Clifton Lawrence hatte eine Menge Erinnerungen.
Neben Clifton stand Alice Tanner.
Sie war in die Erinnerung an Tobys erste Vorsprache in ihrem Büro versunken. Irgendwo hinter all diesen Filmstars steckt ein junger Mann mit einer großen Begabung… Nachdem ich diese Profis gestern abend gesehen habe, glaube ich nicht, dass ich das Zeug dazu habe. Und ihre Liebe zu ihm. O Toby, ich liebe dich so sehr… Ich liebe dich auch, Alice… Dann war er gegangen. Aber sie war dankbar dafür, dass er einmal ihr gehört hatte.
Auch AI Caruso war gekommen, um Toby die letzte Ehre zu erweisen. Er war gebeugt und grauhaarig, und seine braunen Nikolausaugen standen voll Tränen. Er erinnerte sich daran, wie wunderbar Toby zu Millie gewesen war.
Sam Winters war da. Er dachte an das Vergnügen, das Toby Temple Millionen von Menschen geschenkt hatte, und er fragte sich, ob es den Schmerz aufwog, den Toby einigen anderen zugefügt hatte.
Jemand stieß Sam leise an, und als er sich umdrehte, sah er ein hübsches, etwa achtzehnjähriges schwarzhaariges Mädchen. »Sie kennen mich nicht, Mr. Winters«, sagte sie lächelnd, »aber ich habe gehört, dass Sie ein Mädchen für den neuen William-Forbes-Film suchen. Ich bin aus Ohio, und…«
David Kenyon war da. Jill hatte ihn gebeten, nicht zu kommen, aber David hatte darauf bestanden. Er wollte ihr nahe sein. Jill vermutete, dass es jetzt keinen Schaden mehr anrichten konnte. Sie hatte ihre Vorstellung beendet.
Das Stück war vorbei und ihre Rolle zu Ende. Jill war so glücklich und so müde. Es war, als ob das Fegefeuer, durch das sie gegangen war, den harten Kern der Verbitterung in ihr ausgebrannt, alle Schmerzen und Enttäuschungen und allen Hass gelöscht hätte. Jill Castle war beim Brandopfer gestorben, und Josephine Czinski war aus der Asche wiedergeboren worden. Sie hatte nun wieder Frieden, war voller Liebe für jeden und war von einer Zufriedenheit erfüllt, wie sie sie seit ihrer Jugend nicht mehr empfunden hatte. Sie war noch nie so glücklich gewesen. Sie hätte es am liebsten der ganzen Welt mitgeteilt.
Die Begräbnisfeierlichkeiten gingen zu Ende. Jemand reichte Jill den Arm, und sie ließ sich zur Limousine führen. Als sie zum Wagen kam, stand David dort und blickte sie bewundernd an. Jill lächelte ihm zu.
David nahm ihre Hände in die seinen, und sie wechselten ein paar Worte miteinander. Ein Pressefotograf machte einen Schnappschuss von ihnen.
Jill und David beschlossen, fünf Monate mit der Heirat zu warten, damit für die Öffentlichkeit die Schicklichkeit gewahrt wurde. David verbrachte einen großen Teil jener Zeit außer Landes, aber sie telefonierten jeden Tag miteinander. Vier Monate nach Tobys Beerdigung rief David Jill an und sagte: »Ich hatte einen Gedankenblitz. Warten wir nicht länger. Ich muss nächste Woche zu einer Konferenz nach Europa. Fahren wir mit der Bretagne nach Frankreich. Der Kapitän kann uns trauen. Unsere Flitterwochen verbringen wir in Paris, und von dort reisen wir so lange, wie du willst, irgendwohin. Was meinst du?« »O ja, David, ja!«
Sie umfasste das Haus noch einmal mit einem Blick und dachte an alles, was hier geschehen war. Sie erinnerte sich an ihre erste DinnerParty und an die vielen darauffolgenden Parties und an Tobys Krankheit und ihren Kampf, ihm das Leben wiederzuschenken. Und dann… hier gab es zu viele Erinnerungen. Sie war froh, von hier fortzukommen.
37.
Davids Privatjet flog Jill nach New York. Dort wartete eine Limousine auf sie, um sie ins Regency Hotel an der Park Avenue zu bringen. Der Direktor persönlich geleitete Jill in ein riesiges Penthouse-Apartment.
»Das Hotel steht in jeder Hinsicht zu Ihren Diensten, Mrs. Temple«, sagte er. »Mr. Kenyon hat uns angewiesen, dafür zu sorgen, dass Sie alles haben, was Sie brauchen.«
Zehn Minuten, nachdem Jill im Hotel eingetroffen war, rief David von Texas aus an. »Bist du gut untergebracht?« fragte er.
»Es ist ein bisschen beengt«, sagte Jill lachend. »Hier sind fünf Schlafzimmer, David. Was fange ich mit denen bloß an?«
»Wenn ich da wäre, würde ich es dir zeigen«, sagte er.
»Leere Versprechungen«, neckte sie ihn. »Wann werde ich dich sehen?«
»Die Bretagne läuft morgen mittag aus. Ich muss noch einiges hier abwickeln. Ich treffe dich an Bord des Schiffes. Ich habe die HochzeitsSuite reservieren lassen. Glücklich, Liebling?«
»Ich bin noch nie glücklicher gewesen«, versicherte Jill. Und es war wahr. Alles, was vorher geschehen war, all der Schmerz und die Pein hatten sich gelohnt. Jetzt schien es fern und verschwommen, wie ein halbvergessener Traum.
»Ein Wagen wird dich morgen früh abholen. Der Fahrer wird dir deine Schiffskarte bringen.«
»Ich werde bereit sein«, sagte Jill.
Morgen.
Das Foto von Jill und David Kenyon, das bei Tobys Beerdigung aufgenommen und an eine Zeitungskette verkauft worden war, hätte der Auslöser gewesen sein können. Auch eine unachtsame Bemerkung von einem der Angestellten des Hotels, in dem Jill wohnte, oder eines Mannschaftsmitglieds der Bretagne. Auf keinen Fall wäre es möglich gewesen, die Heiratspläne einer Persönlichkeit, die so berühmt war wie Jill Temple, geheimzuhalten. Den ersten Hinweis auf ihre bevorstehende Heirat brachte eine Meldung von Associated Press, die sowohl von den Zeitungen in den Vereinigten Staaten als auch in ganz Europa auf der ersten Seite groß herausgestellt wurde.
Auch im Hollywood Reporter und in der Daily Variety wurde darüber berichtet.
Die Limousine fuhr Punkt zehn vor dem Hotel vor. Ein Pförtner und drei Pagen luden Jills Gepäck in den Wagen. Der Morgenverkehr war mäßig, und die Fahrt zum Pier 90 nahm weniger als eine halbe Stunde in Anspruch.
Ein ranghoher Schiffsoffizier empfing Jill am Fallreep. »Es ist uns eine Ehre, Sie an Bord zu haben, Mrs. Temple«, sagte er. »Alles ist für Sie bereit. Wollen Sie mir bitte folgen?«
Er begleitete Jill aufs Promenadendeck und führte sie in eine große, luftige Suite mit einem eigenen Sonnendeck. Die Kabinen waren mit frischen Blumen reich geschmückt.
»Der Kapitän bat mich, Ihnen seine Empfehlung zu übermitteln. Er wird Sie heute abend beim Dinner persönlich begrüßen. Mich hat er beauftragt, Ihnen zu sagen, dass es ihm eine Ehre ist, Ihre Eheschließung vorzunehmen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Jill. »Wissen Sie, ob Mr. Kenyon schon an Bord ist?«
»Wir haben soeben einen Telefonanruf bekommen. Er ist vom Flughafen unterwegs. Sein Gepäck ist schon hier. Wenn Sie irgend etwas brauchen, lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Vielen Dank«, erwiderte Jill. »Im Augenblick brauche ich nichts.« Und das stimmte. Es gab nichts, was sie nicht schon hatte. Sie war die glücklichste Frau der Welt.
Es wurde an die Kabinentür geklopft, ein Steward trat ein und brachte noch mehr Blumen. Jill sah sich die Karte an. Sie waren vom Präsidenten der Vereinigten Staaten. Erinnerungen. Sie verbannte sie aus ihren Gedanken und begann auszupacken.
Er stand an der Reling auf dem Hauptdeck und musterte die Passagiere, die an Bord kamen. Jeder war in festlicher Stimmung, bereitete sich auf einen Urlaub vor oder traf liebe Bekannte an Bord. Einige lächelten ihm zu, aber der Mann schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. Er beobachtete die Laufplanke.
Um elf Uhr vierzig vormittags, zwanzig Minuten vor der Abfahrt, raste
ein von einem Chauffeur gelenkter Silver Shadow den Pier 90 hinauf und hielt. David Kenyon sprang aus dem Wagen, sah auf seine Uhr und sagte zum Chauffeur: »Perfektes Timing, Otto.«
»Danke, Sir. Und darf ich Ihnen und Mrs. Kenyon eine glückliche Hochzeitsreise wünschen?«
»Danke.« David Kenyon eilte auf die Laufplanke zu, wo er seine Schiffskarte vorwies. Er wurde von dem Offizier, der sich um Jill gekümmert hatte, an Bord geleitet.