Toby vereinte in sich eine Unzahl von Widersprüchen. Er war eifersüchtig auf den Erfolg anderer Komiker, und trotzdem geschah folgendes: Eines Tages, als Toby die Probebühne verließ, kam er an der Garderobe eines alten Komikers vorbei, der einst ein Star gewesen war, mit dessen Karriere es jedoch längst bergab ging, Vinnie Türkei. Vinnie war für seine erste dramatische Rolle in einem Live-Fernsehspiel verpflichtet worden. Er hoffte auf ein Comeback. Als Toby in seine Garderobe guckte, sah er Vinnie betrunken auf der Couch liegen. Der Regisseur der Show kam vorbei und sagte zu Toby: »Kümmern Sie sich nicht um ihn, Toby. Er ist erledigt.«
»Was ist passiert?«
»Nun, Sie wissen, dass Vinnie für seine hohe, tremolierende Stimme berühmt war. Wir begannen mit den Proben, und jedesmal, wenn Vinnie den Mund öffnete und ernst zu sein versuchte, fingen alle an zu lachen. Das gab dem armen Alten den Rest.«
»Er hat mit seiner Rolle gerechnet, nicht wahr?« fragte Toby.
Der Regisseur zuckte die Schultern. »Jeder Schauspieler rechnet mit jeder Rolle.«
Toby nahm Vinnie Türkei mit nach Hause und blieb bei dem alten Komiker, bis er nüchtern war. »Das ist die beste Rolle, die Sie je in Ihrem Leben gehabt haben. Wollen Sie die Sache schmeißen?«
Vinnie schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich habe sie schon geschmissen, Toby. Ich krieg's nicht hin.«
»Wer sagt das?« fragte Toby. »Sie können diese Rolle besser spielen als irgendein anderer.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Sie haben über mich gelacht.«
»Na klar. Und wissen Sie, warum? Weil Sie sie Ihr Leben lang zum Lachen gebracht haben. Sie erwarten einfach von Ihnen, dass Sie komisch sind. Aber wenn Sie bei der Stange bleiben, werden Sie gewinnen. Sie werden sie überwältigen.«
Toby verbrachte den ganzen Nachmittag damit, Vinnies Selbstvertrauen wiederherzustellen. Abends rief er den Regisseur zu Hause an. »Türkei ist wieder in Ordnung«, sagte er. »Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.«
»Ich weiß«, erwiderte der Regisseur. »Ich habe ihn ersetzen lassen.«
»Machen Sie's rückgängig«, sagte Toby. »Sie müssen ihm eine Chance geben.«
»Das Risiko kann ich nicht eingehen, Toby. Er wird sich wieder betrinken und -«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, unterbrach ihn Toby. »Lassen Sie ihn drin. Wenn Sie ihn auch nach der Kostümprobe nicht mehr wollen, werde ich seine Rolle übernehmen, und zwar umsonst.«
Es gab eine Pause, dann fragte der Regisseur: »Ist das Ihr Ernst?«
»Darauf können Sie Gift nehmen.«
»Gemacht«, sagte der Regisseur rasch. »Bestellen Sie Vinnie, dass er morgen früh um neun zur Probe kommen soll.«
Als das Fernsehspiel gesendet wurde, war es der Schlager der Saison. Und es war Vinnie Türkei, der von den Kritikern in den Himmel gehoben wurde. Er gewann jeden Preis, den das Fernsehen zu vergeben hatte, und eine neue Karriere als dramatischer Schauspieler eröffnete sich ihm. Als er Toby als Zeichen seiner Dankbarkeit ein kostbares Geschenk sandte, schickte Toby es mit einem kurzen Brief zurück: »Nicht ich, Sie waren der Darsteller.« Das war Toby Temple.
Einige Monate später verpflichtete Toby Vinnie Türkei für einen Sketch in seiner Show. Vinnie übertrieb in einem von Tobys Lacherfolgen, und augenblicklich gab Toby ihm die falschen Stichwörter, machte seine Witze kaputt und demütigte ihn vor vierzig Millionen Zuschauern.
Auch das war Toby Temple.
Als O'Hanlon einmal gefragt wurde, wie Toby Temple nun wirklich sei, antwortete er: »Erinnern Sie sich an den Film, in dem Charlie Chaplin den Millionär kennenlernt? Ist der Millionär betrunken, ist er Charlies Kumpel. Ist er nüchtern, wirft er ihn mit einem Tritt in den Hintern raus. Das ist Toby Temple – nur ohne Alkohol.«
Während einer Zusammenkunft mit den leitenden Männern einer Fernsehgesellschaft sprach einer der Jüngeren kaum ein Wort. Hinterher sagte Toby zu Clifton Lawrence: »Ich glaube, er kann mich nicht leiden.«
»Wer?«
»Der junge Mann bei der Besprechung.«
»Was spielt das für eine Rolle? Er ist völlig unwichtig.«
»Er hat nicht ein einziges Wort zu mir gesagt«, war Tobys düstere Antwort. »Er kann mich bestimmt nicht leiden.«
Toby war so außer sich, dass Clifton Lawrence den Jungen ausfindig machen musste. Er rief den bestürzten Mann mitten in der Nacht an und fragte ihn: »Haben Sie etwas gegen Toby Temple?«
»Ich? Ich halte ihn für den witzigsten Mann auf der ganzen Welt!«
»Tun Sie mir dann bitte einen Gefallen, mein Junge: Rufen Sie ihn an, und sagen Sie ihm das.«
»Was?«
»Rufen Sie Toby an, und sagen Sie ihm, dass Sie ihn mögen.«
»Aber natürlich. Ich werde ihn gleich morgen früh anrufen.«
»Rufen Sie jetzt an.«
»Es ist drei Uhr morgens!«
»Spielt keine Rolle. Er wartet darauf.«
Als der junge Mann Toby anrief, wurde der Hörer sofort abgehoben. Tobys Stimme war zu vernehmen: »Hallo.«
Der junge Mann schluckte und sagte: »Ich – ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich Sie großartig finde.«
»Danke, Kamerad«, antwortete Toby und legte auf.
Tobys Hofstaat wurde immer größer. Manchmal, wenn er nachts aufwachte, rief er Freunde an und überredete sie, zu einer Kartenrunde herüberzukommen, oder er weckte O'Hanlon und Rainger und beorderte sie zu einer Drehbuchbesprechung. Oft saß er die ganze Nacht mit den drei Macs und Clifton Lawrence und einem halben Dutzend Starlets und Schmarotzern zu Hause und sah sich Filme an.
Und je mehr Menschen er um sich versammelte, desto einsamer wurde Toby.
22.
Es war November 1963, und der herbstliche Sonnenschein war einem schwachen, kalten Licht gewichen. Die frühen Morgenstunden waren jetzt neblig und kühl, und die ersten Winterregen hatten eingesetzt.
Jill Castle ging immer noch jeden Morgen zu Schwab, aber es kam ihr vor, als wären die Unterhaltungen immer dieselben. Die Überlebenden redeten davon, wer eine Rolle verloren hatte und warum. Sie freuten sich hämisch über jede vernichtende Kritik, die erschien, und missbilligten die guten. Es war das Klagelied der Verlierer, und Jill fragte sich, ob sie wie sie werden würde. Sie war immer noch davon überzeugt, eines Tages ein Star zu werden, aber als sie sich im Kreis der vertrauten Gesichter umsah, merkte sie, dass alle von sich dasselbe glaubten. War es möglich, dass sie keinen Sinn mehr für die Realität hatten, dass sie alle darauf vertrauten, dass ihr Wahn Wirklichkeit werden würde? Sie konnte den Gedanken nicht ertragen.
Jill war die Beichtmutter der Gruppe geworden. Sie kamen mit ihren Problemen zu ihr, und sie hörte zu und versuchte zu helfen; mit Rat, mit ein paar Dollar oder mit einem Schlafplatz für ein oder zwei Wochen. Sie ging selten aus, weil sie auf ihre Karriere versessen war und niemanden kennengelernt hatte, der sie interessierte.
Wann immer Jill ein bisschen Geld beiseite legen konnte, schickte sie es ihrer Mutter mit langen, glühenden Briefen, in denen sie schrieb, wie gut es ihr gehe. Am Anfang hatte Jills Mutter ihr geantwortet und sie gedrängt, Buße zu tun und eine Gottesbraut zu werden. Aber als Jill gelegentlich in Filmen mitwirkte und mehr Geld nach Hause schickte, empfand die Mutter einen gewissen widerstrebenden Stolz. Sie hatte nichts mehr dagegen, dass Jill Schauspielerin war, aber sie beschwor sie, sich um Rollen in religiösen Filmen zu bemühen. »Ich bin sicher, dass Mr. DeMille Dir eine Rolle geben wird, wenn Du ihm Deinen Glauben darlegst«, schrieb sie.
Odessa war eine kleine Stadt. Jills Mutter arbeitete immer noch für die Öl-Leute, und Jill wusste, dass ihre Mutter von ihr reden und dass
David Kenyon früher oder später von ihrem Erfolg hören würde. Und so erfand Jill in ihren Briefen Geschichten über die vielen Stars, mit denen sie zusammen arbeitete, und war stets darauf bedacht, ihre Vornamen zu benutzen. Schnell lernte sie den Trick der Kleindarsteller, sich aufnehmen zu lassen, während sie neben dem Star stand. Von dem Fotografen bekam sie dann zwei Abzüge, von denen sie einen an ihre Mutter schickte und den anderen für sich behielt. Sie ließ in ihren Briefen durchblicken, dass sie kurz vor der großen Karriere stand.