«Wie hieß dieser Affe?», fragte Tommy.
«Seinen Namen habe ich vergessen», sagte Tuppence. «Aber, um fortzufahren, es war wohl der Gipfel meiner Laufbahn. Dann kam ich in ein Büro der Regierung. Dort gaben wir einige Einladungen zum Tee. War nett. Ich hatte damals noch die Absicht, bei der Post zu arbeiten und Schaffnerin zu werden. Um meine Kenntnisse ein wenig abzurunden. Aber da hat mir der Waffenstillstand einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich habe meine Stelle im Büro einige Monate lang noch eisern gehalten, wurde schließlich aber doch abgehalftert. Seitdem suche ich Arbeit. Und nun bist du an der Reihe.»
«Wie du weißt, kam ich erst nach Frankreich. Dann schickten sie mich nach Mesopotamien, wo ich zum zweiten Mal verwundet wurde und in ein Lazarett kam. Danach blieb ich bis zum Waffenstillstand in Ägypten hängen. Und seit zehn aufreibenden Monaten bin ich auf der Jagd nach einer Stellung. Aber es gibt keine. Und wenn es eine gäbe, würde ich sie nicht bekommen. Was kann ich denn? Was verstehe ich von Geschäften? Nichts.»
Tuppence nickte betrübt. «Wie wäre es mit den Kolonien?», schlug sie vor.
Tommy schüttelte den Kopf: «Mir würden die Kolonien nicht gefallen – und ich bin völlig sicher, dass ich ihnen auch nicht gefiele.»
«Und reiche Verwandte?»
Wieder schüttelte Tommy den Kopf.
«Ach, Tommy, nicht einmal eine Großtante?»
«Ich habe einen alten Onkel, der mehr oder weniger im Geld schwimmt, aber er kommt nicht in Frage.»
«Warum nicht?»
«Er wollte mich einmal adoptieren, aber ich war dagegen.»
«Ich glaube, ich erinnere mich daran», sagte Tuppence nachdenklich. «Deiner Mutter wegen warst du damals dagegen.»
Tommy errötete. «Ja, für die alte Dame wäre es ein bisschen hart gewesen. Ich war alles, was sie hatte. Aber der alte Knabe konnte sie nicht leiden und wollte mich ihr wegschnappen. Nur so aus Bosheit.»
«Und deine Mutter ist jetzt tot?», fragte Tuppence leise.
Tommy nickte.
Tuppences große graue Augen blickten ihn mitfühlend an. «Du bist ein guter Kerl, Tommy.»
«Ach, Unsinn!», erwiderte Tommy hastig. «So sieht es also bei mir aus. Und ich bin ziemlich verzweifelt.»
«Genau wie ich. Ich habe überall herumgesucht, alles nur Erdenkliche versucht. Aber es nützt alles nichts. Ich werde wohl nach Hause fahren müssen!»
«Willst du das denn nicht?»
«Natürlich nicht! Was sollen wir uns da viel vormachen. Vater ist ja so gut – ich liebe ihn wirklich sehr –, aber du hast keine Ahnung, was für Sorgen er sich um mich macht. Schließlich sind wir sieben zu Hause… Furchtbar. Na ja, und die viele Hausarbeit und dazu die Kränzchen meiner Mutter… Ich bin die Jüngste. Gern gehe ich also nicht nach Hause. Aber was bleibt mir übrig, Tommy?»
Tommy schüttelte traurig den Kopf. Es folgte ein Schweigen und dann brach es aus Tuppence hervor:
«Geld, Geld, Geld! Morgens, mittags und abends denke ich an nichts anderes mehr!»
«Bei mir ist es genau dasselbe.»
«Ich habe mir jede nur denkbare Möglichkeit überlegt, um zu Geld zu kommen», fuhr Tuppence fort. «Es gibt nur drei. Man erbt es, man heiratet es oder man macht es. Ersteres fällt aus. Ich habe keine reichen, betagten Verwandten. Natürlich wäre eine Heirat für mich die beste Lösung. Schon als ganz kleines Mädchen hatte ich mich entschlossen, eine Geldheirat zu machen. Jedes vernünftige Mädchen tut das. Ich bin nicht sehr sentimental, verstehst du.» Wieder machte sie eine Pause. «Na, hör mal, du kannst wirklich nicht sagen, dass ich sentimental bin», fügte sie scharf hinzu.
«Ganz gewiss nicht», stimmte Tommy ihr hastig bei. «Niemand würde bei dir je sentimentale Gefühle vermuten.»
«Das war nicht sehr höflich», erwiderte Tuppence. «Aber ich nehme an, dass du wirklich so denkst. So ist es nun einmal. Ich bin bereit und willens – aber nie begegne ich reichen Männern. Alle, die ich kenne, sitzen genauso in der Klemme wie ich.»
«Wie wäre es denn mit dem General?»
«Wahrscheinlich betreibt er jetzt ein Fahrradgeschäft. Nein, da ist nichts zu machen. Aber du – du könntest doch ein reiches Mädchen heiraten.»
«Ich kenne keins.»
«Das macht nichts. Du kannst jederzeit eines kennen lernen. Wenn ich einen Mann in einem Pelzmantel aus dem Ritz treten sehe, kann ich nicht auf ihn zustürzen und sagen: ‹Hören Sie, Sie sind reich. Ich möchte Sie gern kennen lernen.›»
«Willst du damit sagen, ich könnte eine Dame, die einen Pelzmantel trägt, so ansprechen?»
«Sei doch nicht blöd. Du trittst ihr auf den Fuß oder hebst ihr ein Taschentuch auf oder etwas Ähnliches.»
«Du überschätzt meine männlichen Reize.»
«Na schön», fuhr Tuppence fort, «wenn eine Heirat zu große Schwierigkeiten bietet, bleibt nur – Geld machen.»
«Das haben wir ja versucht – ohne Erfolg.»
«Richtig. Wir haben alle üblichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Aber stell dir mal vor, wir versuchten es mit etwas Unüblichem. Tommy, stürzen wir uns ins Abenteuer!»
«Warum nicht?», antwortete Tommy belustigt. «Wie macht man das?»
«Ja, da liegt eine gewisse Schwierigkeit. Wenn wir den richtigen Leuten bekannt wären, würden sie uns vielleicht anheuern und uns mit dem einen oder anderen kleinen Mord beauftragen.»
«Reizender Vorschlag! Und das von der Tochter eines Geistlichen.»
«Die moralische Schuld würde bei ihnen liegen und nicht bei mir», erklärte Tuppence. «Du musst doch zugeben, dass es ein Unterschied ist, ob man ein Diamantenhalsband für sich selber stiehlt oder nur im Auftrag eines anderen.»
«Ich glaube, es gibt da nicht den geringsten Unterschied, falls du dabei geschnappt wirst.»
«Vielleicht. Aber man würde mich ja nicht schnappen. Dafür bin ich viel zu gerissen.»
«Bescheidenheit war schon immer dein größter Fehler.»
«Schimpf jetzt nicht, Tommy. Hör zu, wollen wir nicht starten? Zusammen ein Unternehmen gründen?»
«Eine Gesellschaft für Diebstahl von Diamantenhalsbändern?»
«Das war ja nur ein Beispiel. Gründen wir doch… eine Art Handelskompanie. Dieses Wort hat einen fast romantischen Beigeschmack. Man denkt an Abenteuer in fernen Ländern, an Galionen und spanische Goldmünzen.»
«Und wir betreiben unseren Handel unter dem Namen: Junge Abenteurer GmbH? So etwas meinst du doch?»
«Lach nur. Ich habe das Gefühl, es könnte etwas sein.»
«Wie willst du mit deinen künftigen Auftraggebern in Verbindung treten?»
«Durch eine Anzeige», erwiderte Tuppence. «Hast du ein Stück Papier und einen Bleistift?»
Tommy reichte ihr ein ziemlich schäbiges grünes Notizbuch und Tuppence begann eifrig zu schreiben.
«Fangen wir also an: Junger Offizier, zweimal im Krieg verwundet…»
«Bloß das nicht!»
«Wie du willst, mein Lieber. Ich möchte dir nur versichern, dass du damit das Herz einer alten Jungfer rühren könntest. Vielleicht würde sie dich adoptieren und damit bestände für dich keine Notwendigkeit mehr, den Abenteurer zu spielen.»
«Ich will aber nicht adoptiert werden.»
«Ach, stimmt. Du hast da ja ein Vorurteil. Wie wär’s damit: ‹Zwei junge Abenteurer suchen Beschäftigung. Bereit zu allem, gleich wo. Gute Bezahlung Voraussetzung.› Das sollten wir gleich von vornherein klarstellen. Wir könnten noch hinzufügen: Alle vernünftigen Angebote werden berücksichtigt – oder so ähnlich.»
«Na, die Angebote, die wir daraufhin erhalten würden, dürften wohl eher unvernünftig sein.»
«Tommy, du bist ein Genie! Das ist noch besser: ‹Unvernünftige Angebote werden gern berücksichtigt – falls Bezahlung entsprechend.› Wie gefällt dir das?»
«Ich würde die Bezahlung nicht gleich zweimal erwähnen. Es wirkt so gierig.»