Sie war die erste Person in seinem Leben, die ihm das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben vermochte.
Toby fürchtete sich jetzt beinahe, mit Jill ins Bett zu gehen, aus Angst, die Verzauberung würde weichen. Und trotzdem begehrte er sie mehr, als er jemals in seinem Leben eine Frau begehrt hatte. Einmal, am Ende eines gemeinsam verbrachten Abends, als Jill ihm einen flüchtigen Gutenachtkuss gab, griff er ihr zwischen die Beine und sagte: »Gott, Jill, ich werde noch verrückt, wenn ich dich nicht haben kann.« Sie zog sich zurück und sagte kalt: »Wenn du das willst, kannst du es dir überall in der Stadt für zwanzig Dollar kaufen.« Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Danach lehnte sie sich an die Tür, zitternd vor Furcht, dass sie zu weit gegangen sein könnte. Sie lag die ganze Nacht wach und grübelte.
Am nächsten Tag schickte Toby ihr ein Brillantarmband, und Jill wusste, dass alles in Ordnung war. Sie sandte das Armband mit ein paar Worten zurück, die sie sich sorgfältig überlegt hatte: »Trotzdem – vielen Dank. Du gibst mir das Gefühl, sehr schön zu sein.«
»Es hat mich dreitausend gekostet«, sagte Toby stolz zu Clifton, »und sie schickt es zurück!« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Was halten Sie von einem solchen Mädchen?«
Clifton hätte ihm genau sagen können, was er von ihr hielt, aber alles, was er sagte, war: »Sie ist in der Tat ungewöhnlich, mein Lieber.«
»Ungewöhnlich!« rief Toby aus. »Jedes Weibsstück in dieser Stadt ist scharf auf alles, worauf es seine heißen kleinen Hände legen kann. Jill ist das erste Mädchen, das ich kennengelernt habe, das sich einen Dreck um materielle Dinge schert. Machen Sie mir einen Vorwurf, dass ich verrückt nach ihr bin?«
»Nein«, sagte Clifton. Aber er machte sich Sorgen. Er wusste alles über Jill und fragte sich, ob er nicht früher hätte deutlich werden sollen.
»Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie Jill als Klientin annehmen würden«, sagte Toby zu Clifton. »Ich wette, sie könnte ein großer Star werden.«
Clifton parierte das geschickt, aber bestimmt: »Nein, danke, Toby. Ein Superstar am Hals ist genug«, sagte er lachend.
Am Abend wiederholte Toby diese Bemerkung Jill gegenüber.
Nach seinem erfolglosen Versuch achtete Toby darauf, das Thema Bett nicht mehr anzuschneiden. Und wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er stolz auf Jill war, weil sie sich ihm verweigerte. Alle anderen Mädchen, mit denen er gegangen war, waren Fußmatten gewesen. Jill nicht. Wenn Toby etwas tat, was Jill nicht für richtig hielt, sagte sie ihm das. Eines Abends fuhr Toby einen Mann an, der ihn wegen eines Autogramms belästigte. Später sagte Jilclass="underline" »Wenn du auf der Bühne sarkastisch bist, Toby, bist du komisch, aber diesen Mann hast du beleidigt.«
Toby war zurückgegangen und hatte sich bei dem Mann entschuldigt.
Jill sagte ihm auch, dass das viele Trinken nicht gut für ihn sei. Er setzte seinen Alkoholkonsum herab. Sie machte gelegentlich eine kritische Bemerkung über seine Anzüge, und er wechselte die Schneider. Toby erlaubte Jill, Dinge zu sagen, die er von niemandem sonst in der Welt hingenommen hätte. Niemand hatte je gewagt, ihn herumzukommandieren oder zu kritisieren.
Ausgenommen natürlich seine Mutter.
Jill weigerte sich, von Toby Geld oder teure Geschenke anzunehmen,
aber er wusste, dass sie nicht viel Geld haben konnte, und ihre Haltung machte ihn noch stolzer auf sie. Eines Abends, als Toby in Jills Apartment darauf wartete, dass sie sich zu einem Dinner umzog, bemerkte er einen Stapel Rechnungen im Wohnzimmer. Toby steckte sie in die Tasche und wies Clifton am nächsten Tag an, sie zu bezahlen. Toby kam sich vor, als hätte er einen Sieg errungen. Aber er wollte etwas Großes, etwas Entscheidendes für Jill tun. Und plötzlich wusste er, was er tun würde.
»Sam – ich möchte Ihnen einen ganz großen Gefallen tun!«
Vorsicht vor Stars, die einem Geschenke machen wollen, dachte Sam Winters gequält.
»Sie haben wie verrückt nach einem Mädchen für Kellers Film gesucht, stimmt's?« fragte Toby. »Nun, ich habe eines für Sie.« »Eine, die ich kenne?« fragte Sam.
»Sie haben sie in meinem Haus kennengelernt. Jill Castle.« Sam erinnerte sich an Jill. Schönes Gesicht, gute Figur und schwarzes Haar. Viel zu alt, um den Teenager in dem Keller-Film zu spielen. Aber wenn Toby Temple durchaus wollte, dass man Probeaufnahmen von ihr machte, würde Sam ihm den Gefallen tun. »Schicken Sie sie heute nachmittag zu mir«, sagte er.
Sam sorgte dafür, dass bei Jill Castles Probeaufnahmen sorgfältig gearbeitet wurde. Man gab ihr einen der besten Kameramänner des Studios, und Keller leitete persönlich die Probe.
Sam sah sich am nächsten Tag die Aufnahmen an. Wie er vermutet hatte, war Jill zu reif für die Rolle. Davon abgesehen, war sie nicht schlecht. Was ihr fehlte, war Charisma, der Zauber, der von der Leinwand ausstrahlt.
Er rief Toby Temple an. »Ich habe mir heute früh Jills Probeaufnahmen angesehen, Toby. Sie ist fotogen, und sie kann ihren Text sprechen, aber sie ist keine Hauptdarstellerin. Sie könnte mit kleineren Rollen Erfolg haben; wenn sie allerdings ihr Herz daran hängt, ein Star zu werden, ist sie, glaube ich, auf dem falschen Dampfer.«
Toby holte Jill an jenem Abend ab, um sie zu einem Essen zu Ehren eines berühmten englischen Regisseurs, der eben in Hollywood eingetroffen war, mitzunehmen. Jill hatte sich sehr darauf gefreut.
Sie öffnete Toby die Tür, und im selben Augenblick, in dem er eintrat, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. »Du hast etwas über meine Probeaufnahmen erfahren«, sagte sie.
Er nickte widerstrebend. »Ich habe mit Sam Winters gesprochen.« Er erzählte ihr, was Sam gesagt hatte, und versuchte, den Schlag zu mildern.
Jill stand da, hörte zu und sagte kein Wort. Sie war ihrer Sache so sicher gewesen. Die Rolle hatte so richtig geschienen. Wie aus dem Nichts kam die Erinnerung an den goldenen Pokal im Schaufenster des Waren-
hauses. Das kleine Mädchen hatte vor Verlangen und Verlust Schmerzen gelitten; Jill spürte jetzt dieselbe Verzweiflung.
Toby sagte: »Hör zu, Liebling, mach dir keine Sorgen. Winters weiß nicht, wovon er redet.«
O ja, er wusste es! Sie würde es nicht schaffen. All die Qual und der Schmerz und die Hoffnung waren umsonst gewesen. Es war, als ob ihre Mutter Recht behalten hätte und ein rächender Gott Jill für etwas strafte, von dem sie nicht wusste, was es war. Sie konnte den Prediger schreien hören: Seht ihr dieses kleine Mädchen? Es wird für seine Sünden in der Hölle brennen, wenn es seine Seele nicht Gott anempfiehlt und bereut. Sie war voll guten Willens und mit vielen Träumen in diese Stadt gekommen, und die Stadt hatte sie gedemütigt.
Sie wurde von unerträglicher Trauer überwältigt und war sich nicht bewusst, dass sie schluchzte, bis sie Toby s Arm um sich fühlte.
»Seht! Es ist ja alles in Ordnung«, sagte er, und seine Sanftmut bewirkte, dass sie noch mehr weinte.
Und während er sie in den Armen hielt, erzählte sie ihm davon, dass ihr Vater gestorben war, als sie geboren wurde, und von dem goldenen Pokal und den Missionsabenden und den Kopfschmerzen und den mit Entsetzen erfüllten Nächten, während sie darauf wartete, dass Gott sie erschlug. Sie erzählte ihm von den unzähligen trostlosen Jobs, die sie angenommen hatte, um Schauspielerin zu werden, und von den Serien von Niederlagen. Ein tiefverwurzelter Instinkt hinderte sie, die Männer in ihrem Leben zu erwähnen. Obgleich sie angefangen hatte, mit Toby ein Spiel zu spielen, war sie jetzt jenseits aller Arglist. In diesem Augenblick tiefsten Verletztseins drang sie zu ihm durch. Sie berührte eine tief in ihm verborgene Saite, die kein anderer je angeschlagen hatte.
Er trocknete ihre Tränen mit seinem Taschentuch. »Ja, wenn du glaubst, dass du es schwer gehabt hast«, sagte er, »dann hör dir das an. Mein Alter war Fleischer und…«