Etwas trübte Urillas Glück ein wenig. Es war der Gedanke, daß niemand von ihrer Familie mehr lebte. Ihre Geschwister würden nie ihren Neffen kennenlernen, ihre Eltern nie ihren Enkel. Fast hätte sie wieder einen Vater gehabt, aber Daniel Anderson war gestorben, kurz nachdem sie den seit fünf Jahren Verschollenen wiedergefunden hatte. Sein Grab war ein Steinhaufen in den Rocky Mountains.
Ein Geräusch riß Urilla aus ihren Gedanken: Schritte, die langsam näherkamen. Sie blickte auf, konnte aber niemanden sehen. Die Planwagen versperrten ihr die Sicht. Wahrscheinlich war es Martin, der es vor Aufregung und Sorge um sie nicht länger beim Fest ausgehalten hatte.
Doch es war nicht Martin. Das breite, junge und doch schon wettergegerbte Gesicht, dem sie sich plötzlich gegenübersah, hatte nichts mit Martins sympathischen, ehrlichen Zügen gemein. Die schmalen, heftig zwinkernden Augen über den unrasierten Wangen sahen Urilla in einer Art an, die sie nur zu gut kannte und die sie nie mehr zu spüren gehofft hatte. Sie drückten ein fast animalisches Begehren aus, das nichts mit der aufrichtigen Liebe zu tun hatte, die Urilla und Martin füreinander empfanden.
Der jüngste der fünf Mountain Men trat langsam näher, die aufgeworfenen Lippen halb geöffnet. Sein Blick war so starr auf Urilla fixiert, daß es ihr Angst einflößte. Sie wußte genau, was er vorhatte. Sie wollte schreien, um Hilfe rufen, aber es gelang ihr nicht. Angst schnürte ihr die Kehle zu.
»Was haben Sie, Miß?« fragte der kaum Zwanzigjährige in einem quäkenden Ton, der sich anhörte, als befände er sich noch im Stimmbruch. »Haben Sie Angst vor mir? Das müssen Sie nicht. Ich will Ihnen doch nichts tun. Ich will nur, daß Sie ein bißchen lieb zu mir sind.«
Er war jetzt so nah, daß er nur die Hand ausstrecken mußte, um Urilla zu berühren. Sein süßlicher, penetranter Atem streifte die Frau und rief Übelkeit in ihr hervor. Der faulige Gestank seiner dunklen, lückenhaften Zähne verband sich mit dem Geruch von Alkohol, den Urilla noch von ihrer Zeit als Animiermädchen im Lightheart Palace in deutlicher Erinnerung hatte.
Sie hatte diesen Geruch nie gemocht. Aber jetzt versetzte er ihren ganzen Körper in Rebellion. Vielleicht lag es an ihrer Schwangerschaft. Vielleicht an ihrer Angst vor dem Fremden. Vielleicht daran, daß sie gehofft und geglaubt hatte, sich nie mehr mit solchen Männern einlassen zu müssen.
»Ihre Freunde sagten, Sie haben keinen Ehemann«, quäkte der große, etwas aufgedunsen wirkende Trapper weiter. »Ich habe lange keine Frau gehabt. Ich finde, das sind zwei gute Gründe, damit wir uns zusammentun. Wir werden beide viel Spaß haben.«
Urilla schüttelte langsam den Kopf. Sie dachte an das Ungeborene in ihrem Leib, an Martin, und öffnete endlich die Lippen zu einem Hilferuf.
Die schmutzige, stinkende Hand des Trappers preßte sich auf ihre Lippen und erstickte jeden Laut. Urillas Übelkeit wuchs. Der Brechreiz in ihr löste ein Würgen aus.
Der Druck auf ihren Lippen lockerte sich ein wenig, ohne daß der Trapper seine Hand ganz fortnahm.
»Nicht!« bettelte Urilla. »Bitte, tun Sie das nicht, Mister. Ich... ich bin schwanger!«
In seinen dunklen, schmalen Augen blitzte es auf. Langsam ließ der Trapper seinen Blick an Urillas blauem Flanellkleid entlanggleiten, bis er sich fest auf ihren Leib heftete.
»So, schwanger also«, murmelte er. »Und keinen Mann, wie?« Ein niederträchtiges Grinsen lag auf seinen Lippen. »Du kleine Hure treibst es wohl gern, he? Ich wußte doch, daß es dir Spaß macht!«
Dann ging alles sehr schnell. Mit ein paar ruckartigen Bewegungen zerfetzte er Urillas Kleid und Unterkleid, bis Brust und Bauch bloßlagen.
Der Glanz in den Augen des Trappers wurde stärker. Bewundernd betrachtete er Urillas große runde Brüste und den ganz leicht gewölbten Bauch, dem man die Schwangerschaft noch nicht ansah.
»Du bist schön«, stammelte er. »Wunderschön.«
Seine Hände schossen vor und griffen schmerzhaft in das Fleisch ihrer Brüste.
Schwindel packte Urilla. Ein alptraumhafter Wirbel, der die längst tot geglaubte Vergangenheit zur peinigenden Gegenwart machte.
Sie sah sich wieder in dem alten Stall in Kansas City, wo die beiden Sklavenjäger über sie herfielen. Nur das Auftauchen von Jacob und Martin hatte sie vor einer Vergewaltigung bewahrt.
Doch damals, als die Betrunkenen in die kleine Hütte kamen, die Urilla mit ihrer Mutter und ihren Schwestern in Rock Bridge, bewohnte, hatte niemand ihr geholfen. Wie Tiere waren die Männer über die vier hergefallen, auch über die noch jungen Mädchen, und hatten sie auf widerwärtige Weise mißbraucht. Dann hatten sie ihre Mutter und ihre Schwestern ermordet. Auch Urilla wäre getötet worden, hätte sie sich nicht versteckt. Später, als das durch die Vergewaltigung entstandene Leben in ihr heranwuchs, hatte sie sich oft gewünscht, tot zu sein. Jetzt wünschte sie es sich wieder. Vielleicht war es frevelhaft, solche Gedanken zu hegen angesichts des Ungeborenen in ihrem Leib und angesichts des Mannes, der sie heiraten wollte. Aber Urilla konnte es einfach nicht mehr ertragen, vom Schicksal immer wieder so bestraft zu werden.
Nein, so durfte sie nicht denken! Sie mußte es überstehen, irgendwie!
Für Martin.
Und für ihr Kind.
Urilla zitterte am ganzen Leib, aber sie hielt still. Sie saß, steif wie eine Kerze, auf der Wagendeichsel und ertrug es stumm, von den groben Händen befingert zu werden.
Der Trapper drückte und knetete ihre Haut und schien gar nicht genug davon zu bekommen. Sein Atem rasselte heftig.
Bis plötzlich eine Stimme rief: »Aufhören!«
*
Billy Calhoun machte sich Sorgen. Sorgen um Urilla Andersen. Seit er gesehen hatte, wie der junge Trapper zu den Planwagen ging, wo er die junge Frau wußte. Billy hatte gerade von Jacob Adler und Martin Bauer erfahren, daß Urilla ein Kind erwartete. Was hatte der Mountain Man bei der Frau zu suchen?
Der junge Halbindianer schlug ebenfalls den Weg zu den Wagen ein und beschleunigte seine Schritte, je näher er ihnen kam.
Als er sah, was da vor sich ging, blieb er wie vom Donner gerührt stehen und rief wütend: »Aufhören!«
Mit ungeahnter Schnelligkeit wirbelte der Trapper herum und sah Billy mit böse funkelnden Augen an.
»Was willst du, Halbblut?« zischte er. »Verzieh dich! Das hier ist meine Squaw!«
Während er sprach, schlug er seine Wildlederjacke zurück und entblößte das Holster an der rechten Hüfte, aus dem der hirschhornverzierte Griff eines Revolvers lugte. Eine der Hände, die sich eben noch mit dem warmen weichen Körper der jungen Frau beschäftigt hatten, schwebte dicht über der Waffe.
Billy sah plötzlich ein, daß er einen schlimmen Fehler gemacht hatte, als er dem Trapper unbewaffnet folgte. Am Morgen hatte er seinen Waffengurt mit dem 44er Colt Dragoon abgelegt, weil er ihn bei der Arbeit zu sehr behinderte. Wie alle Siedler, die eine Waffe getragen hatten. Deshalb war er jetzt nur mit dem Bowiemesser ausgerüstet, das an seiner linken Hüfte hing. Er hoffte, daß sich die Auseinandersetzung unblutig beilegen ließ.
»Ihre Squaw ist Miß Andersen ganz bestimmt nicht! Sie hat bereits einen Mann.«
»Da habe ich aber ganz was anderes gehört, Rothaut!«
»Dann irren Sie sich. Es ist das beste, Sie gehen zurück zum Fest.«
»Ich laß mir doch von 'nem stinkenden Halbblut keine Vorschriften machen«, zischte der Trapper und stieß gleichzeitig seine Rechte nach unten. Sie kehrte mit dem Revolver zurück.
Als Billy dies sah, zog er sein Bowiemesser aus der Scheide. Er hatte nur noch eine Chance: das Messer zu schleudern, bevor der angetrunkene Trapper schoß.