Er blinzelte sie tränenüberströmt an und flog in ihre Arme, und sie wiegte ihn an ihrem riesigen Busen. Toby fühlte sich plötzlich verloren und verängstigt bei dem Gedanken, sie zu verlassen. Und doch erfüllte ihn eine Erregung, die Freude darüber, ein neues Leben zu beginnen. Er würde im Showgeschäft Einzug halten. Er würde ein Star sein; er würde berühmt werden. Seine Mutter hatte es gesagt.
2.
Im Jahre 1939 war New York ein Mekka der Theaterwelt. Die Depression war vorüber. Präsident Franklin Roosevelt hatte versprochen, dass nichts zu fürchten sei als die Furcht selbst, dass Amerika die wohlhabendste Nation auf der Welt werden würde, und so war es auch. Jedermann hatte Geld und gab es aus. Dreißig Theaterstücke wurden am Broadway gespielt, und alle schienen Erfolge zu sein.
Toby kam in New York mit hundert Dollar an, die seine Mutter ihm gegeben hatte. Toby wusste, dass er reich und berühmt werden würde. Er würde seine Mutter nachkommen lassen, und sie würden in einem schönen Penthouse wohnen. Und sie würde jeden Abend ins Theater gehen, um mit anzusehen, wie das Publikum ihm applaudierte. In der Zwischenzeit musste er einen Job finden. Er ging zu den Bühneneingängen aller Broadway-Theater und erzählte den Leuten von all den Amateurwettbewerben, die er gewonnen hatte, und wie begabt er sei. Man warf ihn hinaus. In den Wochen, die Toby auf Jobsuche war, schmuggelte er sich in Theater und Nachtklubs und beobachtete die Arbeit der Spitzendarsteller, besonders der Komiker. Er sah Ben Blue und Joe E. Lewis und Frank Fay. Toby wusste, dass er eines Tages besser sein würde als sie alle.
Da sein Geld zu Ende ging, nahm er einen Job als Tellerwäscher an. Jeden Sonntagmorgen, wenn die Telefongebühren niedrig waren, rief er seine Mutter an. Sie erzählte Toby von der Aufregung, die sein Davonlaufen verursacht hatte.
»Du solltest sie sehen«, sagte seine Mutter. »Der Polizist kommt jeden Abend in seinem Streifenwagen her. Wie der angibt, könnte man denken, wir seien Verbrecher. Er fragt dauernd, wo du bist.«
»Und was antwortest du ihm?« fragte Toby ängstlich.
»Die Wahrheit. Dass du dich wie ein Dieb in der Nacht aus dem Staub gemacht hast, und wenn ich dich je erwischte, würde ich dir persönlich den Hals umdrehen.«
Toby lachte schallend.
Im Sommer gelang es Toby, einen Job als Gehilfe eines Zauberkünstlers zu bekommen, eines untalentierten Pfuschers mit kleinen Glitzeraugen, der unter dem Namen »der große Merlin« auftrat. Sie gastierten in einer Reihe zweitklassiger Hotels in den Catskills, und Tobys Hauptaufgabe bestand darin, die schwere Ausrüstung aus Merlins Kombiwagen heraus- und wieder hineinzuhieven. Außerdem war es seine Pflicht, die Requisiten zu bewachen, die aus sechs weißen Kaninchen, drei Kanarienvögeln und zwei Hamstern bestanden. Wegen Merlins Angst, dass die Requisiten »aufgegessen werden könnten«, musste Toby mit ihnen in Zimmern von der Größe einer Besenkammer hausen, und Toby schien es, dass der ganze Sommer aus einem überwältigenden Gestank bestand. Er befand sich in einem Zustand physischer Erschöpfung, bedingt durch das Tragen der schweren Gehäuse mit Trickseiten und falschen Böden und das Aufpassen auf die Requisiten, die dauernd davonliefen. Er war einsam und enttäuscht. Er saß da, starrte die schäbigen kleinen Zimmer an und fragte sich, wozu er hier war und wie diese Tätigkeit ihn im Showgeschäft voranbringen sollte. Er übte seine Imitationen vor dem Spiegel ein, und sein Publikum bestand aus Merlins übelriechenden Tieren.
Eines Sonntags gegen Ende des Sommers rief Toby wie gewöhnlich zu Hause an. Diesmal war sein Vater am Apparat.
»Toby hier, Pop. Wie geht's dir?«
Schweigen.
»Hallo! Bist du da?«
»Ja, ich bin da, Toby.« Etwas in der Stimme seines Vaters ließ Toby frösteln.
»Wo ist Mom?«
»Sie ist gestern Abend ins Krankenhaus gebracht worden.«
Toby packte den Hörer so fest, dass er ihn fast zerquetschte. »Was ist passiert?«
»Der Doktor sagte, es war ein Herzanfall.«
Nein! Nicht seine Mutter! »Sie wird aber gesund werden, nicht wahr?« fragte Toby. Er schrie in die Sprechmuscheclass="underline" »Sag mir, dass sie gesund werden wird, verdammt noch mal!«
Wie aus unendlicher Entfernung hörte er seinen Vater unter Schluchzen sagen: »Sie – sie ist vor ein paar Stunden gestorben, mein Sohn.«
Die Worte überfluteten Toby wie weißglühende Lava, versengten ihn, bis sein Körper sich anfühlte, als stünde er in Flammen. Sein Vater log. Sie konnte nicht tot sein. Sie hatten einen Pakt geschlossen. Toby würde berühmt werden, und seine Mutter würde an seiner Seite sein. Ein schönes Penthouse wartete auf sie und eine Limousine mit Chauffeur und Pelze und Brillanten… Er schluchzte so sehr, dass er nicht atmen konnte. Er hörte die ferne Stimme sagen: »Toby! Toby!«
»Ich komme sofort heim. Wann ist die Beerdigung?«
»Morgen«, sagte sein Vater. »Aber du darfst nicht hierher kommen. Sie erwarten dich, Toby. Eileen bekommt bald ihr Kind. Ihr Vater will dich umbringen. Sie werden dir bei der Beerdigung auflauern.«
Er konnte also dem einzigen Wesen auf der Welt, das er liebte, nicht einmal Lebewohl sagen. Toby lag den ganzen Tag im Bett und hing seinen Erinnerungen nach. Die Bilder von seiner Mutter waren so lebhaft und lebendig. Sie war in der Küche, kochte und sagte ihm, was für ein bedeutender Mann er werden würde; sie saß im Theater, in der ersten Reihe, und rief: »Himmel! Was für ein begabter Junge!«
Und sie lachte über seine Imitationen und Witze. Und sie packte seinen Handkoffer. Wenn du ein berühmter Star bist, wirst du mich nachkommen lassen. Er lag da, betäubt vor Qual, und dachte: Ich werde diesen Tag nie vergessen. Nicht, solange ich lebe. Der 14. August 1939. Dies ist der wichtigste Tag meines Lebens.
Er hatte recht. Nicht wegen des Todes seiner Mutter, sondern wegen eines Ereignisses, das sich in diesem Augenblick in Odessa, Texas, fünfhundert Meilen entfernt, zutrug.
Das Krankenhaus war ein namenloses, vierstöckiges Gebäude mit den typischen Merkmalen einer Wohlfahrtsinstitution. Das Innere war ein Kaninchengehege aus Kabinen, dazu bestimmt, Krankheiten zu diagnostizieren, sie zu lindern, zu heilen und manchmal auch zu begraben. Es war ein medizinischer Supermarkt, und für jedermann war etwas da.
Es war vier Uhr morgens, die Stunde des stillen Todes oder des unregelmäßigen Schlafes. Eine Atempause für das Krankenhauspersonal, ehe es sich für die Schlachten des nächsten Tages rüstet.
Das Entbindungsteam im vierten OP war in Schwierigkeiten. Was als Routine-Entbindung begonnen hatte, war plötzlich ein Krisenfall geworden. Bis zur Entbindung selbst war alles normal verlaufen. Mrs. Karl Czinski war eine gesunde Frau in der Blüte ihrer Jahre mit den breiten Hüften einer Bäuerin, die der Traum eines Geburtshelfers sind. Die Preßwehen hatten eingesetzt, und alles verlief planmäßig.
»Steißgeburt«, kündigte der Geburtshelfer Dr. Wilson an. Das war keineswegs alarmierend. Obgleich nur drei Prozent aller Geburten Steißgeburten sind, lassen sich diese gewöhnlich ohne Schwierigkeiten durchführen. Es gibt drei Arten von Steißgeburten: die natürliche, bei der keine Hilfe nötig ist; diejenige, bei der ein Geburtshelfer gebraucht wird; und ein völliger Stillstand, so dass das Kind im Mutterschoß bleibt.