Die Zimmer waren schon Monate im voraus reserviert worden, aber Toby Temple hatte keine Schwierigkeiten, eine große Suite im Carlton zu bekommen. Toby und Jill wurden überall, wohin sie auch kamen, gefeiert. Die Kameras klickten unaufhörlich, und ihre Bilder erschienen in der ganzen Welt. Das Goldene Paar, König und Königin von Hollywood. Reporter interviewten Jill und fragten nach ihrer Meinung über alles, von französischen Weinen bis zu afrikanischer Politik. Josephine Czinski aus Odessa, Texas, lag in weiter Ferne.
Tobys Film gewann zwar keinen Preis, aber zwei Abende vor Beendigung der Festspiele verkündete das Preisrichterkomitee, dass Toby Temple für seinen Beitrag auf dem Gebiet der Unterhaltung mit einem Sonderpreis ausgezeichnet werden sollte.
Es war eine Veranstaltung, bei der man Smoking trug, und der große Bankettsaal im Carlton quoll über von Gästen. Jill saß auf der Estrade neben Toby. Sie bemerkte, dass er nicht aß. »Was ist los, Liebling?« fragte sie.
Toby schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich habe ich zuviel Sonne abbekommen. Ich fühle mich ein bisschen benebelt.«
»Morgen werde ich dafür sorgen, dass du dich ausruhst.« Jill hatte einen Tagesplan für Toby aufgestellt: Interviews mit Paris Match und der Londoner Times am Vormittag, Lunch mit einer Gruppe von Fernsehreportern, danach eine Cocktail-Party. Sie beschloss, die weniger wichtigen Verabredungen zu streichen.
Als das Essen beendet war, erhob sich der Bürgermeister von Cannes und stellte Toby vor: »Mesdames, messieurs et nos invites
honores, c'est un grand privilege ce jour pour moi de vous introduire un komme qni a donne bonheur etplaisirau monde entier.J'ai l'hon-neur de lui presenter cette medaille speciale, un signe de nos affecti-ons et appredations.« Er hielt eine goldene Medaille mit Band empor und verbeugte sich vor Toby. »Monsieur Toby Temple!« Ein begeisterter Applaus brach los, und das Publikum im großen Bankettsaal erhob sich zu einer Ovation. Toby blieb bewegungslos auf seinem Stuhl sitzen.
»Steh auf«, flüsterte Jill.
Langsam erhob sich Toby, blass und unsicher. Er stand einen Augenblick da, lächelte und ging dann aufs Mikrophon zu. Auf halbem Weg stolperte er und sank bewusstlos zu Boden.
Toby Temple wurde in einer Düsenmaschine der französischen Luftwaffe nach Paris geflogen und auf dem schnellsten Weg ins amerikanische Hospital gebracht, wo er auf die Intensivstation gelegt wurde. Die besten Spezialisten Frankreichs wurden gerufen, während Jill in einem Privatzimmer im Hospital saß und wartete. Sechsunddreißig Stunden aß und trank sie nichts und nahm keinen der Telefonanrufe entgegen, die aus allen Teilen der Welt im Hospital einliefen.
Sie saß da, starrte die Wände an und sah und hörte nichts vom geschäftigen Treiben ringsum. Ihre Gedanken waren nur auf das eine gerichtet: Toby musste wieder gesund werden. Toby war ihre Sonne, und wenn die Sonne erlosch, würde auch der Schatten sterben. Das konnte sie nicht zulassen.
Es war fünf Uhr morgens, als Dr. Duclos, der Chefarzt, das Privatzimmer betrat, das Jill sich genommen hatte, um Toby nahe zu sein. »Mrs. Temple – ich fürchte, es hat keinen Sinn, das Unglück zu beschönigen. Ihr Gatte hat einen schweren Schlaganfall erlitten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er nie wieder gehen oder sprechen können.«
31.
Als man Jill endlich erlaubte, Tobys Krankenzimmer zu betreten, war sie entsetzt über sein Aussehen. Über Nacht war Toby alt geworden und geschrumpft, als wären alle seine Lebenssäfte aus ihm herausgeflossen. Seine Arme und Beine waren partiell gelähmt, und obgleich er grunzende, tierische Laute von sich geben konnte, war er unfähig zu sprechen.
Es dauerte sechs Wochen, bis die Ärzte einem Transport zustimmten. Als Toby und Jill in Kalifornien eintrafen, wurden sie auf dem Flugplatz von Presse und Fernsehen und Hunderten von besorgten Fans umdrängt. Toby Temples Erkrankung war eine Super-Sensation gewesen. Unaufhörlich riefen Freunde und Bekannte an, um sich nach Tobys Befinden und seinen Fortschritten zu erkundigen. Fernsehteams versuchten, ins Haus zu gelangen, um Aufnahmen von ihm zu machen. Es kamen Schreiben vom Präsidenten und von Senatoren und Tausende von Briefen und Postkarten von Verehrern, die Toby Temple liebten und für ihn beteten.
Aber die Einladungen hatten aufgehört. Niemand rief an, um sich nach Jills Befinden zu erkundigen oder zu fragen, ob sie zu einem gemütlichen Dinner kommen oder irgendwohin fahren oder einen Film sehen wollte. Niemand in Hollywood sorgte sich auch nur im entferntesten um Jill.
Sie hatte Tobys Hausarzt, Dr. Eli Kaplan, kommen lassen, der zwei berühmte Neurologen hinzugezogen hatte, einen vom UCLA Medical Center und den anderen vom John Hopkins. Ihre Diagnose entsprach der von Dr. Duclos in Paris.
»Es ist wichtig, stets daran zu denken«, sagte Dr. Kaplan zu Jill, »dass Tobys Verstand in keiner Weise gelitten hat. Er kann alles hören und begreifen, was Sie sagen, aber sein Sprechvermögen und seine Bewegungsfunktionen sind beeinträchtigt. Er kann nicht reagieren.«
»Wird – wird er immer so bleiben?«
Dr. Kaplan zögerte. »Es ist unmöglich, eine absolut sichere Prognose zu stellen, aber unserer Meinung nach ist sein Nervensystem zu sehr beschädigt, als dass eine Therapie eine nachhaltige Wirkung haben könnte.«
»Doch Sie wissen es nicht genau.«
»Nein…«
Aber Jill wusste es.
Zusätzlich zu den drei Schwestern, die Toby rund um die Uhr pflegten, ließ Jill jeden Morgen einen Heilgymnastiker kommen, der mit Toby arbeitete. Der Mann trug Toby in den Swimming-pool und hielt ihn in den Armen, vorsichtig die Muskeln und Sehnen streckend, während Toby im warmen Wasser schwach mit den Beinen zu stoßen und die Arme zu bewegen versuchte. Es war kein Fortschritt zu erkennen. In der vierten Woche wurde eine Sprach-Therapeutin engagiert. Sie kam jeden Nachmittag eine Stunde und versuchte, Toby wieder das Sprechen beizubringen.
Nach zwei Monaten konnte Jill keine Änderung feststellen. Nicht die geringste. Sie ließ Dr. Kaplan kommen.
»Sie müssen etwas tun, um ihm zu helfen«, verlangte sie. »Sie können ihn nicht in diesem Zustand lassen.«
Er blickte sie hilflos an. »Es tut mir leid, Jill. Ich habe versucht, Ihnen zu erklären…«
Jill saß noch lange, nachdem Dr. Kaplan gegangen war, allein in der Bibliothek. Einer ihrer heftigen Kopfschmerzanfälle setzte wieder ein, aber sie hatte keine Zeit, jetzt an sich zu denken. Sie ging zu Toby hinauf.
Er saß aufgestützt im Bett und starrte ins Leere. Als Jill auf ihn zuging, leuchteten Tobys tiefblaue Augen auf. Sie folgten Jill hell und lebendig, als sie an sein Bett trat und auf ihn hinunterblickte. Er bewegte die Lippen, und ein unverständlicher Laut kam heraus. Tränen der Enttäuschung stiegen ihm in die Augen. Jill erinnerte sich an Dr. Kaplans Worte: Es ist wichtig, stets daran zu denken, dass Tobys Verstand in keiner Weise gelitten hat.
Jill setzte sich auf die Bettkante. »Toby, ich möchte, dass du mir zuhörst. Du wirst aus diesem Bett aufstehen. Du wirst wieder gehen, und du wirst wieder sprechen.« Tränen rannen ihm über die Wangen. »Du wirst es tun«, sagte Jill. »Du wirst es für mich tun.«
Am folgenden Morgen entließ Jill die Schwestern, den Heilgymnastiker und die Sprach-Therapeutin. Sowie er die Neuigkeit hörte, suchte Dr. Kaplan Jill auf.
»In Bezug auf den Heilgymnastiker bin ich ganz Ihrer Meinung, Jill. Aber die Schwestern! Es muss ständig jemand bei Toby sein -«
»Ich werde bei ihm sein.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie haben keine Ahnung, worauf Sie sich da einlassen. Ein Mensch allein kann nicht -«
»Ich werde Sie rufen, wenn ich Sie brauche.«