»Was wollen Sie von uns?« fragte Irene den Mann mit dem 44er. »Wir haben Ihnen nichts getan!«
»Ihr schnüffelt in unserer Stadt herum. Das mögen wir nicht!«
Die beiden anderen Männer waren inzwischen heran. Der mit dem Knüppel, ein schwarzhaariger, dickbäuchiger Mittdreißiger mit dunklem Vollbart, ließ seine Waffe auf Jacobs Kopf zusausen.
Mit einem Sprung zur Seite entging der Deutsche dem Schlag. Der Knüppel krachte gegen die Hauswand, neben der Jacob eben noch gestanden hatte.
Er wartete keinen neuen Angriff ab, sondern stürmte vor und rammte dem Dickbauch seine Faust ins Gesicht. Nur zwei Sekunden später stieß ihm Jacob das Knie in den Wanst. Der Getroffene stöhnte auf, krümmte sich zusammen und ließ den Knüppel fallen.
Sein Kumpan, ein großer knochiger Kerl in Jacobs Alter, sprang den Zimmermann an und versetzte ihm einen schmerzhaften Fausthieb an die Schläfe. Vor Jacobs Augen explodierten Feuerbälle und er taumelte, bis er mit dem Rücken gegen eine Wand stieß. Sein breitrandiger Filzhut rutschte vom Kopf.
Der Knochige setzte nach, um ihm den Rest zu geben. Er hatte Jacob unterschätzt. Der stieß sich mit gesenktem Haupt von der Wand ab, stürmte wie ein wütender Stirn vor und rammte seinen Schädel gegen die Brust des anderen. Der Knochige stieß einen ächzenden Laut aus, verlor das Gleichgewicht und fiel in den Schnee.
Jacob konnte sich nicht weiter um ihn kümmern, weil der Dickbauch einen neuen Angriff startete. Mit ausgebreiteten Armen rammte er Jacob und verschränkte die Hände auf dem Rücken des Deutschen. Mit der Kraft eines Bären versuchte er, Jacobs Rückgrat zu brechen.
Jacob setzte wieder sein Knie ein. Er traf den Dicken da, wo es am meisten wehtat. Der Mann heulte auf und lockerte unwillkürlich seinen Griff. Jacob konnte seine Arme befreien und ließ seine Fäuste gegen den Kopf des Angreifers krachen. Der taumelte zurück, sah den Deutschen aus glasigen Augen an und brach zusammen.
Aber sein knochiger Gefährte war wieder auf den Beinen und kam langsam, vorsichtig geworden, mit schlagbereiten Fäusten auf Jacob zu.
»Schluß jetzt mit der Spielerei!« rief der Mann mit dem Dean Harding und richtete die Waffe auf Irene. »Du hörst sofort auf, dich zu wehren, Dutch. Andernfalls blase ich ein Loch in dein Schätzchen!«
Jacob wußte nicht, ob er es ernst meinte. Aber er wußte, daß er kein Risiko eingehen durfte. Nicht, wenn Irene in Gefahr war.
Mit herunterhängenden Armen stand er da und ließ das Trommelfeuer der Faustschläge über sich ergehen, das der Knochige, ein gemeines Grinsen im Gesicht, auf ihn abließ.
Wieder sah Jacob die Feuerbälle vor seinem Gesicht explodieren. Alles drehte sich um ihn herum, und er fiel in den angenehm kalten Schnee.
»Hast du etwa schon genug, Schlappschwanz?« verhöhnte ihn der Knochige und zog ihn am Jackenkragen hoch.
Da peitschte ein Schuß durch die enge Gasse.
»Irene!« schrie Jacob erschrocken und riß die Augen auf, um die bunten Schleier, die er vor sich sah, zu durchdringen.
Irene schien nichts passiert zu sein. Sie stand noch an der Hauswand.
Der Mann, der sie mit dem Revolver bedroht hatte, krümmte sich vor Schmerz zusammen, und hielt seine rechte Schußhand mit der Linken. Blut tropfte von seinen Händen in den Schnee und färbte ihn langsam rot. Neben diesem roten Fleck lag der 44er Dean Harding.
Eine dunkle Gestalt schritt durch die Gasse, einen rauchenden Revolver in der Rechten haltend: Reverend Blake Driscoll.
»Meine Hand«, jammerte der Mann neben Irene. »Sie haben mir die Hand zerschossen!«
»Na, so was«, meinte der Reverend kopfschüttelnd. »Meine Augen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Dabei hatte ich auf dein Herz gezielt, mein Sohn. Ich hielt es nämlich für einen guten Gedanken, eine miese Ratte zur Hölle zu schicken. Danke dem Herrn, daß er dich noch einmal vor dem Fegefeuer verschont hat!«
Driscoll sah Jacob an. »Was ist, Mr. Adler? Haben Sie keine Rechnung mit Ihrem Bekannten zu begleichen?«
»O doch«, erwiderte Jacob und schloß seine Beine scherenartig um den Knochigen. Das brachte den Burschen zu Fall und löschte endlich das hämische Grinsen auf dessen Gesicht.
Jacob wälzte sich auf den von der unerwarteten Wendung der Dinge Überraschten und ließ seine Fäuste so auf ihm tanzen, wie es der Knochige zuvor mit ihm getan hatte. Er ließ erst von ihm ab, als das blutige Gesicht kraftlos zur Seite fiel.
Schwer atmend stand Jacob auf und wischte sich das Blut, das ihm die Sicht verklebte, mit dem Ärmel aus dem Gesicht.
»Die Rache ist mein, spricht der Herr«, sagte der Reverend und steckte seinen Webley zurück ins Holster.
»Amen«, fügte Jacob hinzu, während er seinen Colt aus dem Schnee fischte und am Innenfutter seiner Jacke abwischte. Er fühlte sich noch recht wacklig auf den Beinen und war sehr erleichtert, als ihn Irene stützte.
»Wie geht es dir, Jacob?« fragte sie besorgt.
»Erinnerst du dich an die Büffelstampede, der wir auf dem Treck nur knapp entgangen sind?«
»O ja.«
»Nun, ich fühle mich, als sei ich unter eine solche Büffelherde geraten.«
»Wir sollten von hier verschwinden«, riet Driscoll. »Ihre beiden Büffel werden bald wieder zu sich kommen. Und dem Jammerlappen da könnte irgendwann einfallen, daß man auch mit der linken Hand schießen kann. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, daß die Kerle Freunde in der Nähe haben. Ratten treten immer in Scharen auf.«
Der Reverend bückte sich und klaubte Jacobs Hut auf.
»Hier, damit es Ihnen nicht so geht wie mir.«
»Danke«, sagte Jacob. Er setzte den Hut auf und verließ mit Irene und dem Reverend die Gasse.
»Wir sollten einen Arzt aufsuchen«, schlug Irene vor. »Jacobs Kopf sieht nicht gut aus.«
»Eine gute Idee, die allerdings einen Schönheitsfehler hat«, sagte Driscoll. »Im Umkreis von mindestens hundert Meilen gibt es keinen Arzt. Wir werden selbst sehen müssen, was wir für Mr. Adler tun können.«
»Ob Wallace Hood die Schläger auf uns gehetzt hat?« fragte Jacob unter Schmerzen. Bei jeder Silbe, die er sprach, brannte sein Mund wie Feuer.
»Anzunehmen«, antwortete der Reverend. »Unser Besuch in Hoodsville scheint dem Bürgermeister unangenehm zu sein.«
»Ich sehe schwarz für Ihre Kirche, Reverend, wenn Sie sich weiterhin in unserer Gesellschaft zeigen.«
»Vielleicht ist das gar nicht mal so schlimm, Mr. Adler. Je länger ich in Hoodsville bin, desto mehr gewinne ich den Eindruck, daß die Leute hier keine Kirche brauchen, sondern eine Kompanie Kavallerie, die für Ordnung sorgt.«
Unter den entsetzten Augen von Mrs. Fly brachten sie Jacob auf sein Zimmer, wo sie seine Wunden auswuschen und ihm einen Verband anlegten.
Ruhe und Wärme taten ihm gut, aber noch mehr Irenes kühle Hände, wenn sie sein Gesicht berührten. Mit dem seligen Lächeln eines glücklichen Kindes im Gesicht schlief Jacob ein.
*
Als er erwachte, war es draußen dunkel. Das schwache Licht in seinem Zimmer rührte von der Petroleumlampe unter der Decke, deren Docht Irene möglichst weit heruntergedreht hatte.
Irene saß auf dem einzigen Stuhl des Zimmers, einer ziemlich wackligen Angelegenheit.
»Wie spät ist es?« fragte Jacob langsam. Das Sprechen fiel ihm noch immer nicht besonders leicht. »Habe ich lange geschlafen?«
»Nein, Jacob. Es ist gerade erst dunkel geworden. Wie geht es dir?«
»Wie es jemandem geht, der unter eine Büffelherde geraten ist.« Er sah sich im Zimmer um. »Wo steckt der Reverend?«
»Er ist gegangen, kurz nachdem du eingeschlafen bist. Er meinte, wir sollten vorsichtig sein und uns vor der Rückkehr des Sheriffs nicht mehr allein auf die Straße wagen.«
»Sicher ein guter Rat«, stöhnte Jacob und ließ sich zurück aufs Bett fallen. »Danke für dein Wachehalten, Irene. Leg dich jetzt auch etwas aufs Ohr. Ich habe das Gefühl, morgen wird ein anstrengender Tag.«