Eines Tages fand Jill ein Telegramm unter der Tür, in dem sie gebeten wurde, Dr. Kaplan anzurufen. Dafür war keine Zeit. Der Arbeitsplan musste eingehalten werden.
Die Tage und Nächte wurden zu einem kafkaesken Alptraum, der daraus bestand, Toby zu baden, Übungen mit ihm zu machen, seine Windeln zu wechseln, ihn zu rasieren und zu füttern.
Und dann begann alles wieder von vorn.
Sie schaffte ein Gehgestell für Toby an, legte seine Finger um die Holme und bewegte seine Beine, hielt ihn aufrecht und versuchte, ihm die Bewegungen zu zeigen, schob ihn vor und zurück durch das Zimmer, bis sie fast im Stehen einschlief und kaum noch wusste, wo oder wer sie war oder was sie tat.
Dann kam ein Tag, an dem Jill klar wurde, dass es ein Ende haben musste.
Sie war die halbe Nacht mit Toby aufgewesen und schließlich in ihr eigenes Schlafzimmer gegangen, wo sie kurz vor Morgengrauen in einen betäubenden Schlaf gefallen war. Als sie aufwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Sie hatte bis weit nach zwölf geschlafen. Toby war weder gefüttert noch gebadet, noch gewindelt worden. Er lag hilflos in seinem Bett und wartete wahrscheinlich in panischer Unruhe auf sie. Jill wollte sich erheben und stellte fest, dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie war von einer so bleiernen Müdigkeit erfüllt, dass ihr ausgepumpter Körper ihr nicht länger gehorchen wollte. Sie lag da, hilflos und in dem Bewusstsein, dass sie verloren hatte, dass alles umsonst gewesen war, die ganzen höllischen Tage und Nächte, die Monate der Agonie, nichts hatte auch nur den geringsten Erfolg gehabt. Ihr Körper hatte sie ebenso im Stich gelassen, wie Toby von seinem Körper verraten worden war. Jill hatte keine Kraft mehr, um sie auf ihn zu übertragen, und sie hätte am liebsten geweint. Es war aus. Sie hörte ein Geräusch an ihrer Schlafzimmertür und wandte den Kopf. Toby stand im Türrahmen, ohne Hilfe, mit zitternden Armen das Gehgestell umklammernd, aus seinem Mund drangen unverständliche, sabbernde Geräusche, er kämpfte darum, etwas zu sagen.
Er versuchte, »Jill« zu sagen. Sie begann unbeherrscht zu schluchzen und konnte nicht aufhören.
Von diesem Tage an waren Tobys Fortschritte augenfällig. Zum ersten Mal wusste auch er, dass er gesund werden würde. Er wehrte sich nicht mehr, wenn Jill ihn über die Grenze seiner Kraft antrieb. Er wollte für sie gesund werden. Jill war seine Göttin geworden; hatte er sie vorher geliebt, so betete er sie jetzt an.
Und etwas war auch in Jill vorgegangen. Vorher war es ihr eigenes Leben gewesen, um das sie gekämpft hatte. Toby war bloß das Instrument, das sie gezwungenermaßen benutzte. Doch das hatte sich jetzt geändert. Als wäre Toby ein Teil von ihr geworden. Sie waren ein Körper und ein Geist und eine Seele, besessen vom selben Ziel. Sie waren durch ein reinigendes Fegefeuer gegangen. Sein Leben hatte in ihren Händen gelegen, und sie hatte es gehegt und gestärkt und gerettet, und daraus war eine Art von Liebe erwachsen. Toby gehörte zu ihr, so wie sie zu ihm gehörte.
Jill stellte Tobys Ernährung um, so dass er bald sein früheres Körpergewicht wiedererlangte. Er verbrachte täglich einige Zeit in der Sonne und unternahm lange Spaziergänge auf dem Anwesen, zunächst mit Hilfe des Gehgestells, später mit einem Stock. Als der Tag kam, an dem Toby allein gehen konnte, feierten beide das Ereignis mit einem Essen bei Kerzenlicht.
Schließlich befand Jill, dass Toby vorgeführt werden konnte. Sie rief Dr. Kaplan an.
»Jill! Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht. Ich habe bei Ihnen angerufen, aber es meldete sich niemand. Ich habe ein Telegramm geschickt, und als ich nichts hörte, nahm ich an, Sie hätten Toby irgendwohin gebracht. Ist er – hat er -«
»Kommen Sie und überzeugen Sie sich selbst, Eli.«
Dr. Kaplan konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »Es ist unglaublich«, sagte er zu Jill. »Es – es ist wie ein Wunder.«
»Es ist ein Wunder«, entgegnete Jill. Nur musst du dir in diesem Leben deine Wunder selbst schaffen, weil Gott anderweitig beschäftigt ist.
»Die Leute rufen mich immer noch an, um sich nach Toby zu erkundigen«, sagte Dr. Kaplan. »Offensichtlich haben sie Sie nie erreichen können. Sam Winters ruft wenigstens einmal in der Woche an. Auch Clifton Lawrence hat oft angerufen.«
Clifton Lawrence war für Jill uninteressant. Aber Sam Winters! Das war gut. Jill musste einen Weg finden, um die Welt wissen zu lassen, dass Toby Temple immer noch ein Superstar war, dass sie beide immer noch das Goldene Paar waren.
Am nächsten Morgen rief Jill Sam Winters an und fragte ihn, ob er Lust hätte, Toby zu besuchen. Sam traf eine Stunde später ein. Jill öffnete ihm die Haustür, und Sam versuchte, sich sein Entsetzen über ihr Aussehen nicht anmerken zu lassen. Jill war um zehn Jahre gealtert seit ihrer letzten Begegnung. Ihre Augen lagen eingesunken und von braunen Ringen umgeben in einem von tiefen Linien gezeichneten Gesicht. Sie hatte so stark abgenommen, dass sie fast einem Skelett glich.
»Nett, dass Sie gekommen sind, Sam. Toby wird sich freuen, Sie zu sehen.«
Sam war darauf vorbereitet gewesen, Toby im Bett vorzufinden, als einen Schatten dessen, was er einst gewesen war, aber auf ihn wartete eine kaum glaubliche Überraschung. Toby ruhte auf einer Liege neben dem Schwimmbecken, und als Sam näher kam, stand Toby auf, ein wenig langsam zwar, aber sicher, und streckte ihm eine feste Hand entgegen. Er war braungebrannt, wirkte gesund und sah besser aus als vor seinem Schlaganfall. Wie durch einen geheimnisvollen chemischen Prozess schienen Jills Gesundheit und Lebenskraft in Tobys Körper geflossen zu sein, während Tobys Krankheit nun Jill ergriffen hatte.
»Hallo! Großartig, Sie wiederzusehen, Sam.«
Toby sprach ein wenig langsamer und präziser als früher, aber klar und kräftig. Kein Anzeichen einer Lähmung, wie Sam gehört hatte. Das war unverändert das jungenhafte Gesicht mit den strahlenden blauen Augen. Sam umarmte Toby herzlich und sagte: »Mein Gott, Sie haben uns wirklich einen Schreck eingejagt.«
Toby grinste und sagte: »Sie brauchen mich nicht >mein Gott< zu nennen, wenn wir allein sind.«
Sam musterte Toby eingehender und staunte. »Ich komme ehrlich nicht darüber hinweg. Verdammt noch mal, Sie sehen jünger aus. Die ganze Stadt hatte schon Begräbnisvorbereitungen getroffen.«
»Nur über meine Leiche«, sagte Toby lächelnd.
Sam meinte: »Es ist phantastisch, was die Ärzte heute alles -«
»Nicht die Ärzte.« Toby wandte seinen Blick Jill zu, und reine Bewunderung strahlte aus seinen Augen. »Wollen Sie wissen, wer es fertiggebracht hat? Jill. Ganz allein Jill. Mit ihren beiden Händen. Sie schickte alle fort und brachte mich wieder auf die Beine.«
Sam warf Jill einen verblüfften Blick zu. Er hatte sie nicht für eine Frau gehalten, die zu derart selbstlosem Handeln fähig war. Vielleicht hatte er sie falsch eingeschätzt. »Was für Pläne haben Sie?« fragte er Toby. »Ich nehme an, dass Sie sich ausruhen wollen und -«
»Toby wird wieder arbeiten«, sagte Jill. »Er ist viel zu engagiert, um untätig herumzusitzen.«
»Ich bin ganz wild auf Arbeit«, stimmte Toby zu.
»Vielleicht hat Sam etwas für dich«, gab Jill das Stichwort.
Beide beobachteten ihn. Sam wollte Toby nicht entmutigen, aber er wollte auch keine falschen Hoffnungen wecken. Es war unmöglich, mit einem Star einen Film zu machen, wenn er nicht versichert war, und keine Gesellschaft der Welt würde Toby Temple versichern.
»Im Augenblick haben wir nichts Geeignetes auf Lager«, sagte Sam vorsichtig. »Aber ich werde natürlich die Augen offenhalten.«
»Sie haben Angst, ihn einzusetzen, nicht wahr?« Es war, als ob sie seine Gedanken lesen könnte.
»Selbstverständlich nicht.« Doch beide wussten, dass er log.
Niemand in Hollywood würde das Risiko eingehen, Toby Temple wieder zu engagieren.