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Erschöpft, aber zugleich zu aufgedreht, als dass er hätte schlafen können, verließ er sein Quartier und spazierte durch die Korridore der Dauntless, während die Crew der Morgenschicht sich daranmachte, ihren Dienst anzutreten.

Die Leute mussten ihn sehen, sie mussten sehen, dass der Admiral Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte. In Wahrheit fühlte er sich weder ruhig noch gelassen, aber es gehörte mit zu seinen wichtigsten Aufgaben als befehlshabender Offizier, nach außen hin diesen Eindruck zu erwecken. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob die Matrosen Sie hin und wieder ein wenig besorgt dreinschauend sehen, hatte eine seiner Chief Petty Officers zu Geary gesagt, als er noch Lieutenant gewesen war. Das zeigt den Leuten, dass Sie klug genug sind zu wissen, wann es angebracht ist, ein wenig besorgt zu sein. Aber schauen Sie auch nicht zu besorgt drein, sonst werden sie glauben, dass Sie keine Ahnung haben, was Sie tun. Und vermeiden Sie bei all Ihren Vorfahren den Eindruck, als würden Sie sich nie über irgendetwas Sorgen machen. Dann wird die Crew Sie für einen Idioten halten. Diese Leute wissen, dass Offiziere auch nur Menschen sind, und jeder Mensch, der auch nur annähernd bei Verstand ist, weiß, dass es Situationen gibt, in denen man sich einfach Sorgen machen muss. Aber solange Sie den Anschein erwecken, dass Sie wissen, was Sie tun, werden sie Ihnen auch folgen.

Der Gedanke an diese Frau, die vermutlich vor achtzig oder mehr Jahren in den ersten Jahrzehnten des Kriegs gegen die Syndiks ihr Leben verloren hatte, ließ Geary wehmütig lächeln. Master Chief Gionnini hier in der Flotte trug zwar einen anderen Nachnamen, dennoch konnte er ein Nachfahre von Senior Chief Voss sein. Auf jeden Fall schien er die gleichen Gene zu besitzen, die Voss für den damaligen Lieutenant Geary so unverzichtbar — aber auch zu einer ständigen Quelle der Unruhe — gemacht hatte.

Die Crewmitglieder im Korridor sahen Gearys Lächeln, und sofort wich ihre besorgte Miene einem siegesgewissen Gesichtsausdruck. Der Admiral hatte die Situation offenbar im Griff. Schon gut, dass auf diesem Schiff lediglich Desjani meine Gedanken lesen kann, überlegte er ironisch.

Sein Spaziergang führte ihn an den Gebetsräumen vorbei, wo die Matrosen und Offiziere in Ruhe ihren Glauben praktizieren konnten. Er entschied sich für eine der winzigen Kammern und setzte sich, dann zündete er die bereitstehende Kerze an. Vorfahren, helft mir, die richtige Entscheidung zu treffen. Welche Bitte konnte er sonst noch äußern? Aber vielleicht sollte er nicht immer nur um irgendetwas bitten, wenn er herkam. Ich danke euch dafür, dass ihr uns geholfen habt, so weit vorzustoßen.

Eben wollte er aufstehen, da fiel Geary noch etwas ein und er blieb sitzen. Commander Michael Geary. Wir wissen noch immer nicht, ob Sie ums Leben gekommen sind, als Ihr Schiff Repulse zerstört wurde. Sind Sie jetzt bei unseren Vorfahren? Er versuchte eine Antwort wahrzunehmen, doch er spürte nichts. Ihre Schwester, meine Großnichte, verhält sich sonderbar, und ich habe keine Ahnung, was mit ihr los ist. Das ist bei ihr mehr als nur ein leicht aggressiveres Verhalten, wie es sonst schon mal üblich ist. Es ist ein Symptom für irgendetwas anderes — bloß was? Wenn Sie es wissen sollten, helfen Sie mir bitte, es zu verstehen.

Und wenn Sie noch leben und sich in der Gefangenschaft der Syndiks befinden, dann werde ich Sie finden und befreien. Ich werde nichts unversucht lassen, das verspreche ich Ihnen.

Anschließend kehrte Geary in sein Quartier zurück. Er fühlte sich noch immer wie gerädert. Die Gedanken an seine Großnichte und seinen sehr wahrscheinlich toten Großneffen, beides Nachfahren seines Bruders, der vor langer Zeit als alter Mann gestorben war, hatten Erinnerungen an damals wach werden lassen. Einmal mehr lastete die Vergangenheit zentnerschwer auf seinen Schultern, ihm verging das Lächeln, weil er an all jene denken musste, die in dem Jahrhundert gestorben waren, das er im Kälteschlaf verbracht hatte. Zum Glück lag noch viel Arbeit vor ihm, die ihn von diesen düsteren Gedanken ablenken konnte.

In seinem Quartier eingetroffen, blätterte Geary in den Nachrichten, die seit dem letzten Abruf aufgelaufen waren und darauf warteten, von ihm gelesen zu werden. Als Befehlshaber der Flotte erreichten ihn jeden Tag gleich Hunderte von Mitteilungen, doch nur ein Bruchteil davon betraf wirklich wichtige Dinge, die eine Entscheidung von seiner Seite erforderten. Um aber die großen Entscheidungen zu treffen, musste er so viel wie möglich über die kleinen Dinge wissen. Daher wurden zahlreiche Informationen und Berichte an ihn weitergeleitet oder in Kopie an ihn geschickt, damit er auf sie zugreifen konnte, wenn das erforderlich war. Er überflog die Betreffzeilen, hin und wieder warf er einen Blick auf den eigentlichen Inhalt der Nachricht, und nur gelegentlich nahm er sich die Zeit, um etwas zu lesen, das tatsächlich von Interesse für ihn war.

Die unbemannten Sonden, die in den Trümmern der zerstörten gegnerischen Schiffe auf der Suche nach Überresten der Besatzung gewesen waren, hatten auch ein paar Proben der Trümmerteile geborgen. Der Bericht über die Analyse, den Captain Smythe ihm geschickt hatte, fasste die bisher gewonnenen Erkenntnisse zusammen, die bedauerlicherweise sehr spärlich ausfielen. Keine ungewöhnlichen Mischungen aus Legierungen und Verbundstoffen… Strukturanalyse der Legierungen ergibt einige interessante Anzeichen für unübliche Gussmethoden… Verbundstoffe neigen deutlich stärker zu Silizium denn zu Kohlenstoff, was ein reiches Vorkommen dieses Stoffs auf der Heimatwelt der Aliens vermuten lässt… es wurden keine ausreichend großen Überreste von Ausrüstungsgegenständen gefunden, die Hinweise auf ihre Funktion oder ihre Bauweise liefern könnten.

Captain Tulev hatte Bericht über alles erstattet, was am Schauplatz der Raumschlacht eingesammelt worden war. Wenigstens mussten sie sich keine allzu großen Sorgen machen, dass die Aliens aus den Überresten allzu viel über die Menschen herausfinden könnten. Was nach Tulevs Säuberungsaktion noch verblieben war, bot erheblich weniger Anhaltspunkte über die Menschen als das, was sie an Informationen über die Aliens hatten gewinnen können.

Gearys Blick fiel auf eine Zusammenfassung der Disziplinarmaßnahmen an Bord der Dragon. Ein Petty Officer war dabei erwischt worden, wie er aus gestohlenen Medikamenten hergestellte Drogen verkauft hatte. Es gab sechs Fälle von Insubordination, außerdem drei Schlägereien, bei einer davon waren gleich mehrere Matrosen beteiligt gewesen. Hatte Captain Bradamont Schwierigkeiten, ihre Crew unter Kontrolle zu halten?

Er forderte vom System eine Zusammenstellung aller Disziplinarmaßnahmen an, die zudem nach den Durchschnittswerten für jeden Schiffstyp aufgeschlüsselt war. Wie sich daraufhin zeigte, lag die Dragon eigentlich ein wenig unter dem Durchschnitt, während sich sogar an Bord der Dauntless mehr Fälle als üblich ereignet hatten.

Nachdenklich betrachtete Geary die Zahlen, von denen er nur zu gut wusste, was sie bedeuteten. Schlägerei, Insubordination, nicht ausgeführte Befehle — allesamt Anzeichen für Ärger, der immer weiter um sich griff. Die Matrosen waren unzufrieden mit ihrer Situation, aber sie hatten keine Möglichkeit, diese Unzufriedenheit an einem Gegner auszulassen, also gingen sie in den eigenen Reihen aufeinander los. Kleinigkeiten eskalierten dadurch rasend schnell, bis ein offizielles Eingreifen nötig wurde. All das bewegte sich noch auf einem sehr harmlosen Niveau, aber er musste aufpassen, dass die Lage nicht mit einem Mal bedrohlich wurde.

Und das hieß, er musste bald nach Hause zurückkehren.