Am liebsten hätte er Desjani gefragt, wieso sie die Folgen eines so breit gestreuten planetaren Bombardements voraussagen konnte, doch im letzten Moment hielt er sich davon ab. Die Allianz hatte solche Taktiken übernommen und versucht, durch flächendeckende Bombenteppiche nicht nur die Moral des Gegners zu brechen, sondern auch zivile Ziele zu zerstören. Diese Strategie hatte schon in der Vergangenheit nicht funktioniert, und sie hatte auch der Allianz nicht den erhofften Erfolg eingebracht, und dennoch hatte man sie viel zu lange angewandt. Als diese Maßnahmen durchgeführt wurden, war Desjani eine Flottenoffizierin gewesen. Zwar gehörte das zu den Dingen, über die sie nicht redete, doch er wusste, es hatte sich abgespielt. Es war sicher das Beste, wenn er sich jetzt nicht dazu äußerte. Stattdessen konzentrierte er sich auf den letzten Teil von Desjanis Einschätzung.
»Iceni ist auch nicht davongelaufen, als die Enigmas das letzte Mal angegriffen hatten, wissen Sie noch? Sie blieb auf dem Planeten, obwohl es noch vor unserem Eintreffen so ausgesehen hatte, als würden die Enigmas das gesamte Sternensystem einfach überrennen. Das ist ihre Art. Aber was halten Sie von diesem Drakon?«
Desjani reagierte mit einer gereizten Geste. »Er wirkte echt auf mich. Will sagen, er kam mir nicht wie ein CEO vor.«
»Den Eindruck hatte ich auch. Er wirkt wie jemand, der nicht so einfach seinen Posten aufgeben wird.«
»Wie ist er dann ein CEO geworden?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Geary. »Sie haben recht, dass wir das nicht vergessen dürfen. Aber für den Augenblick werde ich das Beste von ihnen denken, weil das momentan nicht schaden kann. Wir können sowieso nur hier sitzen und zusehen, wie sie sich verhalten werden.«
Rione nickte mit ernster Miene. »Wird der Planet nach dem Bombardement noch bewohnbar sein?«
»Das hängt davon ab, wo die Projektile einschlagen werden«, antwortete Geary. Er atmete einmal tief durch, dann betätigte er seine Komm-Kontrollen und begann zu reden: »Hier spricht Admiral Geary. Wir haben unser Bestes gegeben, die Enigma-Streitmacht unschädlich zu machen. Trotzdem sind uns einige Schiffe entkommen, von denen wiederum einige begonnen haben, Ihre bewohnte Welt zu bombardieren. Wir werden weiter die Enigma-Schiffe verfolgen, aber wir können nichts gegen die Projektile unternehmen, die auf Ihre Welt zusteuern. Ich muss Sie auffordern, alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit Ihres Volks zu gewähren. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Da weiter nichts zu tun war als zuzusehen, wie sich die Flugbahnen von Schiffen und Projektilen ihren Zielen näherten, widmete sich ein mürrischer Geary den drei Flotten, die zu den Syndiks gehörten. Oder auch nicht mehr gehörten. Dabei versuchte er sich zu überlegen, was er anstelle des Commanders der Syndiks tun würde. »Wenn sie alles richtig gemacht und die Bewegungen dieser beiden Schweren Kreuzer beim Gasriesen vernünftig aufeinander abgestimmt haben, dann könnten sie die Enigmas zu einem Spießrutenlaufen zwingen, wenn die zu diesem Schlachtschiff oder zu der bewohnten Welt gelangen wollen.«
Desjani schüttelte den Kopf. »Theoretisch ja, aber so gut sind sie nicht.«
»So gut müssen sie aber sein, wenn sie überleben wollen. Wir können hier nicht bleiben. Was immer diese Leute haben, um sich zu verteidigen, wenn wir das System längst verlassen haben, sie werden es klug einsetzen müssen, damit sie nicht vom nächsten Angreifer überrannt werden.«
»Sie können ihnen nicht Ihre Art zu kämpfen beibringen«, wandte Desjani ein. »Abgesehen von der Tatsache, dass wir nicht monatelang in diesem System bleiben können, wird es niemandem gefallen, wenn den Syndiks Kampftaktiken beigebracht werden.«
»Es sieht nicht so aus, als wären das hier noch Syndiks.«
»Wie wollen Sie das beurteilen? Admiral, ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass jeder hier besser kämpfen muss als der durchschnittliche Syndik-CEO, aber Sie können ihnen das nicht vermitteln. Bei der Flotte und der Regierung wäre die Hölle los, wenn Black Jack persönlich seine Geheimnisse den Leuten verrät, die immer noch Syndik-Uniformen tragen, selbst wenn sie sich mittlerweile anders nennen.«
Geary nickte, da er wusste, dass sie recht hatte. Er selbst lag aber ebenfalls richtig. Wie also konnte er den Menschen hier helfen, sich gegen Aggressoren zu verteidigen?
Was natürlich voraussetzte, dass es nach dem Bombardement überhaupt noch etwas gab, was verteidigt werden konnte.
»Admiral?« General Charban war auf die Brücke gekommen und zeigte auf das Beobachterdisplay. »Was veranstalten die Spinnenwolf-Schiffe da?«
Seit die Spinnenwölfe sich aus dem Geschehen im System zurückgezogen hatten, war Geary nicht mehr auf den Gedanken gekommen, sich um ihren Verbleib zu kümmern. »Sie befinden sich oberhalb der Ebene des Sternensystems und näher am Stern, weil sie anders als wir nicht kehrtgemacht haben, um gegen die Enigmas zu kämpfen«, antwortete Geary und suchte auf seinem Display nach den Anzeigen der sechs Schiffe. »Und jetzt… Was bei den lebenden Sternen machen die da?«
Desjani warf ihm einen besorgten Blick zu, dann betrachtete sie ebenfalls die Positionen und Bewegungen der Spinnenwölfe. »Sie… sie befinden sich auf einem Abfangkurs zu den Enigma-Projektilen«, murmelte sie ungläubig. »Laut unserem System können sie sie erreichen, weil sie bereits dem inneren Sternensystem näher waren, als die Enigmas aus größerer Entfernung ihr Bombardement gestartet haben. Außerdem können sie besser beschleunigen als wir.«
»Aber wieso?«, fragte Geary in die Runde. »Welchen Sinn ergibt ein Abfangkurs zu kinetischen Projektilen? Die Projektile sind zu schnell und zu klein für eine brauchbare Feuerlösung.«
»Für uns schon«, sagte Desjani, die zu verstehen begann. »Admiral, die Schiffe der Spinnenwölfe sind schneller und vor allem viel wendiger als unsere. Sie waren da, wo sie gebraucht wurden, um ein Bombardement von den Enigma-Schiffen abzufangen. Wenn sie es schaffen, sich hinter die kinetischen Projektile zu setzen und in die richtige Position, dann sollte es unseren Systemen zufolge theoretisch möglich sein, zumindest ein paar Streifschüsse zu schaffen, durch die diese Steine von ihrer Flugbahn abgelenkt werden.«
Rione stand da und bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. »Sie mischen sich ein. Sie helfen uns zwar nicht beim Kampf gegen die Enigmas, aber sie versuchen, unsere Zivilbevölkerung zu beschützen.«
»Sie sagten doch, die Spinnenwölfe waren da, wo sie gebraucht wurden, um das Bombardement abzufangen, nicht wahr?«, wandte sich Charban an Desjani. »Es scheint, sie wollten absichtlich in der Lage dazu sein, wenn es notwendig werden sollte.«
Desjani verzog frustriert den Mund. »Warum müssen die nur so verdammt hässlich aussehen?«
»Ich bin in zunehmendem Maße davon überzeugt, dass sie das Gleiche über uns sagen«, erwiderte Charban lächelnd. »Sie wissen, dass die Menschen in diesem System unsere Feinde sind oder es zumindest waren, und es hat sie tief beeindruckt, dass wir bereit sind zu kämpfen, um sie zu verteidigen. Vielleicht hat unser Vorgehen hier die Spinnenwölfe dazu veranlasst, auf diese Weise einzugreifen. So verschieden wir auch sind, ist das ein Punkt, bei dem wir beide das gleiche Verständnis von den Dingen haben.«
»Schon eigenartig«, meinte Geary. »Da unterscheiden sich die Spinnenwölfe stärker von uns als jede andere nichtmenschliche Spezies, und ausgerechnet mit ihnen teilen wir gleich mehrere Gemeinsamkeiten. Die Enigmas und die Bärkühe kommen uns anatomisch viel näher, aber deren Denkprozesse sind viel fremdartiger für uns.«