Eine vertraute Stimme sagte ruhig: »Hallo, Josephine.« Sie drehte sich um, und er stand neben ihr, und sie blickte ihm in die Augen, und es war, als wären sie nie getrennt gewesen, als hätten sie einander immer gehört. Die Jahre hatten seinen Gesichtszügen mehr Reife verliehen, seinen Schläfen eine Spur von Grau hinzugefügt. Aber er hatte sich nicht verändert, war immer noch David, ihr David. Und doch waren sie Fremde.
Er sagte: »Darf ich dir mein Beileid aussprechen.«
Und sie hörte sich erwidern: »Danke, David.«
Wie in einem Theaterstück.
»Ich muss dich sprechen. Können wir uns heute abend treffen?« Seine Stimme war ein einziges Flehen.
Sie dachte an ihr letztes Zusammensein und an sein Verlangen und das Versprechen und die Träume. Und sie sagte: »Na gut, David.«
»Am See? Hast du einen Wagen?«
Sie nickte.
»Ich bin in einer Stunde da.«
Cissy stand nackt vor dem Spiegel und wollte sich gerade zu einem Abendessen anziehen, als David nach Hause kam. Er betrat ihr Schlafzimmer und musterte sie. Er konnte seine Frau ganz leidenschaftslos betrachten, denn er empfand nichts für sie. Sie war schön. Cissy hatte auf ihre Figur geachtet, hatte sie mit Diät und Gymnastik in Form gehalten. Ihr Körper war ihr Aktivposten, und David hatte Grund zu der Annahme, dass sie ihn großzügig mit anderen teilte, mit ihrem Golflehrer, ihrem Skilehrer, ihrem Flugausbilder. Aber er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Es war schon lange her, dass er mit ihr geschlafen hatte.
Anfangs hatte er wirklich geglaubt, dass sie in eine Scheidung einwilligen würde, wenn Mama Kenyon starb. Aber seine Mutter lebte immer noch und fühlte sich wohl. David konnte nicht sagen, ob er überlistet worden oder ob ein Wunder geschehen war. Ein Jahr nach ihrer Heirat hatte David zu Cissy gesagt: »Ich glaube, wir sollten jetzt über die Scheidung reden.«
Cissy hatte geantwortet: »Was für eine Scheidung?« Und als sie sein Erstaunen sah, lachte sie. »Ich bin gerne Mrs. David Kenyon, Liebling. Hast du wirklich geglaubt, ich würde dich für diese kleine polnische Hure aufgeben?«
Er hatte sie geohrfeigt.
Am nächsten Tag war er zu seinem Anwalt gegangen. Nachdem David die Situation geschildert hatte, sagte der Anwalt: »Ich kann Ihnen die Scheidung verschaffen. Aber wenn Cissy entschlossen ist, sich nicht von Ihnen zu trennen, David, wird es Sie verdammt teuer zu stehen kommen.«
»Verschaffen Sie sie mir.«
Nachdem Cissy die Scheidungsklage erhalten hatte, schloss sie sich in Davids Badezimmer ein und nahm eine Überdosis Schlaftabletten.
Es hatte Davids und zweier seiner Diener bedurft, die schwere Tür einzuschlagen. Cissy hatte zwei Tage mit dem Tode gerungen. David hatte sie in dem Privatkrankenhaus besucht, in das sie gebracht worden war.
»Tut mir leid, David«, hatte sie gesagt. »Ich könnte nicht ohne dich leben. So einfach ist das.«
Am nächsten Morgen hatte er die Scheidungsklage zurückgezogen.
Das war vor fast zehn Jahren gewesen, und Davids Ehe war zu einer Art Waffenstillstand geworden. Er hatte das Kenyon-Imperium übernommen und verwandte seine ganze Energie auf dessen Leitung. Er fand körperlichen Trost bei einer Kette von Mädchen, die er sich in den verschiedenen Städten der Welt hielt, wohin seine Geschäfte ihn führten.
Josephine aber konnte er nicht vergessen.
David hatte keine Ahnung, wie sie über ihn dachte. Er wollte es wissen, und doch fürchtete er sich davor, es herauszufinden. Sie hatte allen Grund, ihn zu hassen. Als er die Nachricht vom Tod ihrer Mutter erhalten hatte, war er zur Beerdigung gegangen, nur um sie zu sehen. Bei ihrem Anblick wusste er, dass sich nichts geändert hatte. Jedenfalls nicht für ihn. Die Jahre waren in einem Augenblick hinweggefegt, und er liebte sie noch genauso wie damals.
Ich muss dich sprechen… können wir uns heute abend treffen… Na gut,
David…
Am See.
Cissy drehte sich um, als sie Davids prüfenden Blick im Spiegel bemerkte. »Du solltest dich umziehen, David. Wir kommen zu spät.«
»Ich treffe mich mit Josephine. Wenn sie mich noch will, werde ich sie heiraten. Ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, diese Farce zu beenden, findest du nicht auch?«
Sie stand da und sah David an, ihr nackter Körper wurde im Spiegel reflektiert.
»Ich muss mich anziehen«, sagte sie.
David nickte und ging hinaus. Er betrat das große Wohnzimmer, schritt auf und ab und bereitete sich auf die Auseinandersetzung vor. Cissy würde sich nach all diesen Jahren sicherlich nicht an eine Ehe klammern wollen, die nur noch eine leere Hülle war. Er würde ihr alles geben, was sie -
Er hörte, wie Cissys Wagen gestartet wurde, und dann das Kreischen von Reifen, als er die Auffahrt hinunterschoss. David rannte zur Eingangstür und blickte hinaus. Cissys Maserati raste auf die Landstraße zu.
Hastig stieg David in seinen Wagen, ließ den Motor an und folgte Cissy die Auffahrt hinunter.
Als er die Landstraße erreichte, verschwand ihr Wagen gerade in der Entfernung. Er trat aufs Gaspedal. Der Maserati war schneller als Davids Rolls-Royce. Er gab noch mehr Gas: 105… 120… 135 km/h. Ihr Wagen war nicht mehr in Sichtweite.
150… 165… immer noch nichts von ihr zu sehen.
Er erreichte eine kleine Anhöhe, und da sah er den Wagen wie ein winziges Spielzeugauto um eine Kurve schießen. Die Reifen schienen kaum noch den Boden zu berühren, der Wagen schlingerte gefährlich über die Landstraße, fing sich dann wieder und erreichte die nächste Kurve. Doch plötzlich schoss er über den Straßenrand hinaus, wurde in die Luft katapultiert, überschlug sich und landete auf einem Feld.
David zog den wie leblosen Körper gerade noch aus dem Wagen, bevor der geborstene Benzintank Feuer fing.
Es war sechs Uhr am nächsten Morgen, als der Chefarzt den Operationssaal verließ und zu David sagte: »Sie wird es schaffen.«
Jill erreichte den See kurz vor Sonnenuntergang. Sie fuhr dicht an das Wasser heran, stellte den Motor ab und lauschte auf das Rauschen des Windes in der Luft. Ich weiß nicht, wann ich je so glücklich gewesen bin, dachte sie. Und dann korrigierte sie sich: Doch, hier, mit David. Und sie erinnerte sich an seinen Körper und wurde beinahe bewusstlos vor Verlangen. Was immer ihr Glück zerstört hatte, es zählte nicht mehr. Das hatte sie im selben Augenblick gefühlt, als sie David gesehen hatte. Er liebte sie noch immer. Sie wusste es.
Sie sah die blutrote Sonne in das ferne Wasser tauchen, und die Dunkelheit brach herein. Sie wünschte, David würde sich beeilen.
Eine Stunde verstrich, dann zwei, und die Luft wurde kühl. Sie saß im Wagen, ganz still. Sie betrachtete den riesigen, am Himmel treibenden Mond. Sie horchte auf die Nachtgeräusche ringsum und sagte sich: David wird kommen.
Sie saß die ganze Nacht so da, und am Morgen, als die Sonne den Horizont zu färben begann, ließ sie den Wagen an und fuhr heim nach Hollywood.
24.
Jill saß vor ihrem Frisiertisch und musterte ihr Gesicht im Spiegel. Sie entdeckte ein kaum sichtbares Fältchen im Augenwinkel und runzelte die Stirn. Es ist unfair, dachte sie. Ein Mann kann sich einfach gehenlassen. Er kann graues Haar, einen Spitzbauch und ein Gesicht wie eine Landkarte haben, niemand findet etwas dabei. Aber wenn eine Frau auch nur eine winzige Falte hat… Sie begann ihr Make-up aufzutragen. Bob Schiffer, Hollywoods Star unter den Maskenbildnern, hatte ihr einige Tricks beigebracht. Sie trug eine flüssige Grundierung anstelle des Puders auf, den sie früher benutzt hatte. Puder trocknete die Haut aus, während die Grundierung sie feucht hielt. Als nächstes konzentrierte sie sich auf ihre Augenpartie, trug das Make-up unter den Augen drei oder vier Schattierungen heller auf als das übrige, um die Augenringe abzudecken, verteilte ein wenig Lidschatten, um die Augen zu betonen, befestigte dann sorgfältig falsche Wimpern über ihren eigenen und bog sie nach oben. Sie bürstete ein wenig Mastix auf ihre eigenen und die falschen Wimpern, um so die Augen noch größer erscheinen zu lassen. Dann tupfte sie zarte Punkte auf das Unterlid. Danach trug Jill Lippenstift auf und puderte die Lippen, ehe sie eine zweite Schicht Lippenstift auftrug. Auf die Wangen kam ein wenig Rouge, bevor sie sich puderte, wobei sie die Partien um die Augen aussparte, wo der Puder die schwachen Fältchen nur noch hervorheben würde.