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Der Russe strich sich über die Wangen. «Lassen wir das und fangen wir an!»

Der Deutsche schien sich zusammenzureißen. Er deutete auf seinen Platz am oberen Ende des Tisches. Der Russe winkte ab, aber der andere bestand darauf.

«Es ist der einzige Platz, der in Frage kommt», sagte er, «für – Nummer eins. Würde Nummer vierzehn bitte die Tür schließen!»

Einen Augenblick später sah Tommy wieder nur kahle Holzwände vor sich und die Stimmen auf der anderen Seite waren erneut zu einem unverständlichen Gemurmel abgesunken. Tommy wurde unruhig. Die soeben mit angehörte Unterhaltung hatte seine Neugier geweckt. Er musste auf Biegen oder Brechen mehr in Erfahrung bringen.

Aus dem unteren Teil des Hauses war nichts mehr zu hören und es war nicht wahrscheinlich, dass der Hausmeister nach oben kommen würde. Nachdem Tommy ein Weilchen angestrengt gelauscht hatte, steckte er den Kopf hinaus. Der Flur lag verödet da. Tommy schlich zur Tür, kniete nieder und legte sein Ohr vorsichtig an eine Ritze. Zu seinem großen Ärger konnte er kaum besser hören. Er blickte um sich. Ein wenig weiter befand sich zur Linken noch eine Tür. Leise schlich er hin. Einen Augenblick lauschte er und drehte dann den Knauf. Die Tür gab nach und er schlüpfte hinein.

Der Raum war als Schlafzimmer eingerichtet. Wie alles in diesem Haus befanden sich auch diese Möbel in einem trostlosen Zustand.

Tommy interessierte sich jedoch nur für das, was er zu finden gehofft hatte: eine Verbindungstür zwischen den beiden Zimmern. Er betrachtete sie genau: Ein Riegel war vorgeschoben; er war sehr rostig. Tommy gelang es schließlich, ihn ohne allzu viel Geräusch zurückzuziehen. Die Tür öffnete sich – einen Spalt weit, aber ausreichend für Tommy, um mit anzuhören, was drinnen vorging. Auf der anderen Seite der Tür hing ein Plüschvorhang, so dass er nichts sehen konnte. Doch er erkannte die Stimmen wieder.

Nun sprach der Ire. Sein Akzent war unverkennbar. «Schön und gut, aber wir brauchen mehr Geld. Ohne Geld kein Erfolg.»

Eine andere Stimme, die Tommy Boris zuschrieb, erwiderte: «Kannst du uns garantieren, dass es Erfolge geben wird?»

«Von heute ab in einem Monat garantiere ich euch in Irland eine Terrorwelle, die das britische Reich in seinen Grundfesten erschüttern wird.»

Es folgte eine Pause und dann die leise, etwas zischende Stimme von Nummer eins. «Gut. Du sollst das Geld bekommen. Boris, du sorgst dafür.»

Boris hatte eine Frage: «Über die Irisch-Amerikaner und Mr Potter, wie gewöhnlich?»

«Ich glaube, es wird sich machen lassen», erklärte eine neue Stimme mit amerikanischem Akzent, «ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Verhältnisse immer schwieriger werden. Wir können nicht mehr mit der gleichen Sympathie rechnen wie früher. Es verbreitet sich immer mehr die Ansicht, dass die Iren ihre Angelegenheiten ohne Einmischung Amerikas regeln sollten.»

Tommy hatte das Gefühl, dass Boris mit den Schultern zuckte, als er antwortete: «Ist denn das von irgendwelcher Bedeutung? Das Geld kommt doch nur dem Namen nach aus den Staaten.»

«Die Hauptschwierigkeit besteht nach wie vor darin, die Munition an Land zu schaffen», erklärte der Ire. «Das Geld kommt ja – dank unserem Kollegen hier – ziemlich ungehindert herein.»

Eine andere Stimme sagte nun: «Bedenkt doch, was die Leute in Belfast empfinden würden, wenn sie euch hören könnten!»

«Das wäre also geregelt», fiel die leise Stimme wieder ein. «Nun noch die Angelegenheit des Kredits für eine englische Zeitung. Hast du die entsprechenden Maßnahmen getroffen, Boris?»

«Ich denke, es ist in Ordnung.»

«Gut. Falls nötig, wird Moskau dementieren.»

Es trat eine Pause ein, dann brach die klare Stimme des Deutschen das Schweigen: «Ich bin von Mr Brown beauftragt, euch die Berichte über die verschiedenen Gewerkschaften vorzulegen. Der von den Bergleuten ist zufrieden stellend. Wir müssen nur die Eisenbahner zurückhalten. Es könnte zu Schwierigkeiten mit der Gruppe der Lokomotivführer kommen.»

Wieder folgte eine längere Stille. Dann hörte Tommy, wie ein paar Finger auf den Tisch trommelten.

«Und das Datum, mein Freund?», fragte Nummer eins.

«Der Neunundzwanzigste.»

Der Russe schien zu überlegen. «Das ist schon bald.»

«Ich weiß. Es wurde jedoch von den Führern der Arbeiterbewegung so festgesetzt und wir können es uns nicht leisten, uns da allzu viel einzumischen. Sie müssen immer das Gefühl haben, es sei ihr Unternehmen.»

Der Russe lachte leise auf. «Ja», sagte er, «sie dürfen keinesfalls wittern, dass wir sie für unsere Zwecke ausnutzen. Ohne solche anständigen, ehrbaren Leute ist keine Revolution zu machen. Der Instinkt der Masse ist nicht leicht zu täuschen.»

Dann sagte der Deutsche wieder: «Clymes muss verschwinden. Er ist zu weit blickend. Nummer vierzehn wird dafür sorgen.»

Ein raues Murmeln war die Antwort.

«Geht in Ordnung.» Nach einem Augenblick des Nachdenkens: «Was wird, wenn sie mich schnappen?»

«Wir werden dir den besten Rechtsanwalt stellen», antwortete der Deutsche. «Auf jeden Fall wirst du Handschuhe mit dem Fingerabdruck eines berüchtigten Einbrechers tragen. Du hast also wenig zu befürchten.»

«Fürchte ja auch nichts. Ist alles nur für die Sache. In den Straßen wird Blut fließen, sagt man.» In seinen Worten klang eine grausame Genugtuung. «Manchmal träume ich davon. Und Diamanten und Perlen werden in die Gosse rollen. Jeder kann sie aufheben!»

Tommy hörte, wie ein Stuhl gerückt wurde. Dann sprach Nummer eins: «Es ist also alles vorbereitet. Der Erfolg ist uns wohl so gut wie sicher?»

«Ich glaube wohl.» Aber der Deutsche sprach dieses Mal nicht mit der gewohnten Sicherheit.

Die Stimme von Nummer eins hatte plötzlich einen gefährlichen Unterton: «Was ist schief gegangen?»

«Nichts; aber…»

«Was heißt: aber?»

«Die Leute von der Arbeiterbewegung… Ohne sie können wir nichts unternehmen. Wenn sie am Neunundzwanzigsten keinen Generalstreik ausrufen…»

«Warum sollten sie nicht?»

«Wie du schon sagtest – es sind Biedermänner. Trotz allem, was wir getan haben, bin ich nicht sicher, ob sie…»

«Kommen wir zum Wesentlichen, mein Freund. Man hat mir zu verstehen gegeben, dass es ein gewisses Dokument gäbe, das uns den Erfolg sichert.»

«Das stimmt auch. Wenn man den Führern dieses Dokument vorhielte, würden sie es in ganz England verbreiten und sich ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, für die Revolution erklären. Es würde der Regierung unweigerlich das Genick brechen.»

«Was willst du also noch?»

«Das Dokument», erwiderte der Deutsche.

«Ach! Ist es denn nicht in eurem Besitz? Aber ihr wisst doch, wo es sich befindet?»

«Nein.»

«Weiß jemand, wo es ist?»

«Ein Mensch – vielleicht. Und da sind wir nicht sicher.»

«Und wer ist dieser Mensch?»

«Ein Mädchen.»

Tommy hielt den Atem an.

«Ein Mädchen?» Die Stimme des Russen erhob sich nun voller Verachtung. «Und ihr habt sie nicht zum Sprechen gebracht?»

«Dieser Fall liegt anders», erklärte der Deutsche mürrisch.

«Wieso?»

Aber Tommy hörte nichts mehr. Ein betäubender Schlag traf seinen Kopf und alles um ihn her versank in Dunkelheit. 

9

Als Tommy den beiden Männern folgte, brauchte Tuppence ihre ganze Selbstbeherrschung, um ihn nicht zu begleiten. Die beiden Männer waren zweifellos aus der Wohnung im zweiten Stock gekommen und der Name «Rita» hatte die Jungen Abenteurer auf die Spur gesetzt, die vermutlich zu Jane Finn führte. Freilich war es ein sehr dünner Faden, an dem die ganze Sache hing.