»Ich kann dazu nichts sagen«, wiederholte Benan, doch diesmal klangen seine Worte wie eine einstudierte, heruntergeleierte Antwort.
»Ich bin der Befehlshaber dieser Flotte«, sagte Geary, »und in dieser Funktion erteile ich Ihnen hiermit den Befehl, mir alle Gründe zu nennen, die sich negativ auf Ihre medizinische Behandlung und Ihre Genesung von den Bedingungen als Kriegsgefangener auswirken könnten.«
Für einen Moment schien Benan den Atem anzuhalten, dann setzte er mehrmals zum Reden an, ehe er entgegnete: »Der Flottenbefehlshaber. Als Flottenbefehlshaber befehlen Sie mir zu reden. Bitte wiederholen Sie das.«
»Als Flottenbefehlshaber befehle ich Ihnen zu reden«, sagte Geary, während er sich fragte, was mit diesem Mann los war.
Benan schaute sich um, hielt inne und schluckte. »Wir sind allein. Hier befinden sich keine Aufzeichnungsgeräte.«
»Das ist korrekt.«
»Verdammt!« Wieder schluckte er, diesmal fast krampfhaft, dann sprang er von seinem Stuhl auf. »Ich kann reden! Ich kann reden.« Leicht schwankend blieb er stehen.
»Setzen Sie sich, Commander«, wies Geary ihn an.
Benan ließ sich auf seinen Stuhl sinken, während Gefühlsregungen in so rascher Folge über sein Gesicht huschten, dass Geary sie nicht deuten konnte. »Ja, etwas hemmt meine Behandlung. Ich weiß nicht, wie das sein kann, doch es muss in irgendeiner Weise dafür verantwortlich sein. Aber ich muss das erklären. Wissen Sie, was ich getan habe, Admiral? Bevor die Syndiks mich gefangen nahmen?«
»Sie waren Offizier der Flotte«, antwortete Geary. »Ihre Dienstakte enthält nur Gutes. Sie gelten als zuverlässig, mutig, intelligent.«
Benan stieß ein kurzes Lachen aus. »Das war einmal, bis auf die Sache mit der Intelligenz. Nein. Ein intelligenter Mann hätte sich auf so etwas niemals eingelassen.«
»Worauf, Commander? Auf den Krieg?«
»Am Krieg mussten wir uns alle beteiligen.« Benan starrte auf eine Ecke des Konferenzraums. »Außer Vic. Sie hätte es nicht tun sollen. Es hat sie auch verändert. Vic hätte niemals…« Seine Stimme versagte, das Gesicht lief rot an und er begann zu zittern, während er weiterhin Gearys Blick auswich.
Da dem nichts Sinnvolles einfiel, was er hätte sagen können, wartete er einfach geduldig ab. Es tut mir leid, dass ich mit Ihrer Frau geschlafen habe. Wir beide hielten Sie für tot. Ich bin mir sicher, dass Sie sich deswegen nicht besser fühlen. Aber Sie wissen bereits, Ihre Frau hat die Hölle durchlebt, seit sie wusste, dass Sie vielleicht doch noch leben könnten.
Nach einer langen Pause redete Benan weiter. »Ich kann es Ihnen sagen. Wenn ein Flottenbefehlshaber mich auffordert, dann muss ich antworten. Wenn wir allein sind, ganz ohne Zeugen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen befohlen wurde, kein Wort zu verraten?«
»Es war kein Befehl, Admiral«, spie Benan aus. »Hat man Ihnen von Brass Prince erzählt? Hat man Black Jack von Brass Prince erzählt?«
»Brass Prince?« Im Geiste ging Geary all die Namen der geheimen Projekte und Pläne durch, von denen er seit seinem Erwachen gehört oder gelesen hatte. »Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Das würden Sie, wenn Sie davon gehört hätten.« Benan flüsterte jetzt nur noch. »Ein streng geheimes Projekt, das von der Allianz-Regierung in Auftrag gegeben worden ist. Wissen Sie, woran die arbeiten, Admiral? An Biowaffen.« Das Letzte sagte Commander Benan so leise, dass er kaum zu verstehen war. »Für eine strategische biologische Kriegführung. Vielleicht haben Sie geglaubt, das dies die eine Regel war, die von den Syndiks und von der Allianz während des Krieges nicht gebrochen wurde, aber die Allianz hat tatsächlich in dieser Richtung geforscht.«
»Strategische biologische Kriegführung?«, wiederholte Geary ungläubig.
»Ja. Waffen, die in der Lage sind, die gesamte Bevölkerung eines Planeten auszulöschen. Waffen, die so lange in einem menschlichen Körper schlafen, dass sie erst virulent werden, wenn die Person ein anderes Sternensystem erreicht hat, und die eine Bevölkerung dann so schnell ausradieren, dass gar keine Zeit bleibt, um Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten.« Benans Hände zitterten heftig. »Natürlich nur zum Zweck der Verteidigung, wie alle behauptet haben. Würden wir diese Fähigkeit besitzen, dann würden die Syndiks es aus Angst vor einem entsprechenden Vergeltungsschlag nicht wagen, etwas Ähnliches als Erste gegen uns einzusetzen. Das war das, was wir uns gesagt haben. Vielleicht stimmte es ja sogar.«
Geary bemerkte, dass er gebannt den Atem angehalten hatte. Jetzt atmete er langsam durch, ehe er fragte: »Gilt die Europa-Vorschrift noch?«
»Natürlich gilt sie noch. Aber uns wurde gesagt, dass sich die Verhältnisse geändert hätten und dass wir eine neue Realität akzeptieren müssten. Die Syndiks würden zu allen Mitteln greifen, und man unterstellte ihnen, auch nicht vor dem Einsatz von Biowaffen zurückzuschrecken.«
»Aber… die Europa-Vorschrift«, wiederholte Geary bestürzt. »Zu meiner Zeit zeigte man Videos davon auf der Highschool, um sicherzustellen, dass jeder wusste, was tatsächlich passiert war. Dass dieser Koloniemond im Sol-System eben nicht durch einen Angriff für alle Zeit für Menschen unbewohnbar geworden war, sondern dass das Pathogen durch einen Unfall in der sogenannten Verteidigungsforschungsanlage auf Europa freigesetzt wurde. Wäre es nicht so virulent gewesen, dass der Tod praktisch sofort eintrat, hätte es die Erde erreichen können, noch bevor unseren Vorfahren bewusst gewesen wäre, was ihnen widerfuhr.«
»Das weiß ich! Wir alle wussten das!« Commander Benan starrte mit finsterer Miene zu Boden, dann fuhr er beherrschter fort: »Diese Videos zeigen sie noch immer in der Schule. Bilder, die so klar sind wie an dem Tag, an dem sie von den Überwachungskameras aufgenommen wurden, deren Personal da bereits längst tot war. Bilder, die von unbemannten Sonden aus dem All geschickt wurden. Bilder von den leblosen Menschen auf Europa, die überall verstreut lagen. Manche wirkten, als würden sie nur schlafen, andere Gesichter waren von Panik und Schmerz verzerrt, die im letzten Moment eingesetzt hatten. Wenn Sie sie gesehen haben, dann werden Sie sie sicher genauso in Erinnerung behalten haben wie ich.«
»Ich wüsste gar nicht, wie man die Bilder je wieder vergessen kann. Und die Nachbilder?«, fragte Geary.
»Ja. Jahrhunderte später, Gänge und Räume immer noch ohne Leben, nur angefüllt mit den allmählich zerfallenden Überresten derjenigen, die dort gelebt hatten.« Benan schüttelte den Kopf. »Man hat uns gesagt, dass unsere Arbeit so etwas verhindern soll, indem wir die Fähigkeiten erlangen, genau das zu tun. Ist es nicht eigenartig, Admiral, welchen Unsinn sich Menschen einreden können?«
»Sie waren daran beteiligt?« Geary überlegte, ob die Abscheu, die er empfand, in seiner Stimme mitschwang.
Benan bleckte einen Moment lang die Zähne. »Eine Zeit lang ja. Aber einer meiner Vorfahren gehörte zur Crew eines der Kriegsschiffe, die dafür sorgten, dass die über Europa verhängte Quarantäne befolgt wurde. Sein Schiff fing ein mit Flüchtlingen überlaufenes Handelsschiff ab und zerstörte es.«
»Es muss schrecklich sein, eine solche Erinnerung mit sich herumzutragen«, sagte Geary.
»Es ist noch schrecklicher, als Sie glauben, Admiral. Mein Vorfahr wusste, dass sich die Familie seiner Schwester an Bord befand. Möglicherweise hatte die Seuche sie längst getötet, aber mit Sicherheit war das nicht zu sagen. Und ich… na ja, ich arbeitete an dem gleichen teuflischen Projekt mit.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Aber ich erlangte meinen gesunden Menschenverstand zurück. Ich sagte ihnen, ich mache nicht länger mit. Ich sagte ihnen, dass es kriminell und verrückt war, dass die Arbeit eingestellt werden muss.«