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Der Anwalt nahm die Angelegenheit ruhiger auf, aber in seinen Augen leuchtete ein seltsames Feuer. «Pech?», fragte er. «Nur Pech? Sollte da nicht eine gewisse Hand im Spiel sein?»

«Sie wollen doch nicht etwa sagen…? Aber das ist unmöglich! Keiner hätte hereinkommen können.»

«Stimmt, ich wüsste nicht, wie. Und dennoch… Sie steht im Begriff, Mr Brown zu verraten – und stirbt. Ist das wirklich ein Zufall?»

«Aber wie…?»

«Ja, wie! Das müssen wir eben feststellen.» Schweigend stand er da und strich sich das Kinn. «Wir müssen es feststellen», sagte er sehr ruhig und Tuppence dachte, dass ihr – wenn sie Mr Brown wäre – der Tonfall in diesen paar Worten nicht gefallen hätte.

Hersheimer blickte zum Fenster. «Das Fenster ist offen», bemerkte er. «Glauben Sie…»

Tuppence schüttelte den Kopf. Sie war ganz durcheinander. «Der Balkon führt nur bis zum kleinen Salon. Dort saßen wir.»

«Er könnte sich irgendwie hinausgeschlichen haben», meinte Hersheimer.

Aber nun mischte sich Sir James wieder ein. «Mr Browns Methoden sind nicht so grob. Zunächst einmal müssen wir einen Arzt kommen lassen; bevor wir es jedoch tun, wollen wir untersuchen, ob es in diesem Zimmer irgendetwas von Wert für uns gibt.»

In aller Eile machten sich die drei ans Werk. Auf dem Kaminrost lagen verkohlte Papierreste, die anzeigten, dass Mrs Vandemeyer vor ihrem Fluchtversuch einige Schriftstücke verbrannt hatte. Nichts von Bedeutung war geblieben, obwohl sie auch noch in den anderen Zimmern suchten.

«Da wäre noch etwas», sagte Tuppence plötzlich und zeigte auf einen kleinen altmodischen Safe, der in die Wand eingelassen war. «Er ist für Schmuck, glaube ich, aber es könnte ja auch etwas anderes darin liegen.»

Der Schlüssel steckte und Hersheimer durchsuchte das Innere. Er war einige Zeit damit beschäftigt.

«Nun?», rief Tuppence ungeduldig.

Es dauerte eine Weile, bevor Hersheimer antwortete. Dann zog er den Kopf wieder hervor und schloss die Tür. «Nichts», sagte er.

Nach weiteren fünf Minuten traf ein energischer junger Arzt ein, den sie herbeigerufen hatten. Sir James, den er wohl erkannte, behandelte er mit Hochachtung.

«Ein Herzanfall oder möglicherweise auch eine zu starke Dosis eines Schlafmittels.» Er zog die Luft ein. «Es riecht ziemlich stark nach Chloralhydrat.»

Tuppence dachte an das Glas, dessen Inhalt sie verschüttet hatte. Einem neuen Einfall folgend, trat sie an das Waschbecken. Sie sah die kleine Flasche, aus der Mrs Vandemeyer ein paar Tropfen in ihr Glas gegossen hatte.

Gestern Abend war die Flasche noch drei viertel voll gewesen. Nun war sie leer. 

14

Nichts verblüffte Tuppence mehr als die Selbstverständlichkeit und Einfachheit, mit denen dank Sir James’ energischen Maßnahmen alles geregelt wurde. Der Arzt gab sich ohne weiteres mit der Theorie zufrieden, Mrs Vandemeyer hätte eine Überdosis des Schlafmittels genommen. Eine Obduktion durch den Gerichtssachverständigen hielt er nicht für nötig. Er hätte doch recht verstanden? Mrs Vandemeyer hätte im Begriff gestanden, eine Reise ins Ausland anzutreten, und Sir James und seine jungen Freunde hätten sie besucht, als sie plötzlich zusammengebrochen wäre. Daraufhin hätten sie die Nacht in der Wohnung verbracht, da sie sie nicht allein lassen wollten. So sei es doch gewesen? Und wie stehe es mit den Verwandten der Verstorbenen? Niemand wusste etwas darüber und Sir James verwies ihn an ihren Anwalt.

Kurz darauf erschien eine Schwester, um sich der Toten anzunehmen, und die anderen verließen die Stätte des Unheils. «Und was jetzt?», fragte Hersheimer und machte ein verzweifeltes Gesicht. «Jetzt ist die Sache wohl für uns verloren?» Er seufzte.

Sir James strich sich nachdenklich über das Kinn. «Nein. Es gibt noch immer die Möglichkeit, dass Dr. Hall uns etwas sagen könnte.»

«Natürlich! Den hätte ich beinahe vergessen.»

«Die Aussichten sind zwar gering, aber man muss es versuchen. Ich schlage vor, ihn sobald wie möglich aufzusuchen. Sagen wir nach dem Frühstück.»

Sie verabredeten, dass Tuppence und Hersheimer ins Ritz zurückkehren sollten, um Sir James später im Wagen abzuholen. So geschah es und kurz nach elf Uhr fuhren sie vor dem Metropole vor. Sie fragten nach Dr. Hall, und ein Page ging ihn suchen. Einige Minuten später kam der Doktor auf sie zugeeilt.

«Dürften wir Sie ein paar Minuten in Anspruch nehmen, Dr. Hall?», fragte Sir James höflich. «Darf ich Ihnen Miss Cowley vorstellen. Mr Hersheimer kennen Sie schon?»

Die Augen des Arztes funkelten belustigt auf, als er Hersheimer die Hand drückte. «Ach, da ist ja mein junger Freund, der sich den kleinen Spaß mit meinem Baum geleistet hat. Was macht der Knöchel?»

«Dank Ihrer Behandlung ist er wieder in Ordnung, Herr Doktor.»

«Kommen wir zur Sache: Dürften wir Sie irgendwo ungestört sprechen?», fragte Sir James.

«Aber sicher. Soviel ich weiß, ist dahinten ein Raum, in dem wir ganz unter uns sind.»

Er ging voraus und die anderen folgten ihm. Sie nahmen Platz und der Arzt sah Sir James fragend an.

«Es liegt mir sehr viel daran, Dr. Hall, eine gewisse junge Dame aufzufinden, um von ihr eine Erklärung zu erhalten. Ich habe allen Grund zur Annahme, dass sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt in Ihrem Sanatorium in Bournemouth aufgehalten hat. Ich hoffe, dass ich nicht die Grenzen Ihres Berufsgeheimnisses verletze, wenn ich Sie danach frage.»

«Ich nehme an, dass es sich hier um eine Art Vernehmung handelt?»

Sir James zögerte einen Augenblick und sagte dann: «Ja.»

«Ich stehe Ihnen gern zur Verfügung. Wie heißt denn die junge Dame? Ich entsinne mich, dass schon Mr Hersheimer mich gefragt hat.»

«Der Name ist unwichtig», erklärte Sir James leichthin. «Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie unter falschem Namen bei Ihnen angemeldet wurde. Ich wüsste aber gern von Ihnen, ob Ihnen der Name Mrs Vandemeyer bekannt ist?»

«Mrs Vandemeyer, South Audley Mansions? Ich kenne sie flüchtig.»

«Sie wissen also nicht, was geschehen ist?»

«Was meinen Sie damit?»

«Sie wissen nicht, dass Mrs Vandemeyer tot ist?»

«Himmel, nein! Ich habe keine Ahnung.»

«Sie hat in der vergangenen Nacht eine Überdosis Schlafmittel genommen.»

«Mit Absicht?»

«Es wird ein Versehen angenommen. Jedenfalls wurde sie heute Früh tot aufgefunden.»

«Das sind traurige Nachrichten… Aber ich sehe nicht ganz ein, was dies mit Ihren Nachforschungen zu tun haben kann.»

«Ist es nicht so, dass Mrs Vandemeyer eine junge Verwandte zu Ihnen ins Sanatorium gebracht hat?»

Hersheimer beugte sich jäh vor.

«Stimmt», antwortete der Arzt ruhig.

«Und unter welchem Namen?»

«Janet Vandemeyer. Soviel ich verstand, ist sie ihre Nichte.»

«Und wann kam sie zu Ihnen?»

«Soweit ich mich entsinne, im Juni oder Juli 1915.»

«Ist sie in irgendeiner Weise geistesgestört?»

«Nein, sie ist eigentlich völlig normal. Ich erfuhr von Mrs Vandemeyer, dass das Mädchen mit ihr zusammen an Bord der Lusitania gewesen war, als das Schiff torpediert wurde. Sie hatte einen schweren Nervenschock erlitten.»

«Ich denke, wir befinden uns auf der richtigen Spur», meinte Sir James und blickte um sich.

«Das ist doch…I», rief Hersheimer aus.

Der Arzt betrachtete sie alle verwundert.

«Sie sprachen vorhin davon, dass sie von ihr eine Erklärung wollen», sagte er. «Nun, es fragt sich, ob sie in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben.»

«Aber Sie sagten doch, sie sei völlig normal?»

«Das ist sie auch. Wenn Sie jedoch eine Erklärung von ihr haben wollen, die sich auf Ereignisse vor dem 7. Mai 1915 bezieht, wird sie nicht in der Lage sein, sie Ihnen zu geben.»