»Ich habe die Nachricht noch nicht gesehen, sie ist an Sie adressiert. Aber sie sollte gut sein«, merkte Rione an.
CEO Boyens sah eigentlich noch genauso aus wie bei ihrer letzten Begegnung, als sie ihren hochrangigen Gefangenen nach dem Ende der Kriegshandlungen freigelassen hatten. Damals hatte er noch angemessen finster dreingeblickt, jetzt dagegen lächelte er auf fast dieselbe einstudierte Weise wie alle CEOs der Syndikatwelten. Als hätte er erkannt, dass sein Publikum diese Geste längst als aufgesetzt durchschaut hatte, versuchte Boyens vielleicht, auf eine etwas ehrlicher wirkende Art zu lächeln.
»Man könnte ja meinen, wir sind in einer Bar und er will mich anmachen«, meinte Desjani.
»Ist das das richtige Lächeln dafür?«, fragte Geary.
»So in etwa. Es hat bei mir nie funktioniert, wenn ich was getrunken hatte, also kann es erst recht nicht funktionieren, wenn ich nüchtern bin. Wollen Sie behaupten, Sie sind noch nie in einer Bar angemacht worden?«
»Ich glaube, darauf sollte ich besser nicht antworten.« Er verstummte, als Boyens in ernstem Tonfall zu reden begann.
»Admiral Geary, ich bin Ihnen zutiefst dankbar dafür, dass Sie abermals bei der Verteidigung dieses Sternensystems gegen die Enigma-Rasse mitgeholfen haben. Im Namen der Regierung der Syndikatwelten spreche ich Ihnen dafür meinen Dank aus.«
»Ihnen«, murmelte Desjani. »Nicht der Allianz und auch nicht dieser Flotte, sondern nur Ihnen.«
Hätte Tanya ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre ihm diese feinsinnige Unterscheidung vermutlich gar nicht aufgefallen.
»Admiral, nachdem Sie nun Ihre Arbeit hier beendet haben, werde ich Ihnen gern eine meiner mobilen Einheiten zur Verfügung stellen, damit sie Sie durch das Gebiet der Syndikatwelten zurück zur Allianz eskortiert. Ich bin mir sicher, Sie können es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen.«
Desjani lachte leise. »Sie müssen nur darauf achten, liebe Freunde und Verbündete, dass Ihnen nicht die Tür in den Rücken fällt, wenn wir sie hinter Ihnen zuschlagen. Da habe ich ja noch lieber mit den Kiks zu tun.«
»Selbstverständlich«, redete Boyens weiter, »werden Sie diesen Rückweg mit einem kurzen Besuch auf Prime verbinden wollen, damit der Friedensvertrag um die neuen Gegebenheiten ergänzt wird und damit Sie uns jene Informationen mitteilen können, die für die gesamte Menschheit von Bedeutung sind. Sollten einige der Sie begleitenden Schiffe eine Art Botschafterstatus haben, werden diese auf ihrem Weg ins Allianz-Gebiet natürlich auch einen Zwischenstopp bei Prime einlegen wollen. Ich habe hier noch das eine oder andere zu erledigen, gleich danach werde ich Ihnen folgen, denn es interessiert mich, alles darüber zu erfahren, welche Erkenntnisse Ihre Erkundungsmission für das Wissen der Menschheit ergeben hat. Für das Volk. Boyens Ende.«
Das war einfach nur unverschämt, aber Geary gelang es, die Stimme nicht anzuheben, als er antwortete. »Vielen Dank für Ihr Angebot«, begann er ohne jede vorausgeschickte Höflichkeitsfloskel. »Die Allianz-Flotte ist stets darauf gefasst, gegen jegliche Aggressoren vorzugehen.« Sollten Boyens und seine Vorgesetzten auf Prime doch ruhig in den Satz hineininterpretieren, was sie wollten. »Allerdings ist unsere Arbeit hier noch nicht ganz abgeschlossen. Wir haben noch Verschiedenes mit den örtlichen Behörden zu besprechen.« Darüber konnte Boyens ebenfalls erst einmal in Ruhe nachdenken. »Da Ihre Streitmacht zur Verteidigung dieses Sternensystems nichts beigetragen hat, benötigen wir für unseren weiteren Weg auch nicht die Unterstützung durch Ihre Streitkräfte. Wie Sie vielleicht bereits bemerkt haben, eskortieren wir selbst bereits Schiffe ins Allianz-Gebiet, weshalb wir über den Weg dorthin selbst entscheiden werden. Unsere Gäste haben den Wunsch geäußert, unverzüglich zu den Allianz-Behörden gebracht zu werden. Diesem Wunsch werden wir natürlich nachkommen.«
Rione stellte sich auf einmal so selbstverständlich neben Geary, als wäre der Auftritt zuvor geprobt worden. »Wie Sie wissen, CEO Boyens, bestimmt der Friedensvertrag nicht, welcher Route wir folgen müssen, wenn wir das Midway-System aufsuchen oder verlassen wollen. Auch schreibt der Vertrag nicht vor, wie lange wir uns hier aufhalten dürfen. Als Gesandte der Allianz danke ich Ihnen für die angebotene Unterstützung und wünsche Ihnen eine angenehme Heimreise nach Prime. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Rione Ende.«
Als die Erwiderung abgeschickt wurde, sah Rione Geary an und fragte in entschuldigendem Tonfalclass="underline" »Sie hatten doch alles gesagt, was Sie sagen wollten, richtig?«
»Ja, das ist richtig.«
Eine Stunde später ging eine Nachricht ein, in der eine freundliche Iceni Geary freien Zugang zu den Asteroiden in ihrem System gewährte. Sie bat ihn lediglich darum, dass die Hilfsschiffe der Allianz diesen Abbau von Rohstoffen mit der zuständigen »Behörde für die Gewinnung von Weltraumressourcen« abstimmten.
Nicht ganz eine Stunde danach traf eine weitere Nachricht vom Planeten ein, die als streng vertraulich und ausschließlich für Admiral Geary bestimmt gekennzeichnet war. Er verließ die Brücke, um die Nachricht in seinem Quartier entgegenzunehmen. Auf dem Weg dorthin fragte er sich, was ihn nun schon wieder erwartete.
Die Mitteilung stammte von General Drakon, der diesmal allein vor der Kamera saß und ihn ohne Vorrede sein Anliegen wissen ließ. »Ich möchte Sie um einen persönlichen Gefallen bitten, Admiral Geary. Mir ist durchaus bewusst, dass Sie keinen Grund haben, einem ehemaligen Feind einen Gefallen zu tun. Allerdings geht es hier auch nicht um mich, sondern um meine Untergebenen. Colonel Rogero ist einer meiner vertrauenswürdigsten und angesehensten Offiziere. Er hat mich gebeten herauszufinden, ob die angehängte Nachricht an einen Ihrer Offiziere weitergeleitet werden kann. Angesichts seines loyalen Dienstes mir gegenüber und von einem Befehlshaber zum anderen bitte ich Sie daher, diese Nachricht an den vorgesehenen Empfänger weiterzuleiten. Falls Fragen gestellt werden, Präsidentin Iceni weiß von dieser Kontaktaufnahme und vom Inhalt der angehängten Nachricht. Sie hat nichts dagegen einzuwenden. Wenn Sie Fragen zu dieser Angelegenheit haben, senden Sie sie an mich, ich werde Ihnen auf alles antworten.«
Drakon hielt kurz inne und blickte in die Kamera, als könnte er Geary tatsächlich sehen. »Ich bin froh, dass wir uns nie im Krieg begegnet sind, Admiral. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine solche Begegnung überlebt hätte, aber ich weiß, ich hätte Ihnen zuvor noch die Schlacht Ihres Lebens geliefert. Für das Volk. Drakon Ende.«
Geary spielte den Schluss noch einmal ab und lauschte aufmerksam. Bei General Drakon kam das »Für das Volk« nicht so eindeutig von Herzen wie bei Kommodor Marphissa, dennoch klang es auch bei ihm nicht nur nach der reflexartigen Verwendung einer bedeutungslosen Floskel. Geary glaubte, bei ihm Trotz und Entschlossenheit wahrzunehmen, so als sei Drakon bereit, die mit diesem Satz verbundenen Ideale zu verteidigen — Ideale, die seitens der Regierung der Syndikatwelten schon vor langer Zeit in Vergessenheit geraten waren, sofern sie denn den Syndik-Führern überhaupt jemals irgendetwas bedeutet hatten.
Er widmete sich dem Anhang. Eine Nachricht von einem ehemaligen Syndik-Offizier für einen seiner eigenen Offiziere? Noch bevor er den Namen des Adressaten gelesen hatte, wusste er, für wen die Mitteilung bestimmt war. Captain Bradamont. Für ihn als Flottenbefehlshaber gab es viele unerfreuliche Aufgaben zu erledigen, aber mit das Unangenehmste war für ihn, eine persönliche Mitteilung zu lesen oder sich anzusehen, die nicht für ihn bestimmt war. Daher kostete es ihn Überwindung, diesen Anhang zu öffnen, von dem er wusste, dass die Schutzsoftware der Flotte die Datei auf alle möglichen Gefahren hin untersucht hatte.
Colonel Rogero trug eine Uniform, die der von General Drakon ähnelte. Auch kam er so direkt wie sein Vorgesetzter zur Sache, wenngleich es sich so anhörte, als würde er seinen Text ablesen. »Für Captain Bradamont, Befehlshabende Offizierin des Allianz-Schlachtkreuzers Dragon, hier ist Colonel Rogero von den Midway-Streitkräften. Viel ist in den letzten Monaten geschehen.«