»Ja, Sir«, antwortete Iger, der sein Unbehagen nicht überspielen konnte. »Admiral, falls Captain Bradamont unter dem Decknamen Weiße Hexe an geheimdienstlichen Aktivitäten beteiligt war…« Er ließ den Satz unvollendet, da er nach den passenden Worten suchte.
»Ich weiß darüber Bescheid«, sagte Geary. »Da sie schon zuvor als Informationsquelle gedient hat, wird der Geheimdienst sicher nichts dagegen einzuwenden haben, dass sie einen Posten bekommt, der es ihr erlaubt, darüber zu berichten, was in diesem Sternensystem vor sich geht.«
»Das… ist richtig, Sir. Aber ich fühle mich verpflichtet, Sie zu warnen, dass der Geheimdienst im Flottenhauptquartier mit Ihrer Entscheidung womöglich nicht einverstanden ist«
»Danke, Lieutenant. Ich bin mir sicher, wenn es ihnen nicht gefällt, werden sie mir das schon sagen.« Das konnte natürlich erst dann geschehen, nachdem die Flotte ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt war und nachdem eine Reihe unterschiedlichster Berichte bei den zuständigen Abteilungen eingetroffen war.
Nachdem er sich intern abgesichert und alles getan hatte, um mehr über Iceni, Drakon und ihr Regime auf dieser Welt in Erfahrung zu bringen, war es nun an der Zeit, mit den Herrschern von Midway über zwei sehr wichtige Angelegenheiten zu reden.
Geary sammelte sich, dann aktivierte er die Nachrichtenübermittlung. »Präsidentin Iceni, General Drakon, ich muss mit Ihnen zwei Dinge besprechen«, sagte er formal. Er saß am besten Schreibtisch, den es auf der Dauntless gab, er trug seine beste Uniform, sein Erscheinungsbild hatte er von Tanya Desjani abnehmen lassen, die ihn so gründlich inspiziert hatte wie eine Ausbilderin einen Rekruten an seinem ersten Tag beim Militär.
»Zunächst einmal, Präsidentin Iceni, muss ich Sie informieren, dass wir bei unserem Aufenthalt im von den Enigmas kontrollierten Gebiet einige von ihnen festgehaltene Menschen aus einem Lager befreien konnten, in dem sie allem Anschein nach zu Studienzwecken untergebracht worden waren. Von denjenigen abgesehen, die dort in Gefangenschaft geboren wurden, stammen sie alle aus Kolonien oder von Schiffen der Syndikatwelten. Wir haben sie gründlich untersucht, bei keinem von ihnen konnten Hinweise auf biologische oder anderweitige Kontamination festgestellt werden.« Es war eine schwierige Entscheidung für ihn gewesen, Iceni und Drakon von diesen Leuten zu berichten, aber letztlich konnte er es vor sich selbst nicht rechtfertigen, sie noch länger an einer Rückkehr nach Hause zu hindern, nachdem sie schon so lange Zeit festgehalten worden waren.
Geary atmete tief durch. »Ich muss eindringlich darauf hinweisen, dass keiner von ihnen etwas über die Enigmas weiß. Sie waren in einem Asteroiden eingeschlossen, und sie haben nie gesehen, von wem sie dort festgehalten wurden. Sie können nichts über die Enigmas berichten. Die lange Gefangenschaft hat bei jedem von ihnen seelische, körperliche und emotionale Schäden verursacht. Angesichts ihrer Verfassung beabsichtige ich, die meisten von ihnen mit ins Allianz-Gebiet zu nehmen, wo man sich um sie kümmern wird, ehe man dafür sorgt, dass sie in ihre Heimatsysteme innerhalb der Syndikatwelten zurückkehren können. Drei Gefangene erklären jedoch, dass sie oder ihre Eltern von Taroa kommen, und fünfzehn andere behaupten, aus Ihrem System zu stammen. Diese achtzehn möchten sofort heimkehren, und wir möchten ihrem Wunsch nachkommen. Allerdings würde ich zuvor gern wissen, was Sie mir über die Zustände auf Taroa sagen können.
Und zudem möchte ich erfahren, was Sie mit den fünfzehn von Midway kommenden Personen machen werden. Ich fühle mich verpflichtet dafür zu sorgen, dass sie nach ihrer Befreiung gut behandelt werden.«
Er hielt einen Moment lang inne. »Die zweite Sache betrifft den weiteren Ausbau unserer Beziehungen zur neuen Regierung von Midway. Mein Vorschlag geht dahin, einen erfahrenen Offizier als Repräsentanten der Allianz auf Ihre Welt zu entsenden. Auf diese Weise können wir unsere Verbundenheit mit Ihnen demonstrieren, und Sie erhalten die Möglichkeit, Ratschläge einzuholen in Fragen der Verteidigung oder der weiteren Demokratisierung Ihrer Regierung. Die Offizierin, die ich dafür vorschlagen möchte, ist Captain Bradamont, die derzeit noch die Befehlshaberin des Schlachtkreuzers Dragon ist. Sie ist eine hervorragende Offizierin, und da sie eine Zeit lang Kriegsgefangene der Syndiks war, hatte sie Kontakt mit Offizieren der Syndikatwelten und kann mit ihnen zusammenarbeiten. Captain Bradamont hat sich bereit erklärt, diese neue Aufgabe zu übernehmen, aber ich benötige Ihr Einverständnis, um diesen Posten offiziell einrichten zu können, von dem aus meiner Sicht alle Beteiligten profitieren werden. Die Gesandten der Allianz-Regierung, die diese Flotte begleiten, haben bereits ihre Zustimmung gegeben, sodass wir nur von Ihrer Regierung eine Entscheidung hören müssen. Ich hoffe, bald von Ihnen in beiden Angelegenheiten eine Antwort zu bekommen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Es kam nicht oft vor, dass er sich wünschte anwesend zu sein, wenn eine Nachricht bei ihrem Empfänger eintraf. Diesmal jedoch wäre es sicher sehr interessant gewesen, Icenis und Drakons erste Reaktion darauf zu sehen.
Und auch Colonel Rogeros Reaktion…
Als sie das nächste Mal von CEO Boyens hörten, waren die Hilfsschiffe der Allianz damit beschäftigt, Rohstoffe von mehreren großen Asteroiden an Bord zu schaffen und sie zu neuen Brennstoffzellen und Ersatzteilen zu verarbeiten, kaum dass sie in den Lagerräumen angekommen waren. Die Allianz-Flotte war wieder in einer großen Formation vereint, die einem Orbit um den Stern Midway folgte. Alle hatten erneut reichlich damit zu tun, im Gefecht erlittene Schäden zu beseitigen oder Systeme auszutauschen, die das Ende ihrer Lebensspanne erreicht hatten.
Geary war damit beschäftigt, sich die Berichte seiner Schiffe anzusehen. Zwar hatte er kein Schlachtschiff verloren, doch viele von ihnen hatten im Verlauf der Mission so viele Treffer abbekommen, dass man sie kaum noch als gefechtsbereit bezeichnen konnte. Einige von ihnen sollten erst einmal in einem Flottendock komplett überholt werden, ehe sie wieder in einen Kampf geschickt werden konnten.
Und dann war da auch noch die Invincible, die zwar nur mit äußerster Anstrengung kleinzukriegen war, von der man dennoch behaupten konnte, dass sie Gefahren und Bedrohungen jeder Art wie magnetisch anzog. Solange das Superschlachtschiff der Bärkühe nicht im Allianz-Gebiet angekommen war, würde jeder potenzielle Angreifer sich für das Schiff interessieren, um mehr über die an Bord befindliche Technologie herauszufinden. Er hatte den Verdacht, dass die Syndik-Regierung selbst einen Versuch unternehmen könnte, verfügte sie doch derzeit nur noch über sehr begrenzte Ressourcen, während die Invincible von unermesslichem Wert für jeden war, der sie für sich beanspruchen konnte.
Die Spinnenwölfe schienen in der Lage, sehr gut auf sich selbst aufzupassen, aber zu Unfällen konnte es immer kommen, und es würde angesichts der immer noch auf sehr simple Konzepte beschränkten Konversation sehr schwierig werden, ihnen eine Begegnung mit einer im All treibenden Mine oder einem ähnlichen Objekt zu erklären. Außerdem wusste man aus Erfahrung und aus den Berichten über Sternensysteme rings um Midway, von manchen Leuten, denen das Erbe des vormaligen Syndik-Militärs in die Hände gefallen war, dass sie sich alles andere als vertrauenswürdig erwiesen hatten. Eine Gruppe Fanatiker mochte jederzeit einen Überraschungsangriff planen, zumal es Geary nicht möglich war, die Spinnenwolf-Schiffe hinter den schützenden Schirm seiner eigenen Kriegsschiffe zu platzieren. Die Spinnenwölfe — die Tänzer — machten einfach, wonach ihnen gerade der Sinn stand.
Das alles bedeutete, dass Geary nicht gerade bester Laune war, als sich CEO Boyens bei ihm meldete, dessen Laune auch nicht besonders gut zu sein schien. Er schaute regelrecht feindselig drein, und er versuchte nicht, seine Unzufriedenheit hinter einer Fassade aus vorgeblicher Freundlichkeit zu verbergen. »Bedauerlicherweise bin ich an den Friedensvertrag zwischen den Syndikatwelten und der Allianz gebunden, auch wenn es so scheint, dass lediglich die Syndikatwelten ein echtes Interesse daran haben, sich an den Wortlaut dieses Vertragswerks zu halten. Deshalb kann ich nicht die Maßnahmen ergreifen, die ich eigentlich für angemessen halte, um die Syndikatwelten und ihre Bürger vor der maßlosen Arroganz einer fremden militärischen Streitmacht zu schützen.«