Jill setzte sich im Sessel zurück und prüfte die Wirkung im Spiegel. Sie
sah hinreißend aus. Eines Tages würde sie zum Klebetrick greifen müssen, aber das hatte Gott sei Dank noch viele Jahre Zeit. Jill kannte ältere Schauspielerinnen, die zu dieser Täuschung griffen. Sie befestigten winzige Klebestreifen dicht unter ihrem Haaransatz, an denen Fäden befestigt waren, die sie um den Kopf banden und unter ihrem Haar verbargen. Mit deren Hilfe sollte die erschlaffte Gesichtshaut gestrafft werden, eine Art Gesichts-Lifting ohne die Kosten und den Schmerz eines chirurgischen Eingriffs. Ähnlich ging man vor, um Hängebrüste zu kaschieren. Ein um die Brust gelegter und weit oben befestigter Klebestreifen ermöglichte eine einfache Lösung dieses Problems. Jills Brüste waren noch fest.
Nachdem sie ihr weiches, schwarzes Haar gekämmt hatte, sah sie noch einmal in den Spiegel, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie sich beeilen musste.
Sie hatte eine Besprechung wegen der »Toby-Temple-Show«.
25.
Eddie Berrigan, der Besetzungschef für Tobys Show, war verheiratet. Einer seiner Freunde stellte ihm dreimal in der Woche sein Apartment zur Verfügung. Einer der Nachmittage war für Berrigans Geliebte reserviert, die anderen beiden für das, was er als »altes Talent« und »neues Talent« bezeichnete.
Jill Castle war ein »neues Talent«. Mehrere Kollegen hatten Eddie erzählt, dass Jill phantastische Vorspiele kannte und auch sonst nicht untalentiert war. Eddie war scharf darauf, sie auszuprobieren. Jetzt war eine Rolle in einem Sketch zu besetzen, die genau das richtige für sie war. Für diese Rolle brauchte man nur sexy auszusehen, ein paar Sätze zu sprechen und abzugehen.
Jill las Eddie vor, und er war zufrieden. Sie war keine Kate Hepburn, aber das verlangte auch niemand. »Sie können die Rolle haben«, sagte er.
»Danke, Eddie.«
»Hier ist Ihr Text. Die Proben beginnen morgen früh Punkt zehn. Seien Sie pünktlich und haben Sie Ihren Text parat.«
»Selbstverständlich.« Sie wartete.
»Äh – wie war's mit einer Tasse Kaffee heute nachmittag?«
Jill nickte.
»Ein Freund von mir hat ein Apartment im Allerton.«
»Ich weiß, wo es ist«, sagte Jill.
»Apartment sechs D. Drei Uhr.«
Die Proben verliefen glatt. Es würde eine gute Show werden. Zu den Hauptattraktionen gehörten ein großartiges Tanzensemble aus Argentinien, eine Rock-and-Roll-Band, ein exzellenter Zauberer und ein berühmter Gesangsstar. Nur Toby Temple war nicht anwesend. Jill sprach Eddie Berrigan darauf an. »Ist er krank?«
Eddie brummte: »Das Fußvolk probt, während der alte Toby sich amüsiert. Er wird zur Aufnahme aufkreuzen und dann verduften.«
Toby Temple erschien Sonnabend früh und rauschte wie ein König ins Atelier. Aus einer Ecke des Studios beobachtete Till, wie er, seine drei Handlanger, Clifton Lawrence und zwei abgetakelte Komiker im Gefolge, hereinkam. Der Auftritt erfüllte Jill mit Verachtung. Sie wusste alles über Toby Temple. Er war krankhaft selbstgefällig und prahlte, wie es hieß, damit, dass er mit jeder hübschen Schauspielerin in Hollywood im Bett gewesen sei. Keine hatte ihm bisher einen Korb gegeben. O ja, Jill wusste Bescheid über den großen Toby Temple.
Der Regisseur, ein reizbarer, nervöser Mann namens Harry Durkin, stellte Toby die Mitwirkenden vor. Mit den meisten hatte Toby bereits gearbeitet. Hollywood war ein Dorf, und die Gesichter wurden einem bald vertraut. Jill Castle war Toby noch nie begegnet. Sie sah in ihrem beigefarbenen Leinenkleid schön, kühl und elegant aus.
»Und was spielen Sie, Süße?« fragte Toby.
»Ich bin im Astronauten-Sketch, Mr. Temple.«
Er schenkte ihr ein warmes Lächeln und sagte: »Meine Freunde nennen mich Toby.«
Man begann mit der Arbeit. Die Probe verlief ungewöhnlich glatt, und Durkin merkte schnell, weshalb. Toby wollte Jill imponieren. Er hatte jedes andere Mädchen in der Show aufs Kreuz gelegt, und Jill bedeutete eine neue Herausforderung für ihn.
Der Sketch, den Toby mit Jill spielte, war der Höhepunkt der Show. Toby fügte für Jill ein paar zusätzliche komische Zeilen ein. Nach der Probe sagte er zu ihr: »Wie war's mit einem Drink?«
»Herzlichen Dank, ich trinke nicht.« Jill lächelte und verschwand.
Sie hatte eine Verabredung mit einem Besetzungschef, und das war wichtiger als Toby Temple. Der war eine Eintagsfliege. Ein Besetzungschef dagegen bedeutete regelmäßige Beschäftigung.
Als die Show an jenem Abend gesendet wurde, war sie ein Riesenerfolg, eine der besten, die Toby Temple je gemacht hatte.
»Wieder ein Wurf«, sagte Clifton zu Toby. »Dieser Astronauten-Sketch war erstklassig.«
Toby grinste. »Yeah. Mir gefällt das Hühnchen darin. Die hat was Besonderes.«
»Sie ist hübsch«, bestätigte Clifton. Jede Woche gab es ein anderes Mädchen. Alle hatten was Besonderes, und alle gingen mit Toby ins Bett und waren am nächsten Tag vergessen.
»Arrangieren Sie ein Abendessen für uns drei, Cliff.«
Es war keine Bitte. Es war ein Befehl. Vor einigen Jahren noch hätte
Clifton Toby geantwortet, er solle sich selbst darum kümmern. Doch heute war das anders. Wenn Toby etwas von einem verlangte, tat man es. Er war ein König, und dies war sein Königreich, und wer nicht ausgestoßen werden wollte, musste sich seine Gunst erhalten.
»Klar, Toby«, sagte Clifton. »Ich werde es arrangieren.«
Clifton ging durch den Flur zur Garderobe, wo die Tänzerinnen und Schauspielerinnen sich umzogen. Er klopfte einmal an und trat ein. Im Raum befand sich ein Dutzend mehr oder weniger bekleidete Mädchen. Sie erwiderten seinen Gruß, schenkten ihm aber weiter keine Aufmerksamkeit. Jill hatte sich abgeschminkt und zog gerade ihren Mantel an. Clifton ging auf sie zu. »Sie waren sehr gut«, sagte er.
Jill warf ihm im Spiegel einen uninteressierten Blick zu. »Danke.« Es hatte eine Zeit gegeben, da es aufregend gewesen wäre, Clifton Lawrence so nahe zu sein. Er hätte ihr jede Tür in Hollywood öffnen können. Jetzt aber wusste jeder, dass er nur noch Toby Temples Handlanger war.
»Ich habe eine gute Nachricht für Sie. Mr. Temple möchte mit Ihnen zu Abend essen.«
Jill strich sich mit den Fingerspitzen durchs Haar und sagte: »Bestellen Sie ihm, dass ich müde bin. Ich gehe schlafen.« Und sie ging hinaus.
Das Essen an jenem Abend war höchst trübselig. Toby, Clifton Lawrence und Durkin, der Regisseur, saßen im La Rue in einer der Nischen. Durkin hatte vorgeschlagen, ein paar Mädchen aus der Show einzuladen, aber Toby hatte das wütend abgelehnt.
Der Kellner fragte: »Möchten Sie etwas bestellen, Mr. Temple?«
Toby wies auf Clifton und antwortete: »Ja. Bringen Sie dem Idioten dort eine Portion Zunge.«
Clifton stimmte in das Gelächter der anderen ein, um so zu tun, als handele es sich um einen Scherz.
Toby fuhr ihn an: »Ich habe Sie um die einfachste Sache der Welt gebeten: ein Mädchen zum Essen einzuladen. Wer hat Sie geheißen, sie zu verscheuchen?«
»Sie war müde«, erklärte Clifton. »Sie sagte -«
»Kein Weibsbild ist zu müde, um mit mir zu essen. Sie müssen etwas gesagt haben, was sie in Rage gebracht hat.« Toby hatte seine Stimme erhoben. Die Leute in der benachbarten Nische starrten zu ihnen herüber. Toby schenkte ihnen sein jungenhaftes Lächeln und sagte: »Das ist ein Abschiedsessen, Herrschaften.« Er zeigte auf Clif-ton. »Er hat sein Gehirn dem Zoo gespendet.«