Выбрать главу

Wenn Sie sich trotz meiner Warnung entschließen, weiterzuarbeiten, wird alles für Sie vorbereitet sein. Sie haben also zwei Jahre lang bei Miss Dufferin in der Pfarrei von Llanelly gearbeitet und Mrs Vandemeyer kann sich um Auskunft an sie wenden. Darf ich Ihnen noch einen Rat geben? Halten Sie sich so genau an die Wahrheit wie möglich – es werden dadurch die Gefahren eines Schnitzers auf ein Minimum herabgedrückt. Ich schlage vor, dass Sie sich als das vorstellen, was Sie tatsächlich sind, als ehemalige Angehörige des Weiblichen Hilfsdienstes, die nun als Hausangestellte ihren Lebensunterhalt verdient. Es gibt heute sehr viele, die das tun.

Was Sie auch beschließen mögen, ich wünsche Ihnen alles Gute.

Ihr aufrichtiger Freund

Carter

Damit besserte sich Tuppences Stimmung merklich. Mr Carters Warnung schlug sie jedoch in den Wind.

Mit einigem Bedauern verzichtete sie auf die Rolle, die sie für sich entworfen hatte. Obwohl sie nicht daran zweifelte, dass sie diese Rolle bis ins Kleinste hätte spielen können. Aber sie war vernünftig und erkannte, dass Mr Carter Recht hatte.

Bis jetzt hatte sie von Tommy noch nichts gehört, doch befand sich unter ihrer Morgenpost eine ziemlich schmutzige Postkarte mit den Worten: Alles in Ordnung.

Um zehn Uhr dreißig betrachtete Tuppence stolz einen ziemlich ramponierten Blechkoffer, der ihre neuen Habseligkeiten enthielt. Sie genierte sich zwar ein wenig, aber sie klingelte und bat, den Koffer zu einem Taxi zu bringen. Dann fuhr sie zum Paddington-Bahnhof und ließ den Koffer dort in der Gepäckaufbewahrung. Daraufhin zog sie sich mit ihrer Handtasche in die Damentoilette zurück. Zehn Minuten später trat eine verwandelte Tuppence, ein bescheidenes junges Mädchen, aus dem Bahnhof und bestieg einen Bus.

Einige Minuten nach elf gelangte Tuppence wieder in die Vorhalle der South Audley Mansions. Albert hielt bereits nach ihr Ausschau und kam dabei seinen Pflichten nur recht oberflächlich nach. Er erkannte Tuppence nicht sofort, aber dann war seine Bewunderung ohne Grenzen.

«Ich freue mich, dass ich dir gefalle, Albert», meinte Tuppence. «Übrigens bin ich ja nun deine Kusine – oder nicht?»

«Ihre Stimme auch!», rief er begeistert. «Sie ist so englisch, wie sie es überhaupt nur sein könnte. Nein, ich habe gesagt, dass ein Freund von mir ein junges Mädchen kennt. Annie war gar nicht sehr begeistert. Sie ist bis heute geblieben – aus Gefälligkeit, wie sie sagt, aber in Wirklichkeit nur, um Sie gegen die Gnädige aufzuhetzen.»

«Nettes Mädchen», sagte Tuppence.

Albert bemerkte nicht die Ironie. «Annie ist nicht übel, aber wenn sie erst einmal böse ist, lässt sich mit ihr nichts anfangen. Wollen Sie jetzt hinauffahren, Miss?»

Als Tuppence an der Nummer 20 klingelte, sah sie noch, wie Albert langsam in der Tiefe des Aufzugschachtes verschwand. Ein recht elegant wirkendes junges Mädchen öffnete.

«Ich komme wegen der Stellung», sagte Tuppence.

«So? Da muss ich Sie warnen», antwortete das Mädchen und fuhr ohne zu zögern fort: «Die Gnädige ist ein Biest. Immer hat sie was zu meckern. Hat mich sogar beschuldigt, in ihren Briefen zu schnüffeln! Dabei war der Umschlag halb geöffnet. Im Papierkorb ist sowieso nie etwas; sie verbrennt ja alles. Die Köchin weiß Verschiedenes, aber die zittert vor ihr. Und misstrauisch ist sie! Ich kann Ihnen sagen…»

Aber was Annie sonst noch hätte sagen können, sollte Tuppence nie erfahren, denn in diesem Augenblick rief eine klare, harte Stimme: «Annie!»

Das Mädchen fuhr zusammen. «Bitte, gnädige Frau?»

«Mit wem sprechen Sie?»

«Da ist jemand wegen der Stellung, gnädige Frau.»

«Dann führen Sie sie herein. Aber gleich!»

Tuppence wurde in ein Zimmer auf der rechten Seite des langen Ganges geführt. Am Kamin stand eine Frau. Sie war in mittleren Jahren und ihr schönes Gesicht wirkte sonderbar verhärtet. In ihrer Jugend musste sie eine glänzende Erscheinung gewesen sein. Ihr hellblondes Haar, dessen Farbe man wohl künstlich etwas nachgeholfen hatte, fiel ihr bis in den Nacken, und ihre strahlend blauen Augen schienen bis in das Innerste eines Menschen blicken zu können. Trotz ihrer Anmut ging etwas Kaltes und Drohendes von ihr aus.

Zum ersten Mal fühlte Tuppence Angst und Unsicherheit. Whittington hatte sie nicht gefürchtet; diese Frau aber war anders. Fasziniert betrachtete sie den grausamen Zug um ihren vollen Mund; sie ahnte, dass es sehr viel schwieriger sein würde, diese Frau hinters Licht zu führen als etwa Whittington.

Obwohl sie am liebsten einfach davongelaufen wäre, beherrschte sie sich und begegnete dem Blick der Fremden fest und ihrer Rolle entsprechend achtungsvoll. Als sei diese erste Musterung befriedigend verlaufen, deutete Mrs Vandemeyer auf einen Stuhl.

«Sie können sich setzen. Woher haben Sie erfahren, dass ich ein Stubenmädchen suchte?»

«Durch einen Freund, der den Fahrstuhlführer kennt. Er meinte, es sei eine Stellung für mich.»

Wieder schien der Basiliskenblick sie zu durchbohren. «Sie sprechen wie ein gebildetes Mädchen.»

Tuppence schilderte, so wie Mr Carter ihr geraten hatte, ihren bisherigen Lebenslauf in einer für den vorliegenden Fall etwas abgewandelten Form.

«So ist das also», bemerkte sie schließlich. «Könnte ich von jemandem Auskunft über Sie erhalten?»

«Ich habe zuletzt bei Miss Dufferin gearbeitet, im Pfarrhaus von Llanelly. Ich war zwei Jahre bei ihr.»

«Und dann haben Sie wohl geglaubt, in London mehr Geld verdienen zu können? Schon gut. Ich gebe Ihnen fünfzig oder sechzig Pfund, falls Ihnen das genügt. Können Sie sofort anfangen?»

«Ja, gnädige Frau. Mein Koffer liegt am Paddington-Bahnhof.»

«Dann nehmen Sie sich ein Taxi und holen Sie ihn. Sie werden es hier nicht schwer haben. Ich bin oft eingeladen. Übrigens, wie heißen Sie eigentlich?»

«Prudence Cooper, gnädige Frau.»

«Gut, Prudence. Ich bin zum Mittagessen nicht da. Die Köchin wird Ihnen zeigen, wo sich alles befindet.» 

10

Tuppence fielen ihre neuen Aufgaben nicht allzu schwer. Die Töchter des Pfarrers hatten zu Hause alle Hausarbeiten gründlich gelernt. Sie brauchte also nicht zu befürchten, der Arbeit nicht gewachsen zu sein. Aber die Köchin war ihr ein Rätsel. Offensichtlich lebte sie in entsetzlicher Angst vor ihrer Gnädigen und Tuppence hielt es für durchaus möglich, dass Mrs Vandemeyer sie auf irgendeine Weise in der Hand hatte. Im Übrigen – das konnte Tuppence noch an diesem Abend feststellen – kochte sie wie ein großer Küchenchef. Mrs Vandemeyer erwartete zum Essen einen Gast und Tuppence hatte für zwei Personen gedeckt.

Einige Minuten nach acht klingelte es und Tuppence ging etwas aufgeregt zur Tür. Sie fühlte sich erleichtert, als sie sah, dass der Besucher der eine der beiden Männer war, denen Tommy gefolgt war.

Er nannte sich Graf Steppanow. Tuppence meldete ihn und Mrs Vandemeyer erhob sich mit einem leisen Ausruf der Freude von der niedrigen Couch, auf der sie gesessen hatte.

«Wie schön, Sie wiederzusehen, Boris Iwanowitsch!»

«Gnädige Frau!» Er beugte sich tief über ihre Hand.

Tuppence kehrte in die Küche zurück. «Graf Steppanow oder so ähnlich», erklärte sie und zeigte nun eine in ihrer Rolle ganz natürliche Neugier: «Wer ist denn das?»

«Wohl ein Russe.»

«Kommt er oft her?»

«Ab und zu. Warum wollen Sie denn das wissen?»

«Ich dachte nur – ob er vielleicht unserer Gnädigen den Hof macht?», erklärte Tuppence und fügte ein wenig mürrisch hinzu: «Das ist doch schließlich interessant.»

«Ach was», sagte die Köchin, «mein Souffle macht mir Sorgen.»