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Mrs Vandemeyer legte ihre Pistole in Reichweite auf den Rand des Waschbeckens, nahm, während sie Tuppence nicht aus den Augen ließ, eine kleine geschlossene Flasche von der Marmorplatte und schüttete einen Teil des Inhalts in ein Glas, das sie mit Wasser füllte.

«Was ist das?», fragte Tuppence heftig.

«Sie werden gut schlafen», erklärte Mrs Vandemeyer.

«Wollen Sie mich vergiften?»

«Seien Sie nicht blöde! Glauben Sie wirklich, dass ich wegen Mordes steckbrieflich verfolgt werden will? Wenn Sie nicht den Verstand verloren haben, muss Ihnen doch klar sein, dass es mir nichts nützen würde, Sie zu vergiften. Es ist ein Schlaftrunk, mehr nicht. Ich will mir nur die Mühe ersparen, Sie zu fesseln und zu knebeln. Notfalls täte ich aber auch das – und es würde Ihnen nicht sehr gefallen, das garantiere ich Ihnen. Ich kann ziemlich brutal sein, wenn mir gerade so zumute ist. Trinken Sie, es wird Ihnen nichts schaden.»

Tuppence war ein Mensch, der rasch zu überlegen wusste. Blitzschnell schossen ihr Gedanken durch den Kopf und sie sah tatsächlich die Möglichkeit eines Ausweges, so fragwürdig er auch sein mochte. So ließ sie sich plötzlich vom Bett gleiten, fiel vor Mrs Vandemeyer in die Knie und umklammerte ihre Beine.

«Ich glaube es nicht», stöhnte sie. «Es ist Gift – ich weiß, dass es Gift ist.»

Mrs Vandemeyer blickte verächtlich auf sie hinab. «Stehen Sie auf, Sie dumme Gans. Heulen Sie mir hier nichts vor. Wie Sie jemals den Mut aufgebracht haben, Ihre Rolle zu spielen, ist mir unklar.»

Tuppence umklammerte weiter ihre Beine und schluchzte und stammelte unzusammenhängende Worte. Jede Minute, die sie so gewann, bedeutete einen Schritt vorwärts… Außerdem näherte sie sich dabei unauffällig ihrem Ziel.

Mrs Vandemeyer verlor die Geduld und riss sie hoch. «Trinken Sie, aber gleich!» Sie presste ihr das Glas an den Mund.

Tuppence stöhnte noch einmal. «Schwören Sie, dass es mir nichts schadet?»

«Natürlich schadet es Ihnen nichts!»

«Wollen Sie es beschwören?»

«Ja, ja, ich schwöre!»

Tuppence hob zitternd ihre linke Hand. «Na gut.» Sie öffnete den Mund und sah sehr kläglich aus.

Mrs Vandemeyer ließ einen Seufzer der Erleichterung hören; einen Augenblick lang war sie nicht auf der Hut. Mit blitzartiger Schnelligkeit schüttete ihr Tuppence den Inhalt des Glases ins Gesicht und im selben Augenblick griff sie mit der rechten Hand nach der Pistole, die auf dem Rand des Waschbeckens lag. Und schon war sie einen Schritt zurückgesprungen, die Pistole auf Mrs Vandemeyers Herz gerichtet, und ihre Hand zitterte nicht.

Einen Augenblick glaubte Tuppence, Mrs Vandemeyer würde sie angreifen, was sie in ein sehr unangenehmes Dilemma gebracht hätte, nämlich zu schießen oder nicht. Mit größter Überwindung gelang es jedoch Mrs Vandemeyer, sich zu beherrschen, und schließlich zog ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht.

«Also doch keine dumme Gans! Dafür werden Sie bezahlen – o ja! Ich habe ein gutes Gedächtnis!»

«Ich wundere mich, dass man Sie so leicht hereinlegen kann», erwiderte Tuppence verächtlich. «Haben Sie wirklich geglaubt, dass ich zu den Leuten gehöre, die sich auf den Boden werfen und um Gnade flehen?»

«Eines Tages werden Sie es noch tun.»

Die kalte Bösartigkeit ihrer Worte ließ Tuppence erschauern, aber sie hatte keine Angst mehr.

«Wie wäre es, wenn wir uns setzten», sagte sie freundlich. «Die Szene, die wir hier einander vorspielen, ist zu melodramatisch. Nein, nicht aufs Bett. Ziehen Sie sich einen Stuhl an den Tisch. So. Nun können wir uns unterhalten.»

«Worüber?»

Tuppence betrachtete sie eine Weile nachdenklich. Es ging ihr Verschiedenes durch den Kopf. Boris’ Worte: «Manchmal glaube ich, Sie würden auch uns verkaufen!», und die Antwort, dass der Preis dafür riesig sein müsste. Sollte sich Rita Vandemeyer als der schwache Punkt in Mr Browns Organisation erweisen?

Während sie die andere nicht aus den Augen ließ, antwortete Tuppence ruhig: «Über Geld.»

Mrs Vandemeyer fuhr auf. Eine solche Antwort hatte sie offensichtlich nicht erwartet. «Was wollen Sie damit sagen?»

«Das werde ich Ihnen jetzt auseinander setzen. Sie haben eben behauptet, ein gutes Gedächtnis zu haben. Ein gutes Gedächtnis ist nur halb so viel wert wie eine volle Brieftasche. Ich nehme an, dass es Sie erheblich erleichtern würde, wenn Sie mir etwas antun könnten; aber ist das eigentlich praktisch? Rache ist etwas sehr Unbefriedigendes. Aber Geld… Geld ist alles andere als unbefriedigend.»

«Halten Sie mich wirklich für einen Menschen, der seine Freunde verkaufen würde?»

«Ja», erwiderte Tuppence, «vorausgesetzt, dass das Angebot hoch genug ist. Sagen wir mal – hunderttausend Pfund.»

Ihr Hang zur Sparsamkeit erlaubte ihr nicht, die ganze Million Dollar zu erwähnen, die Hersheimer genannt hatte.

Eine leichte Röte stieg in Mrs Vandemeyers Gesicht. «Was sagen Sie da?», fragte sie und ihre Finger spielten nervös mit einer Brosche an ihrer Brust. Da wusste Tuppence, dass sie den Fisch an der Angel hatte, und zum ersten Mal empfand sie Abscheu vor ihrem eigenen Hang zum Geld.

«Hunderttausend Pfund», wiederholte sie.

Das Licht in Mrs Vandemeyers Augen erlosch. «Unsinn! Sie haben das Geld gar nicht.»

«Ich nicht – aber ich kenne einen, der es hat.»

«Wer?»

«Einer meiner Freunde.»

«Das müsste ja ein Millionär sein.»

«Das ist er. Er ist Amerikaner. Er zahlt ohne mit der Wimper zu zucken. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.»

Eine Weile herrschte Schweigen, dann blickte Mrs Vandemeyer auf. «Was will denn Ihr Freund wissen?»

Tuppence kämpfte einen Augenblick mit sich selber, aber da es Hersheimers Geld war, waren seine Interessen an erster Stelle zu berücksichtigen.

«Er möchte wissen, wo Jane Finn ist.»

Mrs Vandemeyer war keineswegs überrascht. «Ich könnte Ihnen nicht mit Sicherheit sagen, wo sie sich zur Zeit aufhält.»

«Aber Sie könnten es feststellen?»

«Ja, ohne weiteres.»

«Und dann», Tuppences Stimme zitterte ein wenig, «ist da ein junger Mann, ein Freund von mir. Ich fürchte, ihm ist etwas zugestoßen, und zwar hat Ihr Bekannter, Boris, etwas damit zu tun.»

«Wie heißt er?»

«Tommy Beresford.»

«Ich habe nie von ihm gehört. Aber ich werde Boris fragen.»

«Ich danke Ihnen.» Tuppence fühlte plötzlich eine starke Zuversicht in sich aufsteigen. «Da wäre noch etwas.»

«Ja?»

Tuppence senkte ihre Stimme. «Wer ist Mr Brown?»

Sie sah das schöne Gesicht jäh erbleichen. Es kostete Mrs Vandemeyer Mühe, ihre Fassung wiederzugewinnen. «Sie können über uns nicht viel erfahren haben, wenn Sie nicht wissen, dass niemand weiß, wer Mr Brown ist…»

«Aber Sie wissen es», erwiderte Tuppence ruhig.

Mrs Vandemeyer starrte längere Zeit vor sich hin. «Ja», erklärte sie schließlich mit rauer Stimme. «Ich weiß es. Ich war schön, verstehen Sie mich, sehr schön…»

«Sie sind es noch immer», warf Tuppence ein.

Mrs Vandemeyer schüttelte den Kopf. In ihren strahlend blauen Augen leuchtete ein seltsamer Schimmer auf. «Nicht schön genug», sagte sie. «Nicht schön genug! Und in letzter Zeit habe ich manchmal Angst… Es ist gefährlich, zu viel zu wissen.» Sie beugte sich über den Tisch. «Schwören Sie, dass mein Name niemals in diese Sache hineingezogen wird – dass niemand jemals etwas erfährt?»

«Ich schwöre es. Und sobald wir ihn haben, gibt es für Sie keine Gefahr mehr.»

Ein Ausdruck des Schreckens trat in Mrs Vandemeyers Gesicht. «Werde ich das je erleben?» Sie umklammerte Tuppences Arm. «Sind Sie sich auch in der Frage des Geldes ganz sicher?»

«Völlig sicher.»

«Wann?»

«Mein Freund wird bald kommen. Er tut alles immer sehr schnell.»