Выбрать главу

3.

Mit dem Tag der Arbeit, am 1. Montag im September, war die Sommersaison in den Catskills vorüber, »der große Merlin« war arbeitslos und mit ihm Toby. Toby konnte gehen, wohin er wollte. Aber wohin sollte er gehen? Er war ohne Heim, ohne Arbeit und ohne einen Cent. Die Entscheidung wurde Toby abgenommen, als eine Besucherin ihm fünfundzwanzig Dollar dafür bot, sie und ihre drei kleinen Kinder von den Catskills nach Chicago zu fahren.

Toby ging, ohne sich von dem »großen Merlin« oder seinen stinkenden Requisiten zu verabschieden.

Das Chicago des Jahres 1939 war eine blühende, weltoffene Stadt. Es war eine Stadt, die ihren Preis hatte, und diejenigen, die sich auskannten, konnten alles kaufen, von Frauen über Narkotika bis zu Politikern. Es gab Hunderte von Nachtklubs, die für jeden Geschmack etwas boten. Toby klapperte sie alle ab, von dem großen frechen Chez Paree bis zu den kleinen Bars in der Rush Street. Die Antwort war stets dieselbe. Niemand wollte einen jungen Anfänger als Komiker anstellen. Tobys Uhr lief ab. Es wurde Zeit für ihn, den Traum seiner Mutter zu verwirklichen. Er war beinahe neunzehn Jahre alt.

Einer der Klubs, in denen Toby herumlungerte, war der Knee High, wo die Unterhaltung von einer müden Combo, bestehend aus drei Instrumenten, von einem abgetakelten, betrunkenen Komiker und zwei Stripperinnen, Meri und Jen, bestritten wurde, die als die Perry Sisters angekündigt und, so unglaubwürdig es klingt, tatsächlich Schwestern waren. Sie waren in den Zwanzigern und attraktiv auf eine billige, schlampige Art. Jeri trat eines Abends an die Bar heran und setzte sich neben Toby. Er lächelte und sagte höflich: »Ihre Nummer gefällt mir.« Jeri drehte sich ihm zu, um ihn anzusehen, und erblickte einen naiven jungen Mann mit einem Kindergesicht, zu jung und zu schlecht angezogen, um als Opfer in Frage zu kommen. Sie nickte gleichgültig und wollte sich abwenden, als Toby aufstand. Jeri starrte auf die verräterische Ausbuchtung in seiner Hose, dann sah sie wieder zu dem unschuldigen jungen Gesicht auf. »Ach du lieber Gott«, sagte sie.

»Gehört das alles zu Ihnen?«

Er lächelte: »Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Um drei Uhr an diesem Morgen war Toby mit beiden Perry Sisters im Bett.

Alles war peinlich genau geplant worden. Eine Stunde vor Beginn der Show hatte Jeri den Komiker des Klubs, einen besessenen Spieler, in ein Apartment in der Diversey Avenue gebracht, wo ein Würfelspiel im Gange war. Der Komiker leckte sich die Lippen und sagte: »Wir können nur eine Minute bleiben.«

Dreißig Minuten später, als Jeri davonschlich, warf der Komiker die Würfel und schrie wie ein Verrückter, in einer Phantasiewelt verloren, in der Erfolg und Reichtum an jedem Auge des Würfels hingen.

Im Knee High saß Toby an der Bar, schmuck und elegant, und wartete.

Als die Show anfangen sollte und der Komiker noch nicht erschienen war, begann der Inhaber des Klubs zu toben und zu fluchen. »Diesmal ist der Scheißkerl erledigt, habt ihr verstanden? Keinen Fuß darf der mehr in meinen Klub setzen!«

»Kann ich Ihnen nicht verübeln«, sagte Meri. »Aber Sie haben Glück. Da an der Bar sitzt ein neuer Komiker. Er ist gerade aus New York gekommen.«

»Was? Wo?« Der Inhaber warf einen kurzen Blick auf Toby. »Um Himmels willen, wo hat der seine Kinderfrau gelassen? Er ist ja noch ein Baby!«

»Er ist großartig!« sagte Jeri. Und sie wusste, wovon sie sprach.

»Versuchen Sie es mit ihm«, fügte Meri hinzu. »Was können Sie schon verlieren?«

»Meine gottverdammten Gäste!« Aber er zuckte die Schultern und ging zu Toby hinüber. »Sie sind also Komiker, was?«

»Nun ja«, sagte Toby beiläufig. »Ich habe gerade eine Tournee durch die Catskills hinter mir.«

Der Inhaber sah ihn einen Augenblick an. »Wie alt sind Sie?«

»Zweiundzwanzig«, log Toby.

»Scheiße. Na gut. Auf die Bühne mit Ihnen. Und wenn Sie Mist bauen, überleben Sie Ihr zweiundzwanzigstes Jahr nicht.«

Nun war es soweit. Toby Temples Traum sollte endlich Wirklichkeit werden. Er stand im Rampenlicht, während die Kapelle einen Tusch für ihn spielte und das Publikum, sein Publikum, dasaß und

Darauf wartete, ihn zu entdecken, für ihn zu schwärmen. Er fühlte eine Welle der Zuneigung, die so stark war, dass er das Gefühl hatte, ein Kloß stecke in seinem Hals. Es war, als ob er und das Publikum eins wären, miteinander verbunden durch ein wundervolles magisches Band. Einen Augenblick dachte er an seine Mutter und hoffte, dass sie ihn, wo immer sie sein mochte, jetzt sehen konnte. Der Tusch war zu Ende. Toby begann sein Abendprogramm.

»Guten Abend, ihr glücklichen Leute. Ich heiße Toby Temple. Ich schätze, Sie wissen alle, wie Sie heißen.«

Schweigen.

Er fuhr fort: »Haben Sie von dem neuen Chef der Mafia in Chicago gehört? Der ist schwul. Von jetzt ab ist im Todeskuß Dinner und Tanz inbegriffen.«

Kein Gelächter. Sie starrten ihn an, kalt und feindselig, und Toby spürte, wie scharfe Klauen der Furcht sich in seinen Magen krallten. Sein Körper war plötzlich schweißnass. Das wundervolle magische Band zum Publikum war gerissen.

Er machte weiter. »Ich hatte kürzlich ein Engagement in Maine oben. Das Theater lag so tief drinnen im Wald, dass der Manager ein Bär war.«

Schweigen. Sie verabscheuten ihn.

»Niemand hat mir gesagt, dass dies hier eine Versammlung von Taubstummen ist. Ich komme mir vor wie auf der Titanic. Es ist, als liefe man die Laufplanke hinauf, und da ist gar kein Schiff.«

Die ersten Buhrufe wurden laut. Zwei Minuten, nachdem Toby angefangen hatte, gab der Klub-Inhaber den Musikern wütend ein Zeichen. Sie begannen laut draufloszuspielen, um Tobys Stimme zu übertönen. Er stand da, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Aber seine Augen brannten vor Tränen.

Er hatte Lust, sie anzuschreien.

Die Schreie weckten Mrs. Czinski auf. Sie waren hoch und wild, furchterregend in der Stille der Nacht, und erst, als sie sich im Bett aufsetzte, merkte sie, dass das Kind schrie. Sie eilte in den Nebenraum, den sie als Kinderzimmer eingerichtet hatte. Josephine wälzte sich von einer Seite auf die andere, ihr Gesicht war blau vor Krumpfen. Im Krankenhaus gab ein Assistenzarzt dem Kind ein intravenöses Beruhigungsmittel, und es schlief friedlich ein. Dr. Wilson, der Josephine entbunden hatte, untersuchte sie eingehend. Er konnte nichts Krankhaftes feststellen. Aber er fühlte sich unbehaglich. Er konnte die Uhr an der Wand nicht vergessen.

4.

Das Variete in Amerika hatte seine Blütezeit von 1881 bis 1932 und war endgültig tot, als das Palace Theatre in jenem Jahr seine Türen schloss. Das Variete war das Übungsfeld für alle aufstrebenden jungen Komiker gewesen, das Schlachtfeld, auf dem sie ihren Witz gegen feindliche, höhnische Zuhörer schärften. Jene Komiker allerdings, die sich durchsetzten, erlangten Ruhm und Vermögen. Eddie Cantor und W. C. Fields, Jolson und Benny, Abbott und Costello, Jessel und Bums, die Marx Brothers und Dutzende mehr. Das Variete war ein Hafen, eine stete Einkommensquelle, aber als das Variete tot war, mussten die Komiker sich anderen Bereichen zuwenden. Die Stars unter ihnen wurden für Radio-Sendungen und persönliche Auftritte engagiert, und sie gastierten auch in den bedeutenden Nachtklubs im ganzen Land. Für die sich abmühenden jungen Komiker wie Toby sah die Sache jedoch anders aus. Auch sie traten in Nachtklubs auf, aber das war eine ganz andere Welt. Sie wurde die »Klo-Tour« genannt, und das war noch ein beschönigender Ausdruck. Sie setzte sich aus den dreckigsten Saloons im ganzen Land zusammen, wo der ungewaschene Pöbel sich versammelte, um Bier zu saufen, die Stripperinnen anzurülpsen und rein aus Sport die Komiker fertigzumachen. Die Ankleidekabinen glichen Kloaken, die nach abgestandenem Essen, scharfen Getränken, Urin und billigem Parfüm stanken, alles überlagert von dem widerlichen Geruch von Furcht: Pleiteschweiß. Die Klosetts waren so schmutzig, dass die Schauspielerinnen sich über den Ausguss des Ankleidezimmers hockten, um zu urinieren. Die Bezahlung schwankte zwischen einer unverdaulichen Mahlzeit bis zu fünf, zehn oder manchmal fünfzehn Dollar pro Abend und hing ganz von der Reaktion des Publikums ab.