»Ich weiß schon«, unterbrach sie ihn. »Ich lege mich flach in den Wagen.«
Jacob grinste. »Genau.«
Die beiden Männer stiegen wieder auf den Bock. Jacob ergriff die Zügel, während Driscoll seinen Webley schußbereit in der Rechten hielt.
Jacob löste die Bremse, trieb die Pferde an und wendete den Wagen, dabei hoffend, daß sich Pape an sein Versprechen hielt. Er tat es. Unbehelligt konnte der Wagen die Farm verlassen.
Driscoll wandte sich um und schaute zurück, während der Planwagen die aus der Senke führende Steigung hinaufrollte.
»Eins haben wir vergessen«, sagte der Reverend leise und ein wenig bekümmert.
»Was?« fragte Jacob.
»Meinen Hut.«
*
Gegen Mittag kehrten sie in die Stadt zurück und waren überrascht, Eric Hood nicht in seinem Mietstall vorzufinden. Sie hätten dem Sheriff gern erzählt, wie sich sein davongelaufener Stallbursche gegenüber Besuchern seiner Farm verhielt.
Statt Eric Hood fanden sie einen graubärtigen Alten, der im Eingangsbereich des Stalls gleich auf zwei Stühlen saß. Den zweiten Stuhl benötigte er, um sein geschientes linkes Bein darauf zu legen.
»Sie müssen Willard Croy sein«, sagte Jacob, sobald er vom Wagen gestiegen war.
»Yeah«, krächzte der Alte. »Stimmt. Woher wissen Sie das, Mister?«
»Wir haben schon viel von Ihnen gehört. Wo steckt Ihr Boß?«
»Mr. Hood? Er mußte dringend weg, längst überfällige Steuern auf der Kershaw-Farm eintreiben. Der Bürgermeister hat ihn losgeschickt.«
»Wann kehrt er zurück?«
»Nicht vor morgen. Die Kershaws wohnen 'ne ziemliche Ecke von Hoodsville entfernt.«
»Seltsam«, sagte Jacob, als er mit Irene und dem Reverend zum Haus des Bürgermeisters ging, um Barry Hood zu fragen, was er am Morgen so dringend mit Franz Pape zu bereden gehabt hatte. »Ausgerechnet jetzt schickt der Bürgermeister seinen Bruder Steuern eintreiben.«
»Glaubst du, da stimmt etwas nicht?« fragte Irene.
»Für mich sieht es ganz so aus, als wollte der Bürgermeister seinen Bruder aus der Stadt haben. Der Sheriff scheint einer der wenigen Menschen hier zu sein, die uns keine Märchen erzählen oder sich nicht mit Waffengewalt dagegen sperren, überhaupt mit uns zu reden. Was meinen Sie, Reverend?«
»Da ist was dran, Adler. Irgend etwas stinkt ganz gewaltig in Hoodsville.«
Wallace Hood stand hinter der Ladentheke und bediente eine ältere Dame, die mehrere Bahnen geblümten Stoffes begutachtete. Von Barry Hood war nichts zu sehen. Als der Bürgermeister die drei Fremden eintreten sah, verfinsterte sich sofort sein Gesichtsausdruck. Jacob glaubte immer mehr, daß er ihnen etwas verheimlichte.
»Wir suchen Ihren Sohn, Mr. Hood«, sagte der junge Zimmermann. »Wo finden wir ihn?«
»Meinen Sohn? Was wollen Sie von ihm?«
»Ihm ein paar Fragen stellen?«
»Worüber?«
»Zum Beispiel darüber, weshalb er heute morgen erzählt hat, er habe eilig ein Päckchen austragen müssen. In Wahrheit ist er beim Mietstall gewesen und hat mit Franz Pape gesprochen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ihr Bruder Eric hat es uns erzählt.«
»Na und? Selbst wenn das stimmt, es ist doch nicht ungewöhnlich, wenn sich zwei junge Burschen unterhalten. Sie sind halt befreundet.«
»Ungewöhnlich ist es aber, daß sich Pape kurz nach dem Gespräch mit Ihrem Sohn auf sein Pferd geschwungen hat und wie vom Teufel gehetzt aus der Stadt geritten ist, ohne sich bei seinem Boß abzumelden. Ihr Bruder war ganz schön sauer. Ungewöhnlich ist auch, daß Pape ohne Vorwarnung auf uns schießt, als wir kurz darauf ganz friedlich seine Farm besuchen.«
Hood erbleichte.
»Das hat er getan?«
»Hat er«, bestätigte Driscoll und fuhr mit der Hand über seinen unbedeckten Kopf; in seinem Haar saßen noch ein paar Schneeflocken. »Es hat mich den Hut gekostet. Eine Handbreit tiefer, und ich hätte statt meines Hutes mein Leben verloren.«
»Das ist ein Fall für den Sheriff«, meinte Hood. »Mein Bruder ist leider derzeit nicht in der Stadt.«
»Das wissen wir bereits«, sagte Jacob und verlor immer mehr von der Höflichkeit, mit der er dem Bürgermeister bisher begegnet war. »Ist Ihr Sohn Barry etwa auch nicht in der Stadt?«
»Doch. Aber Sie können trotzdem nicht mit ihm sprechen.«
»Warum nicht?«
»Weil er krank ist und im Bett liegt. Er schläft.«
»So plötzlich?« wunderte sich Jacob. »Heute morgen wirkte er noch kerngesund.«
»Es kam wie angeflogen. Eine schwere Grippe.« Hood wandte sich wieder seiner Kundin zu. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe zu tun!«
»Die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit, mit der man uns in Hoodsville begegnet, beeindruckt mich immer mehr«, brummte Jacob sarkastisch, als sie auf den Vorbau traten und er laut die Tür hinter sich zuzog. »Sie haben sich wirklich eine nette Stadt für Ihre Kirche ausgesucht, Reverend.«
»Jedenfalls scheint man hier ein Gotteshaus nötig zu haben«, erwiderte Driscoll mit einem Grinsen. »Meine erste Predigt wird sich darüber auslassen, daß man nicht auf friedliche Besucher schießt.« Er fuhr wieder über seinen Kopf. »Und darüber, wie wertvoll ein guter Hut im Winter ist.«
*
Sie kehrten noch rechtzeitig zum Mittagessen in die Pension zurück. Diesmal ließ es sich auch Irene schmecken. Mrs. Flys heiße Hühnersuppe war bei dem kalten Wetter genau das Richtige.
»Ich möchte wissen, in was Carl da reingeraten ist«, sagte sie. »Dieser Franz Pape scheint in irgendwelche krummen Geschäfte verwickelt zu sein. Ich hätte Carl niemals zugetraut, daß er sich auf so etwas einläßt.«
»Vielleicht hat er es nicht gewußt, bis es zu spät war«, entgegnete Jacob. »Etwas Genaueres werden wir wohl erst erfahren, wenn der Sheriff wieder in der Stadt ist.«
»Ich möchte auch vorschlagen, daß wir bis morgen warten«, sagte Driscoll. »Zur Zeit stochern wir nur im Nebel herum. Falls Eric Hood unser Vertrauen rechtfertigt, werden wir mit seiner Hilfe mehr erfahren.«
Der Reverend verabschiedete sich bald nach dem Essen, um Ausschau nach einem Platz für seine Kirche zu halten.
Als der starke Wind am Nachmittag etwas nachließ und dann auch noch der Schneefall aufhörte, gingen Jacob und Irene nach draußen, um einen Spaziergang durch die Stadt zu machen. Auf die Dauer war es zu deprimierend, nur in der Pension zu hocken.
Die Bewohner von Hoodsville begegneten ihnen mit äußerster Zurückhaltung. Niemand grüßte sie. Die meisten wichen ihnen auf der Straße aus. Aber hinter ihrem Rücken wurde über sie getuschelt. Offenbar hatte sich unter den Bürgern herumgesprochen, daß ihr Bürgermeister nicht gut auf die Fremden zu sprechen war. Ob die Leute auch den Grund kannten?
Sie redeten kaum miteinander, aber das war auch nicht nötig. Jacob verstand, daß es viel gab, über das Irene nachdenken mußte. Er genoß es ganz einfach, mit ihr zusammenzusein.
Sie hatten fast die gesamte Stadt durchwandert, um sich die Beine zu vertreten, als in einer langen, engen Gasse plötzlich zwei Gestalten vor ihnen auftauchten. Jacob sah sofort, daß sie von den beiden grobschlächtigen Männern nichts Gutes zu erwarten hatten. Er sah es an ihren verkniffenen Gesichtern und an dem Knüppel, den einer von ihnen in der Hand hielt.
»Weg hier, zurück!« zischte er Irene zu und zog gleichzeitig den 44er.
»Den würde ich an deiner Stelle gleich fallen lassen, Dutch!« sagte hinter ihm eine laute Stimme.
Vorsichtig drehte sich Jacob um und entdeckte einen weiteren Mann, der hinter ihnen die Gasse betreten hatte. Er hielt einen 44er Revolver der Marke Dean Harding auf die beiden Spaziergänger gerichtet. Sofort ließ Jacob seinen Colt fallen. Er wollte Irene nicht gefährden.
»Brav so, Dutch«, lobte ihn der unrasierte Mann mit dem Dean Harding. »Jetzt kannst du beweisen, ob du mit den Fäusten genauso schnell bist wie mit dem Colt!«