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Sie hielt den Mantel vor ihrer nackten Brust mit einer Hand zusammen und zeigte mit der anderen Hand auf den Wagen, neben dem Billy Calhoun lag.

»Was ist mit Billy?«

»Ein Freund von Ihnen?« fragte der Fremde.

Urilla nickte und sagte: »Billy wollte mir helfen.«

Mit langen Schritten ging der Fremde zu ihm und zog Billys Oberkörper unter dem Wagen hervor.

Währenddessen schickte Urilla ein stilles Stoßgebet gen Himmel, der Schuß möge nicht tödlich gewesen sein.

Ihr Gebet wurde nicht erhört.

»Ihrem Freund ist leider nicht mehr zu helfen, Ma'am«, sagte der Fremde, als er sich wieder aufrichtete. »Die Kugel hat ihn dicht neben dem Herzen getroffen. Der Herr in seiner unerforschlichen Weisheit hat ihn zu sich genommen. Die Seele dieses Jungen.«

Weiter kam er nicht. Die von den Schüssen alarmierten Menschen drängten sich zwischen die Wagen.

Urilla dachte an den jungen Halbindianer und brach in Tränen aus.

*

Atemlos lief Martin zu Urilla, nahm sie fest in die Arme und strich tröstend über ihr lockiges Haar. Als sich der umgelegte Mantel ein Stück öffnete und er das zerfetzte Kleid sah, ahnte er, was sich abgespielt hatte.

»Wer hat das getan?« fragte er zwar mit leiser Stimme, aber dennoch in einem Tonfall, der seine Erregung und seinen Zorn deutlich hervortreten ließ.

Urilla wollte antworten, aber sie konnte es nicht. Der Gedanke an das, was beinahe mit ihr und ihrem ungeborenen Kind geschehen wäre, und der Gedanke, daß Billy Calhoun für sie gestorben war, hatten sie überwältigt. Ihre aufgewühlten Gefühle brachen sich Bahn und ließen nichts anderes zu als hemmungsloses Weinen.

Martins suchende Augen hefteten sich an dem schwarzgekleideten Fremden fest.

»Haben Sie etwas mit der Sache zu tun, Mister?« fragte der junge Deutsche grimmig.

Der raubvogelhafte Mann nickte. »Das habe ich in der Tat.«

»Was haben Sie Urilla angetan?« stieß Martin mit bebender Stimme hervor.

»Ich habe ihr meinen Mantel gegeben, um ihre Blöße zu bedecken. Und ich kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, daß dieser Lump Ihre Frau erschoß.«

Der Fremde zeigte mit dem behandschuhten Finger auf die Leiche des jungen Trappers.

Martins Blick und die Blicke der übrigen Siedler richteten sich auf den Toten.

»Sie haben den Trapper erschossen, Mister?« fragte Jacob, der zusammen mit Martin als einer der ersten bei den Planwagen angekommen war.

Wieder nickte der Fremde und sagte: »Der Herr hat mich gerade noch rechtzeitig kommen lassen. Dieses Tier in Menschengestalt hatte schon seine Waffe auf die Frau gerichtet.«

»Und Billy?« fragte Irene, die neben dem Halbblut in die Knie gegangen war.

»Das war auch dieses Tier. Der Mischling wollte der Frau helfen.«

»Was ist mit Billy?« erkundigte sich Jacob.

»Er ist tot«, sagte Irene leise.

Jacob mußte sich zusammenreißen. Während der langen Reise und auch hier in Oregon hatte sich der junge Halbindianer als wahrer Freund erwiesen. Selbstlos hatte er den Treck über die Rocky Mountains geführt, und selbstlos hatte er beim Aufbau der Siedlung geholfen. Nie hatte er etwas für seine Dienste verlangt. Ein Platz zum Schlafen und drei Mahlzeiten am Tag genügten ihm. Jacob hatte ihn gemocht. Der Gedanke, daß dieses junge Leben so sinnlos ausgelöscht worden war, erfüllte ihn mit Trauer und Zorn.

»Wer sind Sie überhaupt, Mister?« fragte Sam Kelley den Fremden. »Sie haben sich uns noch nicht vorgestellt.«

»Verzeihung«, sagte der Hagere mit einem dünnen Lächeln auf den schmalen Lippen, wobei er den Hut abnahm und sich leicht verneigte. Er enthüllte dabei dichtes schwarzes Haupthaar, das von grauen Strähnen durchzogen war. »Ich bin Reverend Blake Driscoll, unterwegs im Auftrag des Herrn, um seinem Wort in diesem wilden Land Gehör zu verschaffen.«

»Ein Reverend«, sagte der schwarze Schmied ein wenig ungläubig und zeigte auf den Revolver an der Hüfte des Schwarzgekleideten. »Ich dachte immer, das Arbeitsmittel Ihres Berufsstands sei die Bibel.«

»Die natürlich auch. Und drüben im Osten mag sie auch genügen.« Driscoll klopfte auf das Lederholster. »Hier im Westen braucht man leider das hier. Solange nicht alle Menschen auf das Wort des Herrn hören, ist ein Narr, wer sich allein darauf verläßt.«

»Klingt wie eine gesunde Einstellung«, gab Kelley zu.

»Vor allem ist es eine lebenserhaltende Einstellung«, erwiderte der Reverend und wandte sich um.

»Halt!« rief Jacob scharf. »Wohin wollen Sie?«

»Mein Pferd holen. Es steht noch irgendwo hinter den Wagen. Als ich die Schüsse hörte, die das Halbblut getroffen haben, bin ich aus dem Sattel gestiegen und habe mich vorsichtig angeschlichen.«

»Wohl auch eine lebenserhaltende Maßnahme?« meinte Sam Kelley.

Wieder grinste der Reverend. »Genau.«

Er verschwand zwischen den Wagen.

»Ein komischer Heiliger«, knurrte Sam, der ihm nachblickte.

»Wir können froh sein, daß er dazugekommen ist«, sagte Martin, der noch immer seine weinende Braut in den Armen hielt. »Sonst wäre es Urilla schlecht ergangen.«

Jacob und auch Sam stimmten ihm zu.

Das Pferd, mit dem der Reverend zurückkehrte, hätte nicht besser zu ihm passen können. Ein großer knochiger Rappe, mit einer dreieckigen Blässe direkt über den Augen. Die untere Spitze des hellen Dreiecks stieß zwischen die Augen vor.

Unter den Siedlern entstand Unruhe. Vier Personen drängten sich zum Ort des Geschehens durch: Black Joe Haslip und seine Gefährten. Eine Alkoholwolke begleitete die rauhen Männer der Berge.

Black Joe fiel neben seinem toten Gefährten auf die Knie. Ungläubig starrte er die Leiche an.

Dann hob er den Kopf. Forschend blickten seine Augen in die Runde.

Das schwarze Gestrüpp in seinem breiten Gesicht zerteilte sich. Seine Lippen zitterten wie seine dunkle Stimme, als er fragte: »Wer hat das getan?«

»Ich«, antwortete Driscoll, der sein pechschwarzes Pferd mit der linken Hand am Zügel hielt.

Langsam richtete sich der Mountain Man zu seiner ganzen beeindruckenden Größe auf und bellte: »Das ist Ihr Todesurteil, Mister!«

Seine Hand zuckte an die rechte Hüfte, hatte aber den Kolben seines Revolvers noch nicht einmal berührt, als der Reverend schon seinen Webley Longspur in der Rechten hielt. Der Hahn klickte metallisch, und die dunkle Mündung zeigte auf Haslip.

»Ich würde die Hand da wegnehmen, Mister, sonst gibt es hier bald noch einen Toten«, sagte Driscoll scharf. »Aber das werde nicht ich sein!«

Zögernd gehorchte Black Joe, während sein Blick Hilfe bei seinen Gefährten suchte.

»Das gilt auch für euch«, fuhr der Reverend mit einem schnellen Schwenk seiner Waffe auf die drei anderen Trapper fort. »Vielleicht erwischt mich einer von euch, aber zwei bis drei nehme ich garantiert mit!«

Trotz der Schärfe, die in der Stimme des Reverends lag, klang sie kein bißchen erregt. Driscoll schien vielmehr völlig ruhig zu sein und erweckte den Eindruck eines Mannes, der sich solch einer Situation nicht zum erstenmal gegenübersah.

Jacob und die anderen Siedler verwünschten es, daß sie ihre Waffen abgelegt hatten. Die Trapper waren bewaffnet. Falls sie sich zum Kampf entschlossen, konnte es in dem dichten Gedränge zu einem Blutbad kommen, auch an den umstehenden Frauen und Kindern.

Aber die Männer aus den Bergen zögerten, ihrem Anführer zu Hilfe zu kommen. Driscolls Gewandtheit im Umgang mit der Waffe hatte sie unsicher gemacht. Trotz des reichlich genossenen Alkohols schienen sie nicht so leichtfertig zu sein, ihr Leben für eine Sache in Gefahr zu bringen, die keine ausreichende Aussicht auf Erfolg bot.

Als Haslip merkte, daß er von seinen Gefährten keine Hilfe zu erwarten hatte, sah er Jacob und Sam Kelley an.

»Wollen Sie mir nicht helfen? Dieser Bastard hat Timmy ermordet!«