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«Eine Anzeige.»

Laut las Tommy den Inhalt: «Informationen jeder Art über Jane Finn erbeten. Auskünfte an J. A.» 

4

Der nächste Tag verlief recht träge. Es erwies sich als notwendig, die Ausgaben etwas einzuschränken. Glücklicherweise war gutes Wetter. «Spazierengehen ist billig», verkündete Tuppence. Ein Vorstadtkino sorgte für ihre Zerstreuung.

Der Tag der großen Enttäuschung war ein Mittwoch gewesen. Am Donnerstag war die Anzeige erschienen. Am Freitag konnte man damit rechnen, dass Briefe in Tommys Club eintreffen würden.

Er hatte sich durch heilige Eide verpflichtet, keinen der Briefe zu öffnen, sondern sich zur Nationalgalerie zu begeben, wo Tuppence ihn um zehn Uhr erwarten wollte.

Tuppence traf zuerst ein. Sie ließ sich auf einem roten Plüschsessel nieder und betrachtete ohne sie wirklich zu sehen Turners Bilder, bis endlich die vertraute Gestalt auftauchte.

«Nun?»

Tommy schüttelte in übertriebener Melancholie den Kopf. «Schade. Das gute Geld ist vertan.» Er seufzte. «Ganze zwei Antworten.»

«Tommy, du ekelhafter Kerl!» Tuppence hatte es fast geschrien. «Gib sie her! Auf der Stelle!»

«Aber Tuppence, was für Worte. Vergiss nicht, worauf ich dich schon früher hingewiesen habe, dass die Tochter eines Geistlichen…»

Tuppence entriss ihm die beiden Umschläge und betrachtete sie aufmerksam.

«Dickes Papier, der eine. Sieht ziemlich wohlhabend aus. Den lesen wir zuletzt und öffnen erst den anderen.» Tuppence riss mit ihrem Daumen den Umschlag auf und holte den Brief hervor.

Sehr geehrte Herren, unter Bezugnahme auf Ihre Anzeige in der heutigen Morgenzeitung teile ich Ihnen mit, dass ich Ihnen von gewissem Nutzen sein könnte. Vielleicht könnten Sie mich morgen Vormittag um elf Uhr aufsuchen.

Ihr ergebener

A. Carter.

«Die Adresse ist Carshalton Terrace 27», sagte Tuppence. «Zeit genug, mit der U-Bahn hinzukommen.»

«Das wäre unser neuer Feldzugsplan», erklärte Tommy. «Jetzt bin ich an der Reihe. Wenn wir also Mr Carter gegenüberstehen, werden er und ich einander wie üblich guten Morgen wünschen. Dann sagt er: ‹Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr…?› Worauf ich bedeutungsvoll erwidere: ‹Edward Whittington!› Daraufhin wird Mr Carter rot anlaufen und keuchend hervorstoßen: ‹Wie viel?› Nachdem ich dann das übliche Honorar von fünfzig Pfund eingesteckt habe, komme ich wieder zu dir auf die Straße, wir begeben uns zur nächsten Adresse und wiederholen das Ganze.»

«Sei nicht so albern, Tommy. Jetzt der andere Brief. Oh, der kommt sogar aus dem Ritz.»

«Also hundert Pfund anstatt fünfzig.»

«Ich lese ihn dir vor.»

Sehr geehrte Herren, ich habe Ihre Anzeige gelesen und würde mich freuen, wenn Sie etwa zur Essenszeit vorbeikämen.

Ihr ergebener

Julius R Hersheimer.

«Nanu», sagte Tommy. «Ein Deutscher? Oder nur ein amerikanischer Millionär deutscher Herkunft? Auf jeden Fall werden wir uns zur Mittagsstunde bei ihm einfinden. Sehr gute Zeit – führt häufig zu freier Verpflegung.»

Carshalton Terrace erwies sich als eine makellose Reihe von Häusern, von denen Tuppence behauptete, sie sähen sehr «damenhaft» aus. Bei Nummer 27 läuteten sie. Ein Dienstmädchen öffnete. Es wirkte so achtbar, dass Tuppence allen Mut verlor. Als Tommy nach Mr Carter fragte, führte sie das Mädchen in ein kleines Arbeitszimmer im Erdgeschoss und ließ sie allein. Kaum war eine Minute verstrichen, als sich die Tür wieder öffnete und ein hoch gewachsener Mann mit hagerem, adlerartigem Gesicht eintrat. In seinen Bewegungen lag etwas Müdes.

«Mr J. A.?», fragte er. Sein Lächeln war sympathisch. «Nehmen Sie doch bitte Platz.»

Sie folgten seiner Aufforderung. Er selber setzte sich Tuppence gegenüber. Da er nicht geneigt schien, das Gespräch zu eröffnen, sah sich Tuppence gezwungen, es zu tun.

«Wir hätten gern gewusst – das heißt –, würden Sie so freundlich sein und uns alles sagen, was Sie von Jane Finn wissen?»

«Jane Finn.» Mr Carter schien nachzudenken. «Nun, die Frage sollte eigentlich lauten: Was wissen denn Sie von ihr?»

Tuppence richtete sich auf. «Ich verstehe nicht!»

«Nicht? Sie müssen schließlich irgendetwas über sie wissen – wieso sonst diese Anzeige?» Er beugte sich ein wenig vor. Seine leise Stimme hatte etwas Suggestives. «Warum wollen Sie es mir nicht erzählen?» Unzweifelhaft besaß Mr Carter eine starke Anziehungskraft.

Tuppence sagte: «Das können wir doch nicht tun, nicht wahr, Tommy?» Aber zu ihrer Überraschung unterstützte Tommy sie nicht. Seine Augen waren fest auf Mr Carter gerichtet und als er dann sprach, lag ein Ton ungewöhnlicher Ehrerbietung in seinen Worten.

«Ich möchte annehmen, dass das Wenige, was wir wissen, Ihnen nicht viel nützen kann, Sir.»

«Aber Tommy!», rief Tuppence verwundert.

Tommy nickte. «Ja, Sir, ich habe Sie sofort erkannt. Ich habe Sie in Frankreich gesehen, als ich dem Geheimdienst zugeteilt war. Gleich, als Sie das Zimmer betraten, wusste ich…»

Mr Carter hob eine Hand. «Keine Namen, bitte! Ich bin hier als Mr Carter bekannt. Es ist übrigens das Haus meiner Kusine. Sie überlässt es mir manchmal, wenn ich einer Sache möglichst diskret nachgehen möchte. Ja», und er blickte von einem zum anderen, «wer erzählt mir nun also die Geschichte?»

«Schieß los, Tuppence!», befahl Tommy.

Gehorsam schilderte sie den Hergang, angefangen bei der Gründung der Jungen Abenteurer GmbH.

Mr Carter lauschte schweigend. Hin und wieder fuhr er sich mit der Hand über den Mund, als wollte er ein Lächeln verbergen. Als sie geendet hatte, nickte er ernst. «Nicht allzu viel. Aber aufschlussreich. Ich weiß nicht… Sie könnten möglicherweise Erfolg haben, wo andere versagten. Ich glaube an das Glück. Ich habe immer an das Glück geglaubt.» Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: «Sie suchen das Abenteuer. Wollen Sie nicht für mich arbeiten? Ganz inoffiziell, verstehen Sie? Spesen werden bezahlt und ein bescheidenes Honorar.»

Tuppence starrte ihn an und ihre Augen wurden immer größer. «Was hätten wir denn zu tun?»

Mr Carter lächelte. «Nichts anderes, als was Sie bereits angefangen haben. Jane Finn suchen.»

«Ja, sehr schön – aber wer ist sie eigentlich?»

«Ja, das müssen Sie nun wohl wissen.» Carter lehnte sich zurück, schlug ein Bein über das andere und begann mit leiser Stimme zu erzählen: «Die Geheimdiplomatie (die übrigens fast immer schlechte Politik ist) bringt es mit sich, dass ich Ihnen nicht alles sagen kann. Aber es wird Ihnen sicher genügen, wenn ich Ihnen mitteile, dass zu Anfang des Jahres 1915 ein gewisses Dokument verfasst wurde: der Entwurf eines Geheimabkommens oder eines Vertrages – nennen Sie es, wie Sie wollen. Es wurde von verschiedenen Regierungsvertretern aufgesetzt und es fehlten nur noch die Unterschriften. Das geschah in Amerika, das damals noch neutral war. Der Vertrag wurde durch einen Sonderkurier, einen jungen Mann namens Danvers, nach England geschickt. Man hoffte, dass die ganze Sache streng geheim bleiben würde. Aber solche Hoffnungen werden meist enttäuscht. Irgendeiner redet immer.

Danvers reiste auf der Lusitania nach England. Er trug die wichtigen Papiere in einem in Öltuch eingeschlagenen Päckchen unmittelbar auf dem Körper. Auf dieser Reise wurde die Lusitania torpediert und sank. Danvers stand auf der Verlustliste. Sein Leichnam wurde an der Küste angespült und unzweifelhaft identifiziert. Das Päckchen aber fehlte!

Nun erhob sich die Frage: Hatte man es ihm weggenommen oder hatte er selber es jemandem zur Aufbewahrung gegeben? Es gab einige Anhaltspunkte, die für die zweite Annahme sprechen. Nachdem das Torpedo das Schiff getroffen hatte, sah man Danvers in den wenigen Augenblicken, die bis zum Besteigen der Boote blieben, mit einer jungen Amerikanerin sprechen. Es hat zwar niemand tatsächlich beobachtet, dass er ihr das Päckchen gab, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass er es getan hat. Ich halte es jedenfalls für durchaus wahrscheinlich, dass er die Papiere diesem Mädchen übergab, weil sie als Frau größere Aussicht besaß, wohlbehalten an Land zu kommen.