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Sie löste die Bremse am Rollstuhl und schob Toby durch den Gang in den Lift. Sie stand hinter ihm, während sie abwärts fuhren, damit sie seine Augen nicht sehen musste. Aber sie konnte sie fühlen. Und sie konnte die ungesunde, feuchte Kälte der Luft spüren, die sich im Fahrstuhl ausbreitete, sie einhüllte, überwältigte, ihre Lungen mit Fäulnis anfüllte, bis sie zu würgen begann. Sie konnte nicht atmen. Sie sank keuchend in die Knie, kämpfte darum, nicht bewusstlos zu werden, solange sie mit ihm in dem Lift gefangen war. Sie war der Bewusstlosigkeit nahe, als sich die Fahrstuhltür öffnete. So schnell sie konnte, kroch sie in das warme Sonnenlicht hinaus, lag tief atmend auf dem Boden und sog die frische Luft ein. Langsam kam sie wieder zu Kräften. Sie drehte sich zum Fahrstuhl um. Toby wartete lauernd im Rollstuhl. Jill schob ihn rasch aus dem Lift und auf das Schwimmbecken zu. Es war ein herrlicher, wolkenloser Tag, warm und balsamisch, und die Sonne funkelte auf dem blauen, klaren Wasser.

Jill rollte den Krankenstuhl an den Rand des Beckens, wo das Wasser tief war, und legte die Bremse vor. Sie trat vor den Rollstuhl. Tobys Augen waren wachsam und verwirrt auf sie gerichtet. Jill griff nach den Gurten, die Toby im Stuhl hielten, und zurrte sie so fest, wie sie konnte; zog mit aller ihr noch verbliebenen Kraft und spürte, dass ihr von der Anstrengung wieder schwindlig wurde. Dann war es geschafft. Jill sah, wie Tobys Augen sich veränderten, als er begriff, was geschah, und wie sie sich mit panischer Angst füllten.

Jill löste die Bremse, packte den Griff des Rollstuhls und schob ihn auf das Wasser zu. Toby versuchte, seine gelähmten Lippen zu bewegen, versuchte zu schreien, doch er brachte keinen Laut heraus, und die Wirkung war entsetzlich. Sie konnte es nicht ertragen, in seine Augen zu blicken. Sie wollte nicht wissen, was er empfand.

Sie schob den Rollstuhl ganz an das Becken heran.

Dort blieb er hängen. Er wurde von einer Betonschwelle am Rand zurückgehalten. Sie drückte kräftig, aber er rollte nicht über die Schwelle. Es war, als ob Toby durch seine bloße Willenskraft den Rollstuhl zurückhielt. Jill bemerkte, wie er, um sein Leben kämpfend, sich in dem Stuhl aufzurichten versuchte. Er würde loskommen, sich befreien, mit seinen knochigen Fingern nach ihrer Kehle greifen… Sie konnte hören, wie er schrie: Ich will nicht sterben… Ich will nicht sterben, und sie wusste nicht, ob es ihre Einbildung war oder ob es tatsächlich geschah. Unter dem Ansturm des Entsetzens kehrte plötzlich ihre Kraft zurück, und sie stieß, so kräftig sie konnte, gegen die Rücklehne des Rollstuhls. Er sprang nach vorn und aufwärts in die Luft und hing dort, wie es schien, bewegungslos eine Ewigkeit, ehe er laut aufklatschend ins Schwimmbecken stürzte. Der Rollstuhl schien noch lange auf dem Wasser zu schwimmen, ehe er langsam zu sinken begann. Die Wasserwirbel drehten den Stuhl um, so dass Jill als letztes Tobys Augen sah, die sie in die Hölle verfluchten, ehe sich das Wasser über ihnen schloss.

Sie stand eine Ewigkeit da, schauderte in der warmen Mittagssonne und ließ die Kraft in ihren Geist und Körper zurückfließen. Als sie endlich fähig war, sich wieder zu bewegen, stieg sie über die Schwimmbadtreppe ins Wasser hinunter, damit ihr Badeanzug nass wurde. Dann ging sie ins Haus, um die Polizei zu rufen.

35.

Toby Temples Tod machte Schlagzeilen in der ganzen Welt. Und wenn Toby wie ein Volksheld gefeiert wurde, verehrte man Jill wie eine Heldin. Hunderttausende von Wörtern wurden über sie gedruckt, ihre Bilder erschienen in allen Medien. Ihre große Liebesgeschichte wurde wieder und wieder berichtet, und das tragische Ende gab ihr eine noch größere Eindringlichkeit. Briefe und Beileidstelegramme strömten in ihr Haus: von Staatsoberhäuptern, Hausfrauen, Politikern, Millionären, Sekretärinnen. Die Welt hatte einen persönlichen Verlust erlitten; Toby hatte die Gabe seines Lachens mit seinen Verehrern geteilt, und sie würden ihm ewig dankbar sein. Die Ätherwellen waren voller Lobpreisungen über ihn, und jeder Sender würdigte ihn.

Es würde nie mehr einen zweiten Toby Temple geben.

Die Gerichtsverhandlung über die Todesursache fand im Kriminalgerichtsgebäude an der Grand Avenue im Geschäftszentrum von Los Angeles in einem kleinen, beengten Gerichtssaal statt. Ein Untersuchungsrichter führte den Vorsitz der Verhandlung vor der mit sechs Geschworenen besetzten Jury.

Der Saal war brechend voll. Als Jill ankam, stürzten sich Fotografen und Reporter und Fans auf sie. Sie trug ein einfaches schwarzes Kostüm. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, hatte aber nie schöner ausgesehen. In den wenigen Tagen seit Tobys Tod war Jill wieder aufgeblüht. Zum erstenmal seit Monaten konnte sie tief und traumlos schlafen. Sie hatte einen unersättlichen Appetit, und ihre Kopfschmerzen waren verflogen. Der Dämon war verschwunden.

Jill hatte täglich mit David telefoniert. Er wollte zur Gerichtsverhandlung kommen, aber Jill hatte darauf bestanden, dass er fortbliebe. Später würden sie genug Zeit füreinander haben.

»Für den Rest unseres Lebens«, hatte David ihr gelobt.

Sechs Zeugen wurden in der Verhandlung aufgerufen. Schwester Gal-lagher, Schwester Gordon und Schwester Johnson sagten über den allgemeinen Tagesablauf ihres Patienten und über seinen Zustand aus. Schwester Gallagher war bei ihrer Zeugenaussage.

»Um welche Zeit wäre Ihr Dienst am fraglichen Morgen beendet gewesen?« fragte der Vorsitzende.

»Um zehn.«

»Wann gingen Sie tatsächlich?«

Zögern. »Neun Uhr dreißig.«

»War es üblich, Mrs. Gallagher, dass Sie Ihren Patienten verließen, ehe Ihre Ablösung kam?«

»Nein, Sir. Es war das erstemal.«

»Würden Sie erklären, wie Sie dazu kamen, an diesem Tag früher zu gehen?«

»Es war Mrs. Temples Vorschlag. Sie wollte mit ihrem Mann allein sein.«

»Danke. Das ist alles.«

Schwester Gallagher verließ den Zeugenstand. Natürlich war Toby Temples Tod ein Unfall, dachte sie. Es ist ein Jammer, dass man eine so großartige Frau wie Jill Temple einer derartig schweren Prüfung unterziehen muss. Schwester Gallagher blickte zu Jill hinüber und empfand einen leisen Stich von Schuld. Sie erinnerte sich an die Nacht, in der sie in Mrs. Temples Schlafzimmer gegangen war und sie im Sessel eingeschlafen vorgefunden hatte. Schwester Gallagher hatte leise das Licht ausgedreht und die Tür geschlossen, damit Mrs. Temple nicht gestört wurde. In der dunklen Diele hatte Schwester Gallagher eine Vase auf einem Ständer angestoßen, die hinuntergefallen und zerbrochen war. Sie hatte es Mrs. Temple gestehen wollen, aber die Vase sah sehr kostbar aus, und als Mrs. Temple es nicht erwähnt hatte, beschloss Schwester Gallagher, nichts zu sagen.

Der Heilgymnastiker war im Zeugenstand.

»Sie haben gewöhnlich mit Mr. Temple täglich Übungen gemacht?«

»Ja, Sir.«

»Fanden diese Übungen im Schwimmbecken statt?«

»Ja, Sir. Das Wasser wurde auf sechsunddreißig Grad angeheizt und -«

»Haben Sie Mr. Temple an dem fraglichen Tag behandelt?«

»Nein, Sir.«

»Würden Sie uns bitte sagen, warum?« »Sie schickte mich fort.« »Mit >sie< meinen Sie Mrs. Temple?« »Genau.«

»Hat sie Ihnen irgendeinen Grund dafür angegeben?« »Sie sagte, dass Dr. Kaplan die Übungen mit ihm nicht mehr wünschte.«

»Sie verließen also das Haus, ohne Mr. Temple gesehen zu haben?« »So ist es. Ja.«

Dr. Kaplan trat in den Zeugenstand.

»Mrs. Temple rief Sie nach dem Unfall an, Dr. Kaplan. Haben Sie den

Verstorbenen sofort nach Ihrer Ankunft auf dem Schauplatz untersucht?«

»Ja. Die Polizei hatte die Leiche aus dem Schwimmbecken herausgezogen. Sie war immer noch im Rollstuhl angeschnallt. Der Polizeiarzt und ich untersuchten die Leiche und stellten fest, dass es für jeden Wiederbelebungsversuch zu spät war. Beide Lungen waren mit Wasser gefüllt. Wir konnten keinerlei Lebenszeichen mehr entdecken.«