sie glaubten, einen Weg durch die Studio-Tore finden, die Studiowände erklimmen zu können. Sie waren die Künstler, waren die Auserwählten. Hollywood war ihr Jericho, und Josua würde seine goldene Trompete blasen, und die mächtigen Tore würden vor ihnen zusammenstürzen, und ihre Feinde würden erschlagen werden – und siehe da! Sam Winters würde seinen Zauberstab schwingen, und sie würden seidene Kleider tragen und Stars sein und für immer von ihrem dankbaren Publikum geliebt und angebetet werden. Amen. Der Kaffee bei Schwab war ein berauschender, heiliger Wein, und sie waren die Jünger der Zukunft, drängten sich trostsuchend zusammen, wärmten einander mit ihren Träumen, da sie auf der Schwelle zum Erfolg standen. Sie hatten einen Regieassistenten getroffen, der ihnen ankündigte, einen Produzenten, der sagte, einen Besetzungschef, der versprach, und nur noch eine Sekunde, und der Erfolg würde in Reichweite liegen.

Inzwischen arbeiteten sie in Supermärkten und Garagen, in Schönheitssalons und Autowäschereien. Sie lebten zusammen und heirateten einander und ließen sich wieder scheiden und merkten nie, wie die Zeit sie verriet. Sie waren sich ihrer Falten und der grau werdenden Schläfen nicht bewusst und nicht der Tatsache, dass es morgens eine halbe Stunde länger dauerte, ihr Make-up aufzutragen. Sie waren abgenutzt, ohne gebraucht worden zu sein, gealtert, ohne gereift zu sein, zu alt für eine Karriere bei der Zelluloidindustrie, zu alt, Kinder zu bekommen, zu alt für die jüngeren Rollen, die sie einst so sehr begehrt hatten.

Sie waren jetzt Charakterdarsteller. Aber sie träumten immer noch.

Die jüngeren und hübscheren Mädchen nahmen mit, was sie »Matratzengeld« nannten.

»Warum sich den Hintern verrenken bei einem Ganztagsjob, wenn man sich bloß ein paar Minuten auf den Rücken zu legen braucht und leicht zwanzig Piepen verdienen kann? Nur so lange, bis der Agent sich meldet.«

Jill war daran nicht interessiert. Ihr einziges Interesse galt ihrer Karriere. Ein armes polnisches Mädchen konnte keinen David Kenyon heiraten. Das wusste sie jetzt. Aber Jill Castle, der Filmstar, konnte jeden und alles haben. Sollte sie das nicht erreichen, würde sie sich wieder in Josephine Czinski zurückverwandeln.

Aber das würde sie nie zulassen.

Jill erhielt ihr erstes Engagement durch Harriet Marcus, eine der Überlebenden, die eine Kusine hatte, deren Ex-Schwager zweiter Regieassistent bei einer medizinischen Fernsehserie war, die in den Uni-versal-Studios hergestellt wurde. Er war bereit, Jill eine Chance zu geben. Die Rolle bestand aus einem Satz, für den Jill siebenundfünfzig Dollar erhalten sollte, abzüglich Sozialversicherung, Steuern und Beitrag für den Filmwohlfahrtsfonds. Jill sollte die Rolle einer Krankenschwester spielen. Das Drehbuch sah vor, dass sie in einem Krankenzimmer am Bett eines Patienten saß und ihm den Puls fühlte, wenn der Doktor eintrat.

DOKTOR: »Wie geht es ihm, Schwester?« SCHWESTER: »Ich fürchte, nicht sehr gut, Doktor.«

Das war es.

Jill bekam an einem Montagnachmittag eine einzige vervielfältigte Seite aus dem Drehbuch und wurde für den folgenden Morgen um sechs Uhr zum Schminken bestellt. Sie ging die Szene hundertmal durch. Sie wünschte, das Studio hätte ihr das ganze Drehbuch gegeben. Wie konnten die nur erwarten, dass es ihr gelang, sich aus einer einzigen Seite

eine Persönlichkeit vorzustellen? Jill versuchte zu analysieren, was für eine Art Frau die Schwester sein könnte. War sie verheiratet? Ledig? Sie könnte im geheimen den Doktor lieben. Oder sie hatten eine Liaison miteinander, die inzwischen beendet war. Wie war sie dem Patienten gegenüber eingestellt? Hasste sie den Gedanken an seinen Tod? Oder hielt sie ihn für einen Segen?

»Ich fürchte, nicht sehr gut, Doktor.« Sie versuchte, ihre Stimme besorgt klingen zu lassen.

Sie begann noch einmaclass="underline" »Ich fürchte, nicht sehr gut, Doktor.« Anklägerisch. Es war die Schuld des Doktors. Wenn er nicht bei seiner Geliebten gewesen wäre…

Jill blieb die ganze Nacht auf und arbeitete an der Rolle, zu überdreht, um schlafen zu können, aber am Morgen, als sie sich im Studio meldete, fühlte sie sich angeregt und belebt. Es war noch dunkel, als sie in einem Wagen, den sie sich von ihrer Freundin Harriet geliehen hatte, am Gittertor ankam. Jill nannte dem Pförtner ihren Namen, der verglich ihn mit der Eintragung in seinem Dienstplan und winkte sie hindurch.

»Studio sieben«, sagte er. »Zwei Blocks weiter, dann rechts.«

Ihr Name stand auf dem Dienstplan. Universal-Studios erwarteten sie. Es war wie ein Traum. Als Jill auf das Studio zufuhr/beschloss sie, ihre Rolle mit dem Regisseur zu besprechen, ihn wissen zu lassen, dass sie fähig war, ihm jede Interpretation zu geben, die er wollte. Jill fuhr auf den großen Parkplatz und ging zum Studio hinüber.

Das Atelier war voller Leute, die geschäftig Scheinwerfer montierten, elektrische Geräte herbeischleppten, die Kamera in Stellung brachten und in einer Fachsprache Befehle gaben, die sie nicht verstand. »Alles Licht auf mich, dreh voll auf, Junge, gib alles, was du hast!«

Jill stand da und sog alles in sich auf: den Anblick, die Gerüche und die Begleitmusik des Showgeschäfts. Das war ihre Welt, ihre Zukunft. Sie würde einen Weg finden, um den Regisseur zu beeindrucken, ihm zu zeigen, was in ihr steckte. Er würde sie als eine Persönlichkeit kennenlernen, nicht als eine x-beliebige Schauspielerin.

Der zweite Regieassistent trieb Jill und ein Dutzend anderer Schauspieler in die Garderobe, wo Jill einen Schwesternkittel ausgehändigt bekam. Dann wurde sie ins Atelier zurückgeschickt, wo sie und die anderen Komparsen in einer Ecke geschminkt wurden. Gerade als sie ihr Make-up beendet hatte, rief der Regieassistent ihren Namen. Jill eilte in die Dekoration des Krankenzimmers, wo der Regisseur neben der Kamera mit dem Star der Serie sprach. Der Star hieß Rod Hanson. Er spielte einen Arzt voller Mitgefühl und Weisheit. Als Jill auf sie zuging, sagte Rod Hanson: »Ich habe einen deutschen Gärtner, der einen besseren Dialog furzen kann als diese Scheiße hier. Warum sind die Drehbuchfritzen nie in der Lage, mir einen blutvollen Charakter zu geben, Gottverdammich?«