Geary sah mit an, wie die zwölf Enigma-Schiffe an ihren Verfolgern vorbeirasten. Lediglich das Letzte von ihnen geriet in den Beschuss der Allianz-Schiffe und wurde in Stücke gerissen, während die übrigen elf weiterflogen und entkamen.
Sein Blick wanderte zum Rest des Schlachtfelds, wo kampf- und flugunfähig geschossene Enigma-Kriegsschiffe der Selbstzerstörung zum Opfer fielen, um auf keinen Fall Geheimnisse dieser Spezies ans Licht kommen zu lassen. Den überlebenden Crewmitgliedern an Bord wurde damit ein jähes Ende bereitet. Nur neunzehn weitere Enigma-Schiffe waren übrig, von denen fünf weiter auf das nicht einsatzbereite Schlachtschiff und die Werft in der Nähe des Gasriesen zuhielten, während die übrigen vierzehn das Hypernet-Portal zum Ziel hatten. Er musste an die Bärkühe denken, die bis zum Tod kämpften und den Selbstmord wählten, um einer Gefangennahme zu entgehen. »Nein.«
»Nein?«, wiederholte Desjani. »Captain Armus kann genügend Kreuzer und Zerstörer entbehren, die sich um diese Enigmas kümmern, und es bleibt ihm immer noch eine ausreichende Zahl an Schiffen, um seine kostbaren Einheiten vor anderen Enigmas zu beschützen, die noch mal versuchen könnten, sie zu rammen.«
»Nein«, beharrte Geary. »Es reicht. General, übermitteln Sie diesen elf Enigma-Schiffen noch einmal unser Angebot, mit ihnen zu verhandeln. Und ergänzen Sie eine Anmerkung, dass wir ihnen gezeigt haben, was geschehen wird, wenn sie uns weiter bekämpfen wollen. Und machen Sie dann noch einmal deutlich, dass wir bereit sind, sie in Ruhe zu lassen, wenn wir von ihnen in Ruhe gelassen werden.«
»Ja, Admiral«, entgegnete Charban.
Seufzend sagte Desjani zu Geary: »Ich schätze, wir haben genug von ihnen getötet. Wenn ein paar von ihnen es zurück nach Hause schaffen, können sie den anderen erzählen, was mit dem Rest ihrer Flotte geschehen ist. Dann überlegen sie es sich vielleicht noch einmal, bevor sie wieder so etwas versuchen.«
»Genau das ist meine Absicht«, sagte er, doch ihr Blick verriet ihm, dass sie wusste, es war nicht der einzige Grund dafür gewesen, weiteres Blutvergießen zu vermeiden.
Auf seinem Display verfolgte er die Bewegungen der Schiffe im System mit und fühlte sich dabei unerträglich müde. Wenn sich vorläufig nichts änderte, würden Stunden oder sogar Tage vergehen, ehe sich irgendetwas ereignen konnte. Das war ihm nur allzu bewusst. Falls aber eines der neunzehn Enigma-Kriegsschiffe, die weiter auf ihre Ziele zuflogen, einen abrupten Vektorwechsel vollzog, dann mochte es nur eine Frage von Minuten sein, bis eine Reaktion erforderlich wurde. Sein Blick wanderte zu den Warnsymbolen, die bei den Zerstörern und vereinzelt auch bei den Leichten Kreuzern der Verfolgergruppe auf den zu geringen Bestand an Brennstoffzellen aufmerksam machten. Aber die Leichten Kreuzer und Zerstörer konnten die Enigmas ohnehin nicht einholen, solange die unverändert schnell vor ihnen davonflogen, und sie hätten allenfalls bei einer sinnlosen Verfolgungsjagd die letzten Reserven aufgebraucht. »An alle Einheiten der Verfolgergruppe: Hier spricht Admiral Geary. Reduzieren Sie sofort Ihre Geschwindigkeit auf 0,15 Licht. Verfolgen Sie weiterhin die Enigma-Kriegsschiffe und eröffnen Sie das Feuer, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet.«
Desjani schaute wieder missmutig drein.
»Wir können sie nicht einholen«, sagte er zu ihr.
»Das weiß ich.«
»Könnte sein, dass die Syndiks sie zu uns zurückschicken.«
Ihre Miene hellte sich ein wenig auf. »Ja, das könnte sein. Mit einem Schlachtschiff und zwanzig weiteren Kriegsschiffen sollte sogar Boyens in der Lage sein, mit vierzehn Enigma-Schiffen fertigzuwerden.«
Geary nickte und überlegte, dass sie inzwischen von Boyens hätten hören müssen, wenn er eine Nachricht an die Allianz-Flotte geschickt hätte. Aber offenbar wollte er sich zumindest für den Augenblick wortkarg geben.
Der Kampf war noch nicht vorüber, und auch die Verfolgungsjagd dauerte noch an, dennoch lockerten die Schiffe der Verfolgergruppe ihren Gefechtsstatus, damit die Crewmitglieder Zeit bekamen, sich auszuruhen und eine anständige Mahlzeit zu sich zu nehmen. Weit hinter ihnen und noch immer in der Nähe des von Pele herführenden Sprungpunkts bewegte sich die Hauptflotte kontinuierlich weiter ins System hinein, reagierte aber nicht auf die elf fliehenden Enigma-Schiffe auf ihrem Weg zum Sprungpunkt, die sich außerhalb der Reichweite der Allianz-Waffen bewegten. Diese Enigmas hatten offenbar tatsächlich genug vom Kämpfen, ganz so wie Charban es vermutet hatte.
Etliche Stunden später traf eine weitere Nachricht von der bewohnten Welt ein, wieder waren Iceni und Drakon auf dem Bild zu sehen. Beiden gelang es, überzeugende Ruhe auszustrahlen, als wären sie nicht in letzter Sekunde völlig überraschend vor dem sicheren Tod bewahrt worden. »Wir stehen abermals in Ihrer Schuld, Admiral Geary. Ich weiß nicht, wer Ihre Verbündeten sind, aber ihnen sind wir ebenfalls zu großem Dank verpflichtet.«
»Wartet nur ab, bis ihr sie zu sehen bekommt«, murmelte Desjani.
»Meine Kriegsschiffe«, fuhr Iceni fort, »werden sich den Enigmas widmen, die es auf mein Schlachtschiff abgesehen haben. Ich habe keinen Einfluss auf die Flotte nahe dem Hypernet-Portal, aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie nicht davon ausgehen können, dass diese Flotte in unserem Interesse handeln wird. Ihr Befehlshaber CEO Boyens ist Ihnen ja bekannt. Wenn Sie ihm Ihre Befehle klarmachen, wird er es sich womöglich anders überlegen, ob er ihnen zuwiderhandeln soll. Es ist wichtig, Boyens zu verstehen zu geben, dass er nicht die Kontrolle über dieses System besitzt und dass er nicht vorschreibt, was hier zu geschehen hat. Für das Volk, Iceni Ende.«
»Diesmal hat sie General Drakon gar nicht zu Wort kommen lassen«, stellte Desjani fest.
»Vielleicht hatte er ja nichts dazu zu sagen.«
»Das hält manche Leute trotzdem nicht vom Reden ab«, meinte sie grinsend. »Allerdings sieht er auch aus wie jemand, der nur dann den Mund aufmacht, wenn es etwas Wichtiges zu sagen gibt. Ist Ihnen aufgefallen, dass sie ihre Einheiten Kriegsschiffe genannt hat, nicht mobile Streitkräfte? Und dass sie ›mein Schlachtschiff‹ gesagt hat?«
»Ja. Mal sehen, wie Lieutenant Iger und Gesandte Rione das einschätzen.« Er überlegte, wie er vorgehen sollte. »Iceni will, dass ich Boyens sage, was er tun und lassen soll.«
»Boyens soll wissen, dass Sie in diesem Sternensystem die Nummer eins sind«, stimmte sie ihm zu. »Das hilft uns genauso weiter wie ihr, nicht wahr?«
»Nicht, wenn wir dadurch zwischen sie und Boyens geraten.« Er dachte noch eine Weile nach, dann tippte er auf seine Komm-Kontrolle. »CEO Boyens, hier spricht Admiral Geary. Die kleine Gruppe Enigma-Kriegsschiffe, die auf dem Weg zum Gasriesen ist, wird von den Streitkräften in dieser Region in Empfang genommen. Die verbliebenen vierzehn Enigma-Schiffe, die Kurs auf Sie genommen haben, müssen aufgehalten werden, damit es ihnen nicht gelingt, das Hypernet-Portal mit der Hilfe von Waffen zu zerstören oder es zu rammen und so unbrauchbar zu machen. Meine Schiffe werden sie weiter verfolgen und jedes Enigma-Schiff angreifen, das in die Reichweite unserer Waffen gerät. Auf die Ehre unserer Vorfahren, Geary Ende.«
Es war nicht erkennbar, was Boyens von den ihm zugeschickten Mitteilungen hielt, da er auf nichts reagierte. Seine Flotte befand sich nach wie vor im gleichen Orbit dicht beim Hypernet-Portal. Kommodor Marphissa dagegen meldete sich einige Male bei Geary. Zunächst unterrichtete sie ihn von dem geplanten Vektor ihrer Flotte, die die fünf Enigma-Kriegsschiffe abfangen sollte. Dann brachte sie ihn jedes Mal auf den neuesten Stand, wenn eine Kursanpassung notwendig wurde. Geary reagierte mit Vorschlägen, wie sie die beiden Schweren Kreuzer am Gasriesen am besten in Stellung bringen sollte. Dabei versuchte er sich so auszudrücken, dass es nicht nach einem Befehl klang, aber immer noch nach einem Ratschlag, den sie tunlichst befolgen sollte. »Die Kommodor weiß, was sie tut«, merkte Geary an. »Aber es scheint ihr an Erfahrung zu mangeln.«