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Toby Temple trat in allen auf, und hier machte er seine Lehrzeit durch. Die Namen der Städte wechselten, aber die Lokale waren stets die gleichen, die Gerüche waren die gleichen, und das feindlich gesinnte Publikum war das gleiche. Wenn sie einen Darsteller nicht mochten, warfen sie Bierflaschen nach ihm, belästigten ihn durch

Zwischenrufe während seines Auftritts und begleiteten seinen Abgang mit einem Pfeifkonzert. Es war eine harte Schule, aber eine gute, weil sie Toby alle Tricks beibrachte, um zu überleben. Er lernte, mit betrunkenen Touristen und nüchternen Ganoven umzugehen und die beiden nie zu verwechseln. Er lernte, einen potentiellen Zwischenrufer auszumachen und ihn zu überleben, indem er ihn um einen Schluck aus seinem Glas oder um eine Serviette bat, um sich die Stirn zu wischen.

Toby schwatzte sich in Lokale mit Namen wie Lake Kiamesha und Shawanga Lodge und The Avon hinein. Er trat in Wildwood, New Jersey, in den Sons of Italy und in Moose Halls auf.

Und er lernte unentwegt.

Tobys Nummer bestand aus der Parodierung beliebter Songs, aus Imitationen von Gable und Grant und Bogart und Cagney und aus Texten, die von den Komikern mit großen Namen, die sich teure Autoren leisten konnten, gestohlen waren. Alle aufstrebenden Komiker stahlen ihren Text und prahlten noch damit. »Ich mache Jerry Lester« – das hieß: sie verwendeten seinen Text -, »und ich bin doppelt so gut wie er.« – »Ich mache Milton Berle.« – »Sie sollten mal meinen Red Skelton sehen.«

Weil der Text der Schlüssel zu allem war, stahlen sie nur von den Besten.

Toby versuchte alles. Er fixierte das gleichgültige, starre Publikum mit seinen versonnenen blauen Augen und sagte: »Haben Sie je einen Eskimo pinkeln sehen?« Darauf legte er beide Hände vor seinen Hosenschlitz, und heraus tröpfelten Eisstückchen.

Er setzte einen Turban auf und wickelte sich in ein Laken. »Abdul, der Schlangenbeschwörer«, kündigte er an. Er spielte auf einer Flöte, und aus einem Weidenkorb wand sich eine Kobra hervor, die sich rhythmisch nach der Musik bewegte, da Toby an Drähten zog. Der Körper der Schlange war ein Irrigator, ihr Kopf war das Schlauchende. Es war immer jemand im Publikum, der das komisch fand.

Er brachte die Standard-Witze, die auch der Dümmste begriff. Er hatte Dutzende von »Knüllern« auf Lager; denn er musste stets bereit sein, von einer Nummer auf die nächste umzuschalten, ehe die Bierflaschen flogen.

Und wo immer er auftrat, wurde seine Darbietung vom Rauschen einer Toilettenspülung begleitet.

Toby reiste im Bus durchs Land. Wenn er in eine neue Stadt kam, pflegte er im billigsten Hotel oder in der einfachsten Pension abzusteigen und sich dann über die Nachtklubs und Bars und Pferdewett-lokale zu informieren. Er stopfte Pappe in die Sohlen seiner Schuhe und weißte seine Hemdkragen mit Kreide, um Wäscherechnungen zu sparen. Die Städte waren alle trostlos, und das Essen war immer schlecht; aber es war die Einsamkeit, die ihn zerfraß. Er hatte niemanden. Es gab keinen einzigen Menschen im ganzen Universum, den es interessierte, ob er lebte oder starb. Von Zeit zu Zeit schrieb er an seinen Vater, aber eher aus Pflichtgefühl als aus Liebe. Toby brauchte verzweifelt jemanden, mit dem er sprechen konnte, jemanden, der ihn verstand, seine Träume mit ihm teilte.

Er beobachtete, wie die erfolgreichen Unterhaltungskünstler, umringt von Bewunderern und in Begleitung schöner Frauen, die großen Klubs verließen und in blitzenden Limousinen davonfuhren, und Toby beneidete sie. Eines Tages…

Die schlimmsten Augenblicke waren, wenn er durchfiel, wenn er mitten in seiner Nummer ausgebuht und hinausgeworfen wurde, ehe er eine Chance gehabt hatte, überhaupt anzufangen. Dann hasste Toby das Publikum, wollte es umbringen. Es ging nicht nur darum, dass er versagt hatte – er hatte von Grund auf versagt. Noch tiefer konnte er nicht sinken; er war bereits ganz unten angelangt. Er verkroch sich in seinem Hotelzimmer und weinte und bat Gott, ihn in Ruhe zu lassen, diese Begierde von ihm zu nehmen, die ihn zwang, vor einem Publikum zu stehen und es zu unterhalten. Gott, betete er, lass mich ein Schuhverkäufer oder Fleischer sein wollen. Alles, bloß nicht das. Seine Mutter hatte sich geirrt. Gott hatte ihn nicht erwählt. Er würde nie berühmt werden. Morgen würde er sich eine andere Arbeit suchen. Er würde sich nach einem Bürojob mit geregelter Arbeitszeit umsehen und wie ein normales menschliches Wesen leben.

Und am nächsten Abend stand er doch wieder auf der Bühne, trug seine Imitationen vor, erzählte seine Witze und versuchte, die Leute für sich zu gewinnen, ehe sie sich gegen ihn wandten und ihn angriffen.

Er lächelte sie unschuldig an und sagte: »Es gab einmal einen Mann, der so verliebt in seine Ente war, dass er sie sogar mit ins Kino nahm. Als der Kassierer ihn nicht hineinlassen wollte, stopfte er sich die Ente vorn in seine Hose und ging hinein. Neben ihm saß eine Frau. Die wandte sich an ihren Mann und sagte: »Ralph, der Mann neben mir hat seinen Penis draußen.« Ralph wollte wissen, ob er sie belästigte. »Nein«, sagte sie. »Dann vergiss es und guck dir den Film an. « Kurz darauf stieß die Frau ihren Mann erneut an und flüsterte: »Ralph – sein Penis -«.

»Ich habe dir doch gesagt«, antwortete ihr Mann, »beachte ihn einfach nicht. « »Wie sollte ich nicht? Er frisst meinen Puffmais!«

Er trat jeweils nur einen Abend im Three Six Five in San Francisco, in Rudy's Rail in New York und in Kin Wa Low's in Toledo auf. Er agierte bei Klempnerversammlungen und auf Festbanketts.

Und er lernte.

Er trat täglich bis zu fünfmal auf kleinen Bühnen auf, die sich Odeon, Empire oder Star nannten.

Und er lernte.

Und schließlich gehörte zu jenen Dingen, die Toby Temple lernte, dass er ohne weiteres den Rest seines Lebens auf der »Klo-Tour« verbringen konnte, unbekannt und unentdeckt. Da aber ereignete sich etwas, das

dieses Problem zunächst in den Hintergrund drängte.

An einem kalten Sonntagnachmittag Anfang Dezember 1941 trat Toby im Dewey Theatre an der Fourteenth Street in New York auf, wo jede Nummer fünfmal pro Tag gegeben wurde. Es standen acht Nummern auf dem Programm, und zu Tobys Aufgaben gehörte es, sie anzusagen. Die erste Show ging gut. Während der zweiten Show, als Toby die Fliegenden Kanazawas vorstellte, eine japanische Akrobatenfamilie, wurden sie vom Publikum ausgezischt. Sie zogen sich sofort hinter die Bühne zurück. »Was zum Donnerwetter ist denn mit denen da draußen los?« fragte er.

»Mein Gott, haben Sie's nicht gehört? Die Japsen haben vor ein paar Stunden Pearl Harbor angegriffen«, informierte ihn der Bühnenmeister.

»Na und?« fragte Toby. »Sehen Sie sich diese Jungs an – die sind großartig.«

In der nächsten Show, als die japanische Truppe an der Reihe war, ging Toby auf die Bühne und sagte: »Ladies und Gentlemen, es ist mir eine große Ehre, Ihnen – frisch von ihrem Triumph in Manila zurückgekehrt – die Fliegenden Filipinos vorzustellen!« Sowie das Publikum die japanische Truppe sah, begann es zu zischen. Im Laufe des Tages machte Toby aus ihnen die Glücklichen Hawaiianer, die verrückten Mongolen und schließlich die Eskimo-Flieger. Aber er konnte sie nicht retten. Sich selbst auch nicht, wie sich herausstellen sollte. Als er an jenem Abend seinen Vater anrief, erfuhr Toby, dass zu Hause ein Brief auf ihn wartete. Er war vom Präsidenten unterzeichnet. Sechs Wochen später trat Toby in die U. S. Armee ein. Am Tag seiner Einberufung hämmerte sein Kopf so stark, dass er kaum imstande war, den Eid zu leisten.

Die Kopfschmerzen kehrten immer wieder, und wenn sie auftraten, hatte die kleine Josephine das Gefühl, als würden zwei Riesenhände ihre Schläfen eindrücken. Sie versuchte, nicht zu weinen, weil es ihre Mutter aufregte. Mrs. Czinski hatte die Religion entdeckt. Sie hatte immer das unterschwellige Gefühl gehabt, sie und ihr Kind wären in irgendeiner Weise für den Tod ihres Mannes verantwortlich. Eines Nachmittags war sie in eine Erweckungsversammlung gegangen, und der Prediger hatte gewettert: »Ihr seid alle durchtränkt von Sünde und Verruchtheit. Der Gott, der euch über den Höllenschlund hält wie ein verHasstes Insekt über ein Feuer, verabscheut euch. Ihr hängt an einem dünnen Faden, jeder einzelne Verdammte von euch, und die Flammen seines Zornes werden euch verzehren, wenn ihr nicht bereut.« Mrs. Czinski fühlte sich sofort besser, denn sie wusste, dass sie das Wort Gottes vernahm.