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In Südkalifornien, wo es nie schneit, ist es Brauch, dass eine NikolausParade den Hollywood Boulevard hinuntermarschiert und danach jeden Abend bis zum Heiligen Abend ein Nikolaus-Festzug seine Runde macht. Die Bürger von Hollywood feiern das Christkind ebenso gewissenhaft wie

ihre Nachbarn in nördlichen Landstrichen. Man kann sie nicht dafür verantwortlich machen, dass »Ehre sei Gott in der Höhe« und »Stille Nacht« und »Leise rieselt der Schnee« in einer Umgebung, die in einer Temperatur von 40 Grad Celsius schmachtet, aus Heim- und Autoradios strömen. Wie alle anderen rotblütigen, patriotischen Amerikaner sehnen sie sich inbrünstig nach einem altmodischen Weißen Weihnachten, aber da sie wissen, dass Gott diesen Wunsch nicht erfüllen wird, haben sie gelernt, das Fest auf ihre Weise zu begehen. Sie schmücken die Straßen mit Weihnachtskerzen und Christbäumen aus Plastik und mit Nikoläusen samt ihren Schlitten und Rentieren aus Pappmache. Filmstars und Charakterdarsteller wetteifern miteinander um das Vorrecht, in der NikolausParade mitzufahren, nicht etwa, um die Tausenden von Kindern und Erwachsenen, die vom Straßenrand den Umzug bewundern, in Weihnachtsstimmung zu versetzen, sondern weil die Parade live vom Fernsehen übertragen wird und ihre Gesichter von einer Küste zur anderen gesehen werden.

Jill Castle stand für sich an einer Ecke und sah die zahllosen Wagen vorbeifahren, von denen die Stars ihren Fans zuwinkten. Großmarschall der Parade war in diesem Jahr Toby Temple. Die begeisterte Menge jubelte frenetisch, als sein Festwagen vorbeifuhr. Jill erhaschte einen Blick auf Tobys strahlendes, angeregtes Gesicht, dann war er vorbei.

Es folgte die Hollywood High School Band, danach der Festwagen der Freimaurer und eine Marinekorps-Kapelle. Da waren Reiter in Cowboykostümen und ein Posaunenchor der Heilsarmee. Es gab Gesangsgruppen mit Fahnen und Wimpeln, einen Festwagen mit Tieren und Vögeln, die aus Blumen gesteckt waren; Lokomotiven, Clowns und Jazzbands. Es war vielleicht nicht der wahre Weihnachtsgeist, aber es war ein typisches Hollywood-Schauspiel.

Jill hatte früher einmal mit einigen der Darsteller auf den Festwagen gearbeitet. Einer von ihnen winkte ihr zu und rief zu ihr hinunter: »Hallo, Jill! Wie geht's?«

Mehrere Leute in der Menge drehten sich neidisch nach ihr um, und es schmeichelte ihrem Selbstgefühl sehr, dass den Leuten gezeigt wurde, dass auch sie dazugehörte. Eine tiefe, klangvolle Stimme neben ihr fragte: »Entschuldigen Sie – sind Sie Schauspielerin?«

Jill wandte sich um. Der Sprecher war ein großer, blonder, gutaussehender junger Mann von Mitte Zwanzig. Sein Gesicht war gebräunt, und seine Zähne waren weiß und ebenmäßig. Er trug alte Jeans und ein blaues Tweedjackett mit Lederflecken auf den Ellbogen.

»Ja.«

»Ich auch. Ich bin Schauspieler, meine ich.« Er grinste und fügte hinzu: »Hart kämpfend.«

Jill zeigte auf sich und bestätigte: »Genau wie ich.«

Er lachte. »Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?«

Er hieß Alan Preston und kam aus Sah Lake City, wo sein Vater Ältester in der Mormonenkirche war. »Ich wuchs mit zuviel Religion und zuwenig Spaß auf«, vertraute er Jill an.

Es ist beinahe prophetisch, dachte Jill. Wir kommen aus genau den gleichen Verhältnissen.

»Ich bin ein guter Schauspieler, glaube ich«, sagte Alan wehmütig, »aber das hier ist ein hartes Pflaster. Bei uns zu Hause will jeder einem helfen. Hier scheint es, dass jeder nur darauf aus ist, einen hereinzulegen.«

Sie unterhielten sich, bis das Cafe schloss, und inzwischen waren sie gute Freunde geworden. Als Alan fragte: »Kommen Sie mit zu mir?«, zögerte Jill nur einen Augenblick. »Gern.«

Alan Preston wohnte in einer Pension hinter der Highland Avenue, zwei Häuserblocks von der Hollywood Bowl entfernt. Er hatte ein winziges Hinterzimmer.

»Man müsste diese Pension >Die Müllkippe< nennen«, sagte er zu Jill. »Sie sollten die Sonderlinge sehen, die hier wohnen. Alle sind fest davon überzeugt, dass sie es noch schaffen, ganz groß im Showgeschäft herauszukommen.«

Genau wie wir, dachte Jill.

Die Einrichtung von Alans Zimmer bestand aus einem Bett, einer Kommode, einem Stuhl und einem kleinen, wackligen Tisch. »Ich warte nur darauf, dass ich in meinen Palast ziehen kann«, erklärte Alan.

Jill lachte. »Genau wie ich.«

Alan wollte sie in die Arme nehmen, doch sie erstarrte. »Bitte nicht.«

Er sah sie einen Augenblick an und sagte sanft: »Okay«, und Jill war plötzlich verlegen. Was tat sie denn im Zimmer dieses Mannes? Sie wusste die Antwort. Sie war verzweifelt einsam. Sie hungerte danach, mit jemandem sprechen zu können, hungerte danach, die Arme eines Mannes um sich zu fühlen, der sie hielt und sie ermutigte und ihr sagte, dass alles wunderbar werden würde. Es war so lange her. Sie dachte an David Kenyon, aber das war in einem anderen Leben, in einer anderen Welt. Sie verlangte so sehr nach ihm, dass es schmerzte. Etwas später, als Alan Preston seine Arme wieder um Jill legte, schloss sie die Augen, und es war David, der sie küsste und auszog und sie umarmte.

Jill verbrachte die Nacht bei Alan, und ein paar Tage danach zog er zu ihr in ihr kleines Apartment.

Alan Preston war der unkomplizierteste Mann, den Jill je kennengelernt hatte. Er war unbekümmert und locker, nahm jeden Tag, wie er kam, und sorgte sich nicht im Geringsten um das Morgen. Wenn Jill über seine Art Leben mit ihm diskutieren wollte, sagte er: »Erinnerst du dich an >Be-gegnung in Samarra<? Wenn es passieren soll, passiert es. Das Schicksal findet dich. Du brauchst es nicht zu suchen.«

Alan blieb noch lange, nachdem Jill gegangen war, um Arbeit zu suchen, im Bett. Wenn sie nach Hause kam, saß er in einem bequemen Sessel, las oder trank mit Freunden Bier. Er brachte kein Geld nach Hause.

»Du bist dämlich«, sagte eine von Jills Freundinnen zu ihr. »Er teilt dein Bett, trinkt deinen Schnaps. Schmeiß ihn raus.«

Aber Jill tat das nicht.

Zum erstenmal verstand Jill Harriet, verstand alle ihre Freundinnen, die sich verzweifelt an Männer klammerten, die sie nicht liebten.

Es war die Angst vor dem Alleinsein.

Jill war arbeitslos. In ein paar Tagen war Weihnachten, und sie war bei ihren letzten paar Dollar angelangt. Aber sie musste ihrer Mutter ein Weihnachtsgeschenk schicken. Alan löste das Problem. Er war eines

Morgens früh weggegangen, ohne zu sagen, wohin. Als er zurückkehrte, sagte er zu Jilclass="underline" »Wir haben einen Job.«

»Was für einen?«

»Spielen, natürlich. Wir sind Schauspieler, nicht wahr?«

Jill schaute ihn von plötzlicher Hoffnung erfüllt an. »Ist das dein Ernst?«

»Natürlich. Ich habe einen Freund getroffen, der Filmregisseur ist. Er beginnt morgen mit einem Film. Es sind Rollen für uns beide drin. Pro Person hundert Piepen, für nur einen Tag Arbeit.«

»Das ist ja großartig!« rief Jill aus. »Hundert Dollar!« Damit konnte sie ihrer Mutter wunderschönen englischen Wollstoff für einen Wintermantel kaufen und genug übrigbehalten, um für sich eine elegante Handtasche zu erstehen.

»Es ist allerdings nur ein kleiner Filmemacher. Es wird in irgendeiner Garage gedreht.«

Jill sagte: »Was können wir verlieren? Es ist eine Rolle.«

Die Garage lag im Süden von Los Angeles, in einem Bezirk, der innerhalb einer Generation seine Exklusivität verloren hatte und auf ein Mittelklasse-Niveau herabgesunken war.

Sie wurden von einem kleinen dunkelhäutigen Mann an der Tür begrüßt, der Alan die Hand gab und sagte: »Hast es geschafft, Kumpel? Großartig.«