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Aber trotz seiner Trunkenheit war der Mountain Man schnell. Ein Zeichen für seine Übung darin, schnell mit der Waffe zur Hand zu sein.

Billy hatte das Messer gerade erst zum Wurf erhoben, als er die Feuerlanze aus der schwarzen Mündung auf sich zuschießen sah. Als er die Detonation hörte, hatte ihn der schwere Aufprall in seiner Brust schon zurückgeschleudert.

Das Messer fiel zu Boden. Billy stieß mit dem Rücken gegen den Wagenkasten eines Prärieschoners. Andernfalls wäre er zu Boden gegangen.

»Die Rothaut ist zäh«, knurrte der Trapper und zog mit dem Daumen den Hahn seines 44er Kerr-Revolvers erneut zurück.

»Nein!« schrie Urilla auf. »Nicht!«

Sie warf sich gegen den Trapper, um ihn von seinem zweiten Schuß abzuhalten. Aber als sie ihn erreichte, hatte die Kugel schon den Lauf verlassen und riß ein zweites Loch in Billys Brust.

Billy merkte nicht, daß er langsam an dem Prärieschoner herunterrutschte. Sein Geist hatte diesen Ort bereits verlassen.

Noch einmal, in Bruchteilen von Sekunden, durchlebte er den Treck nach Oregon, den er als Scout geführt hatte. Dann reiste er weiter zurück in die Vergangenheit, nach Kansas City, wo er als Jockey für den reichen Homer C. Asquith gearbeitet hatte. Nur kurz flammte die Missionsstation vor ihm auf, aus der er bald geflohen war.

Richtig glücklich war er erst, als er wieder ein kleiner Junge war und mit seinen Eltern, dem weißen Händler und der schönen Indianerin, bei den Oto lebte. Seine früh verstorbene Mutter kam immer näher auf ihn zu, breitete ihre Arme aus und fing ihn auf. Er tauchte in ihre wohlige Wärme ein, in ein tiefes, dunkles Loch.

*

»Das hat die dreckige Rothaut davon, sich einzumischen!« sagte der junge Mountain Man, den rauchenden 44er noch in der Hand.

Urilla stand fassungslos neben ihm und starrte auf Billy, der in seltsam verrenkter Haltung reglos am Boden lag. Sein Kopf mit dem schulterlangen schwarzen Haar war unter den Prärieschoner gerutscht.

Das unrasierte Gesicht des Trappers verschwamm vor Urillas Augen und wurde zu einem der Gesichter, die sie immer wieder in ihren Alpträumen heimsuchten. Das Gesicht eines der Männer, die sie vergewaltigt und ihre Familie ermordet hatten. Der Alkoholdunst, der von dem Mountain Man ausging, wurde zu dem Gestank der Vergewaltiger. Gegenwart wurde zu Vergangenheit und Vergangenheit zu Gegenwart.

Ganz deutlich sah Urilla die flehenden Gesichter ihrer Mutter und ihrer Schwestern vor sich. Sie knieten, in ihrer zerfetzten Kleidung und mit ihren zerschundenen Körpern, am Boden und bettelten um Gnade, bettelten darum, am Leben gelassen zu werden. Aber sie fanden kein Mitleid, nur Hohn und Spott. Und das heiße Blei, das ihre Lebensadern durchschnitt.

In Urillas Kopf hallten die Schüsse wider, die ihre Familie ausgelöscht hatten. So laut wie eben die Schüsse, die Billy Calhoun getroffen hatten.

»Mörder!« schrie Urilla und warf sich erneut auf den Trapper, fuhr mit ihren Fingernägeln durch sein Gesicht.

Der kräftige Mann schüttelte sie ab wie ein lästiges Insekt und fuhr mit der Linken durch sein zerkratztes Antlitz. Als er das Blut an seiner Hand sah, verzerrte sich das häßliche Gesicht vor Wut, und er fletschte seine schlechten, fauligen Zähne. Er stieß die Rechte mit dem Revolver vor und schwenkte die Mündung auf Urilla, die über eine Wagendeichsel gestolpert war und am Boden kniete.

»Was fällt dir ein, du dumme Hure!« stieß der Mann wütend hervor und spannte den Hahn.

Vielleicht ist es besser so, dachte Urilla, als der Schuß krachte. Dann ist dieses Leben endlich vorbei!

Sie starrte ihren Peiniger an und wartete vergeblich auf den Einschlag der Kugel, auf den rasenden Schmerz, der das Ende ankündigte.

Erstaunt beobachtete sie statt dessen, wie sich das Gesicht des Trappers verzerrte. Erst beherrschte Verwunderung die rauhen Züge, dann Schmerz und Panik.

Laut stöhnend drehte er sich um, den 44er noch immer in der Rechten.

Da fiel ein zweiter Schuß.

Der Trapper erbebte unter dem Einschlag der Kugel und stolperte nach hinten, auf Urilla zu.

Jetzt erst registrierte sie, daß nicht er geschossen hatte, sondern jemand, der zwischen den Planwagen im Halbdunkel der Abenddämmerung verborgen war.

Als der Mountain Man mit dem Rücken gegen den Prärieschoner stieß, löste sich endlich der Schuß aus seinem Kerr-Revolver. In dem Moment fiel ihm die Waffe auch schon aus der Hand. Die Kugel fuhr in den Boden und wirbelte eine kleine Erdfontäne auf.

Noch einmal versuchte sich der Trapper aufzurichten. Aber der Versuch mißlang. Mit einem gurgelnden Laut auf den aufgerissenen Lippen stürzte er lang hin und lag dann ebenso reglos zwischen den Wagen wie Billy Calhoun.

Urilla kniete noch neben der Deichsel und begriff erst allmählich, daß sie Gevatter Tod noch einmal entkommen war. Vorsichtig legte sie ihre Hände auf den nackten Bauch und strich über das werdende Leben in ihrem Leib.

Ich lebe! dachte sie voller Freude. Wir leben!

Schritte lenkten sie ab. Zwischen den Wagen trat eine große dunkle Gestalt hervor. Ihre Konturen wurden nur langsam in dem schwindenden Restlicht erkennbar, das die bereits hinter der Cascade Range verschwundene Sonne noch ausstrahlte. Die große, hagere, leicht nach vorn gebeugte Gestalt wirkte wie ein riesiger Raubvogel. Wie ein Aasgeier, der sich auf den am Boden liegenden Trapper stürzen wollte.

Der Aasgeier war ein Mann, der sich deshalb nur schwer vom immer mehr verblassenden Dämmerlicht abhob, weil er ganz in Schwarz gekleidet war, vom Hut, über Mantel, Jacke und Hose bis zu den Stiefeln und Lederhandschuhen. Nur der Hemdkragen unter dem langen schmalen Hals bildete eine weiß leuchtende Ausnahme. Der Mann wirkte in seinem Aufzug wie ein Geistlicher, aber dazu paßte nicht der große Revolver in seiner Rechten, aus dessen Mündung Rauch nach oben stieg, um sich in der Luft kräuselnd aufzulösen.

Urilla hielt den Mann für ihren Retter, und doch ängstigte sie sein Anblick. Er wirkte wie der wandelnde Tod mit dem schmalen, eingefallenen Gesicht, dessen Augen so tief in den Höhlen lagen, daß sie kaum zu sehen waren. Aber doch! Sie waren von seltsam rötlicher Farbe, wie es Urilla noch nie gesehen hatte. Dieses rötliche Leuchten strahlte aus den Augenhöhlen und erinnerte sie an das Fegefeuer.

Urilla vermochte nicht genau zu sagen, wie alt der Fremde war. Das faltige Gesicht wirkte nicht mehr jung, eher wie das eines Mannes, der die Fünfzig längst überschritten hatte. Aber vielleicht hatten die seltsam glühenden Augen auch schon viele Dinge gesehen, die den Mann vorzeitig hatten altern lassen.

Jedenfalls machte die bedächtige Art, mit der er sich Urilla näherte, ganz diesen Eindruck. Das blutige Drama, das so plötzlich über diesen Ort hereingebrochen war, schien ihn nicht im geringsten aus der Fassung zu bringen.

Er blieb neben dem Trapper stehen und beugte sich über ihn. Den Revolver mit dem zurückgezogenen Hahn hielt er auf die bewegungslose Gestalt gerichtet, während er sie vorsichtig mit der freien Hand umdrehte.

»Tot«, stellte der Fremde ohne eine Gefühlsregung überflüssigerweise fest.

Auch Urilla sah sofort, daß dem jungen Trapper nicht mehr zu helfen war. Eine Kugel war ihm in die Brust gedrungen, die andere in den Kopf. Mitten auf seiner Stirn klaffte ein großes rotes Loch, das wie ein drittes Auge wirkte.

Zitternd erhob sich Urilla, sich an Vorderrad und Fahrerkasten des Prärieschoners hochziehend.

Der Fremde steckte den Sechsschüsser zurück in das schwarzlederne Holster an seiner rechten Seite und zog seinen schwarzen Mantel aus.

»Sie sollten sich etwas überziehen«, sagte er mit einer gefühllosen Stimme, die zu dem seltsamen Mann paßte.

Zögernd ließ es Urilla zu, daß er den Mantel um sie legte. Bis jetzt war sie sich ihrer Blöße gar nicht bewußt gewesen, so hatten sie das Geschehen und das überraschende Auftauchen des seltsamen Fremden mitgenommen.