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«Ganz wie Sie sagen», erklärte er und riss sich zusammen, «nicht die leiseste Andeutung, was sie vorhat. He, Henry!»

Der Junge kam sogleich herbei. Tommy holte fünf Shilling aus der Tasche. «Entsinnst du dich, was die junge Dame mit dem Telegramm gemacht hat?»

«Sie knüllte es zusammen und warf es in den Kamin. Dabei rief sie ‹Hopp!›, Sir.»

«Sehr anschaulich, Henry», sagte Tommy. «Da hast du deine fünf Shilling. Kommen Sie, Hersheimer. Wir müssen das Telegramm finden.»

Sie eilten nach oben. Tuppence hatte den Schlüssel in ihrer Tür stecken lassen. Das Zimmer war so, wie sie es verlassen hatte. Im Kamin lag ein zerknülltes Stück Papier. Tommy strich es glatt und las das Telegramm.

SOFORT KOMMEN, MOATHOUSE, EBURY, YORKSHIRE, VIEL GESCHEHEN – TOMMY.

Bestürzt sahen sie einander an. Hersheimer sprach zuerst. «Und Sie haben es nicht aufgegeben?»

«Natürlich nicht! Was hat es also zu bedeuten?»

«Ich fürchte, das Schlimmste», antwortete Hersheimer. «Sie haben sie in eine Falle gelockt.»

«Mein Gott! Was tun wir jetzt?»

«Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ein Glück, dass sie das Telegramm nicht mitgenommen hat. Das Kursbuch!»

Tommy schlug nach. «Da ist es. Ebury, Yorkshire. Von King’s Cross aus oder von St. Pancras. (Der Junge muss sich geirrt haben. Es war King’ Cross und nicht Charing Cross.) Zwölf Uhr fünfzig, das ist der Zug, den sie genommen hat; der Zwei-Uhr-zehn-Zug ist schon abgefahren; drei Uhr zwanzig fährt der nächste – und dazu noch ein sehr langsamer.»

«Wie wäre es mit dem Wagen?»

«Lassen Sie ihn, wenn Sie wollen, nachkommen, aber wir nehmen besser den Zug. Es kommt vor allem darauf an, nicht die Ruhe zu verlieren.»

Hersheimer stöhnte.

Tommy nickte, in Gedanken vertieft. Ein wenig später sagte er: «Warum sind sie so an ihr interessiert?»

«Bitte? Ich verstehe nicht ganz.»

«Ich glaube nicht, dass sie ihr etwas antun», erklärte Tommy. «Solange sie in ihrer Hand ist, sitzen sie am längeren Hebel. Klar?»

«Völlig», antwortete Hersheimer nachdenklich.

«Im Übrigen», fügte Tommy noch hinzu, «habe ich großes Vertrauen zu Tuppence.»

Die Reise war sehr ermüdend; der Zug hielt oft und die Wagen waren überfüllt. Ebury war ein verödeter Bahnhof, auf dem nur ein einsamer Gepäckträger wartete. An ihn wandte sich Tommy: «Können Sie mir sagen, wie ich zum Moat House komme?»

«Ein hübsches Stück Weg bis dahin. Sie meinen doch das große Haus am Strand?»

Tommy nickte. «Erinnern Sie sich an eine junge Dame, die mit einem früheren Zug hier eingetroffen ist, zwölf Uhr fünfzig aus London? Wahrscheinlich hat sie auch nach dem Weg zum Moat House gefragt.»

Er beschrieb Tuppence, aber der Träger schüttelte den Kopf.

Tommy fühlte sich völlig niedergeschlagen. Er war überzeugt, dass ihr Unternehmen erfolglos bleiben würde. Der Feind hatte einen Vorsprung von mehr als drei Stunden.

Der Weg, den der Gepäckträger beschrieben hatte, schien kein Ende zu nehmen. Einmal schlugen sie sogar die verkehrte Richtung ein. Es war schon sieben Uhr vorbei, als ein kleiner Junge ihnen sagte, Moat House befände sich gleich um die nächste Ecke.

Ein rostiges Eisentor, das sich knarrend in seinen Angeln drehte; eine von Unkraut überwachsene Anfahrt. Nach einer Biegung sahen sie das Haus. Es wirkte öde und unbewohnt. Die Läden waren geschlossen, die Stufen mit Moos überwachsen.

Hersheimer zog am rostigen Klingelknauf. Ein misstönendes Läuten erklang und hallte in der Weite des Hauses wider. Aber niemand kam. Sie gingen um das Haus herum. Stille überall. Der Ort wirkte völlig verlassen.

«Nichts zu machen», erklärte Hersheimer.

Langsam kehrten sie zum Tor zurück.

«Hier muss doch ein Dorf in der Nähe sein», fuhr der junge Amerikaner fort. «Wir sollten uns dort einmal erkundigen.»

«Ja, kein schlechter Gedanke.»

Sie kamen bald zu dem kleinen Dorf. Am Ortsrand trafen sie einen Arbeiter, der einen Sack trug; Tommy fragte ihn.

«Moat House? Es steht leer. Seit Jahren schon. Mrs Sweeney hat den Schlüssel, wenn Sie es besichtigen wollen – sie wohnt gleich neben der Post.»

Tommy bedankte sich. Bald hatten sie das Postamt gefunden, zu dem auch ein Schokoladengeschäft gehörte. Sie klopften an die Tür. Eine saubere, dralle Frau öffnete ihnen. Sie brachte sogleich den Schlüssel.

«Ich bezweifle allerdings, dass Ihnen das Haus gefallen wird, Sir. Es ist äußerst baufällig. Es regnet durchs Dach. Man bräuchte viel Geld, um es in Ordnung zu bringen.»

«Danke», erwiderte Tommy zuversichtlich. «Aber Häuser sind heute schwer zu kriegen.»

«Das kann man wohl sagen», stimmte die Frau ihm zu. «Entschuldigen Sie, Sir, es wird zu dunkel, um viel vom Haus zu sehen. Wollen Sie nicht lieber bis morgen warten?»

«Wir sehen es uns heute Abend auf jeden Fall ein wenig an. Wir wären schon früher hier gewesen, hatten uns aber verlaufen. Wo kann man denn übernachten?»

Mrs Sweeney sah ein wenig unsicher aus. «Yorkshire Arms – aber das ist für Sie wohl nicht besonders geeignet.»

«Es wird genügen. Es ist nicht etwa eine junge Dame bei Ihnen gewesen und hat nach dem Schlüssel gefragt?»

Die Frau verneinte.

Sie kehrten zum Moat House zurück. Als die Eingangstür in ihren Angeln knarrend nach innen aufging, zündete Hersheimer ein Streichholz an und betrachtete aufmerksam den Fußboden. Dann schüttelte er den Kopf. «Ich möchte wetten, dass auf diesem Weg niemand hereingekommen ist. Sehen Sie mal den Staub an. Nicht eine Fußspur.»

Sie wanderten durch das verödete Haus. Überall das Gleiche. Dicke Staubschichten, die schon seit langem dort lagen.

«Merkwürdig», sagte Hersheimer. «Ich glaube nicht, dass Tuppence jemals in diesem Haus war.»

«Wir sehen es uns morgen noch einmal an», erklärte Tommy. «Vielleicht bemerken wir bei Tageslicht mehr.»

Am nächsten Tag nahmen sie die Suche wieder auf, mussten jedoch erneut feststellen, dass das Haus offensichtlich seit langem nicht mehr betreten worden war. Als sie zum Gartentor zurückkehrten, stieß Tommy einen Schrei aus, beugte sich nieder und hob etwas auf, das zwischen den Blättern gelegen hatte. Es war eine kleine goldene Brosche.

«Die gehört Tuppence!»

«Bestimmt?»

«Aber ja! Ich habe sie oft an Tuppence gesehen.»

«Ich glaube, das wäre klar. Bis hierher ist sie in jedem Fall gekommen. Wir machen das Gasthaus zu unserem Hauptquartier, irgendjemand muss sie doch gesehen haben.»

Fast jeden Tag nahmen sie eine neue Spur auf. Hersheimer war wie ein Hund, den man auf eine Fährte gesetzt hat. Bei dem geringsten Verdacht machte er sich an die Verfolgung. Jedem Wagen, der an jenem schicksalhaften Tag durch das Dorf gekommen war, spürte er nach. Er ließ sich nicht abweisen und betrat einen Landsitz nach dem anderen, um die Eigentümer der Wagen einem strengen Verhör zu unterwerfen. Dabei war er mit seinen Entschuldigungen ebenso eifrig wie mit seinen Fragen und selten misslang es ihm, seine empörten Opfer zu besänftigen; als aber ein Tag nach dem anderen verstrichen war, sahen sie sich ihrem Ziel noch genauso fern wie vorher. Die Entführung war offenbar so gut vorbereitet gewesen, dass sich Tuppence tatsächlich in Luft aufgelöst zu haben schien.

Und nun begann noch etwas anderes Tommy zu bedrücken.

«Wissen Sie, wie lange wir schon hier sind?», fragte er eines Morgens, als sie beim Frühstück saßen. «Eine Woche! Und der nächste Sonntag ist der Neunundzwanzigste!»

«Auch das noch», sagte Hersheimer nachdenklich. «Den Neunundzwanzigsten hatte ich schon fast vergessen.»