Fast hätte er damit gezögert, seine nächsten Manöverbefehle auszusenden, da er sich unwillkürlich fragte, ob die den Rest der Flotte erreichen oder ob sich weitere Probleme beim Komm-System bemerkbar machen würden. Doch Desjanis Personal hatte gemeldet, dass das System zumindest im Augenblick ordentlich arbeitete. »An alle Einheiten: Bei Zeit eins fünf drehen Sie sechs fünf Grad nach Steuerbord und drei Grad nach unten.«
Alle Schiffe befolgten gleichzeitig den Befehl, und wieder änderte die Schachtelformation ihre Richtung, ohne dabei die Form zu verlieren. Die Flotte beschrieb nun eine Kurve weg vom Stern und von der herannahenden Flotte, die jetzt nur noch zwanzig Lichtminuten entfernt war.
»Das wird den Bärkühen aber gar nicht gefallen«, merkte Desjani an.
»Solange sie das tun, was wir von ihnen erwarten«, meinte Geary.
»Und was genau erwarten wir?«, fragte Victoria Rione von ihrem Platz im hinteren Bereich der Brücke aus.
Geary drehte sich mit seinem Sessel zu ihr um. »Wir versuchen, sie dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen. Ich nehme an, wir haben von ihnen immer noch nichts gehört, richtig?«
»Nein«, erwiderte Rione. »Nicht mal ein trotziges ›Muh‹, das einem das Blut in den Adern gefrieren lassen könnte. Ich glaube, Ihre Experten haben recht. Diese Wesen reden nicht mit ihren Feinden, sondern räumen sie einfach aus dem Weg.«
In diesem Moment betrat General Charban die Brücke. »Schlecht für jeden, der eigentlich nie ein richtiger Feind gewesen ist. Allerdings nehme ich an, dass sie den Begriff Feind sehr weit auslegen. Ich hatte gerade eine faszinierende Unterhaltung mit Dr. Shwartz.«
»Irgendwelche neuen Erkenntnisse?«, erkundigte sich Geary. Es dauerte noch gut vierzig Minuten, bis sie die Reaktionen der Bärkühe auf ihr jüngstes Flugmanöver beobachten konnten, also konnte er diese Zeit auch nutzen und womöglich noch etwas Brauchbares herausfinden.
»Jedenfalls nichts Gutes«, sagte Charban.
»Wie kommt es nur, dass von Dr. Shwartz so selten etwas Erbauliches kommt?«
Charban lächelte ihn an. »Dazu kann ich leider nichts sagen. Aber ich kann Ihnen berichten, welche Schlussfolgerungen unsere Experten aus den fortgesetzten Analysen der Oberfläche des bewohnten Planeten gezogen haben. Wie Sie wissen, ist fast sämtliches Land mit Gebäuden bedeckt.«
»Genau. Gebäude, auf deren Dächern Getreide angebaut wird.«
»Es ist überall das gleiche Getreide, Admiral. Welchen Bereich der Oberfläche wir uns auch angesehen haben, es existiert dort unten so gut wie keine Abwechslung in der Vegetation.«
»Auf dem ganzen Planeten?«
Desjani bekam das mit und schnaubte ungläubig. »Sie haben alles andere ausradiert? Der Planet ist mit ihnen bedeckt und dem, was sie als Nahrung anbauen?«
»So gut wie restlos«, entgegnete Charban. »Sie haben nicht nur sämtliche Jäger ausgerottet, sondern auch alles andere aus dem Verkehr gezogen, was ihnen im Weg hätte sein können. In den abgefangenen Videos sahen wir hin und wieder vogelähnliche Kreaturen, außerdem ein paar kleinere Bestien, bei denen es sich um Haustiere zu handeln scheint. Aber wenn man davon absieht, begegnet man überall auf dieser Welt nur Bärkühen. Ausgenommen irgendwelche Aufführungen, bei denen wohl historische Ereignisse nachgespielt werden. Dort tragen diese Wesen primitive Rüstungen und liefern sich Gefechte mit anderen Kreaturen. Bei denen handelt es sich klar erkennbar um digitale Spezialeffekte, die vermutlich die inzwischen ausgestorbenen Jäger darstellen.«
»Gefechte?« Das klang nach einer Gelegenheit, einen genauen Eindruck von der Art und Weise zu erhalten, wie diese Geschöpfe kämpften. »Können Sie mir ein solches Video sofort rüberschicken?«
»Auf jeden Fall, Admiral.« Charban drückte auf seine Komm-Einheit und nickte Geary zu.
Desjani beugte sich zu Geary hinüber, um sich Charbans Übermittlung ansehen zu können. Dabei ignorierte sie den herablassenden Blick, den Rione ihr wegen dieser körperlichen Nähe zu Geary zuwarf.
Ein neues virtuelles Fenster öffnete sich vor Geary, und er sah ganze Reihen von Bärkühen, die Schilde und lange Speere trugen, während sie gegen Widersacher vorrückten, die vergeblich auf die Wand aus Schilden einschlugen. Früher oder später wurden sie alle von den Speeren ihrer Widersacher durchbohrt.
»Eine beeindruckende Zurschaustellung in Sachen Disziplin«, merkte Charban an. »Die Bärkühe bleiben in der Formation, jede an ihrer Position. Sie bewegen sich im Gleichschritt vorwärts, alle reagieren sofort auf die erteilten Befehle.«
»Ich sehe nicht besonders viel Drama«, kommentierte Desjani. »Sie bedienen sich ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit, um die Jäger zurückzudrängen, einzukreisen und schließlich aufzuspießen.«
»Das ist auch alles, was sich da ereignet«, sagte Charban. »All diese Geschichtsvideos laufen gleich ab. Wir konnten nicht einen einzigen Fall finden, in dem eine einzelne Bärkuh den Helden spielt. Offenbar gefällt es diesen Kreaturen, dabei zuzusehen, wie die Massen ihrer eigenen Armee in Bewegung sind. Ich habe das nachgeprüft und konnte Vorfälle in der Menschheitsgeschichte finden, die grobe Ähnlichkeiten dazu aufweisen. Eine antike Gesellschaft auf der Alten Erde beispielsweise kämpfte in ganz ähnlichen Formationen mit einer geschlossenen Front aus Schilden. Heldentum und Drama drehten sich einzig um die simple Frage, ob jeder Soldat seinen Platz in der Formation beibehalten konnte, wenn die zwei Streitmächte aufeinandertrafen.«
»Sie sind gar nicht so anders als wir«, warf Rione ein. »Es gibt Dinge, bei denen wir Gemeinsamkeiten feststellen könnten, wenn sie nur mit uns reden würden. Aber unsere anfängliche Vermutung, dass diese Pflanzenfresser uns einzig aus dem Grund angegriffen haben, weil sie uns für Jäger hielten, war unvollständig.«
»Es gibt noch einen anderen Grund?«, hakte Geary nach.
Sie deutete in die Richtung, in der sich der weit entfernte Heimatplanet der Bärkühe befand. »Wir sind für sie Konkurrenz, Admiral, und Konkurrenz können sie nicht dulden. Sie haben auf ihrer Heimatwelt alle Konkurrenz vernichtet, und wären sie nicht durch die Anwesenheit der Enigmas darauf beschränkt, hier in ihrem System zu bleiben, hätten sie sich inzwischen vermutlich bis in die von den Menschen kontrollierten Gebiete vorgewagt und dabei jede andere Lebensform überrannt, auf die sie dabei gestoßen wären.«
»Was ist mit den Systemen, die in entgegengesetzter Richtung liegen? Müssen wir davon ausgehen, dass die Bärkühe zu allen Seiten von den Enigmas umgeben sind?«
»Das können wir zumindest hoffen«, meinte Rione. »Ja, ich weiß, keiner von uns hätte vor dem Eintreffen in diesem System so etwas für möglich gehalten, aber inzwischen kommen einem die Enigmas als das kleinere Übel vor.«
»Pandora«, sagte Desjani.
»Was?«, fragte Geary stellvertretend für jeden auf der Brücke.
»Eine von den alten Legenden«, erläuterte sie. »Von der Sorte, die den Frauen die Schuld an allem Schlechten gibt. Pandora hat irgendeine Kiste oder etwas in der Art aufgemacht, und darin befanden sich alle möglichen üblen Dinge. Ich glaube, Pandora wäre ein passender Name für diesen Stern.«
»Die alten Legenden gaben nicht den Frauen die Schuld an allem Schlechten«, widersprach Charban. »Das betraf nur Frauen, die… die nicht auf das hörten, was man ihnen gesagt hatte.«
»Was für eine feinsinnige Unterscheidung«, kommentierte Rione sarkastisch. »Es ist ja auch so schwer zu betonen, wie wichtig es ist, dass eine Frau gehorsam ist.«
Desjani grinste, als sie Charbans Verlegenheit bemerkte, bis ihr klar wurde, dass sie sich damit auf Riones Seite gestellt hatte. Rasch konzentrierte sie sich wieder auf Geary. »Nur noch fünf Minuten, bis wir ihre Reaktion zu sehen bekommen.«