Auf der Grundlage der wenigen Minuten, die die Flottensensoren bislang Zeit gehabt hatten, um das System zu erkunden, war die Schätzung errechnet worden, dass er sich bis zu zwei Lichtstunden vom Stern entfernte, ehe er zu ihm zurückkehrte. »Wenn wir es nicht mit einer sehr exotischen Lebensform zu tun haben, dann ist das hier nicht ihr Heimatsystem.«
»Auf diesem Felsblock können sie sich nicht entwickelt haben«, stimmte Desjani ihm zu. »Und dieser Braune Zwerg sieht ganz danach aus, dass der Stern ihn eingefangen hat. Wenn die Orbitalwerte zutreffen, dann ist er höchstens vor ein paar Millionen Jahren in das hiesige Schwerkraftfeld geraten.«
Mit Blick auf die Lebenserwartung eines Sterns war das ein sehr kurzer Zeitraum. Geary überlegte, was das zu bedeuten hatte. »Sie halten sich hier in einem Sternensystem auf, das außer Sprungpunkten nichts Nützliches vorzuweisen hat. Und sie sind vor dem Sprungpunkt in Position gegangen, der zum System der Bärkühe führt.«
»Der Sprungpunkt könnte auch vom Enigma-Gebiet erreichbar sein«, wandte Desjani ein. »Ich möchte nur wissen, warum sie sich ausgerechnet da aufhalten. Ah! Deshalb also.«
Die Systeme der Flotte hatten inzwischen die anderen Sprungpunkte identifiziert. Es gab insgesamt drei weitere Sprungpunkte: einen links von der Allianz-Flotte, einen zweiten rechts oben und einen dritten fast genau am anderen Ende des Systems und damit hinter dem Stern. Desjani rechnete einige Manöver durch, dann lächelte sie zufrieden. »Ja, genau. Sehen Sie das? Von ihrer Position aus können sie jeden abfangen, der durch diesen Sprungpunkt ins System kommt, und dabei ist es egal, zu welchem der anderen Sprungpunkte derjenige will.«
»Und sie haben Zeit genug, um zu sehen, was die andere Streitmacht unternimmt, ohne als Erste reagieren zu müssen«, ergänzte Geary. »Also gut, sie sind gute Ingenieure, und sie sind kluge Taktiker. Hoffen wir, dass sie wenigstens nicht feindselig sind.«
»In dieser Hinsicht haben wir bislang ja nicht sonderlich viel Glück gehabt«, meinte Desjani.
»Aller guten Dinge sind drei.« Geary gab neue Befehle an die Flotte aus und ließ sie bei einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von 0,1 Licht Kurs auf den Sprungpunkt nehmen, der auf dem Weg zurück in das von Menschen besiedelte Gebiet zu einem weiteren Stern führen sollte. Dabei fiel sein Blick auf die Formation seiner Flotte, nämlich die grobschlächtige Schachtelform, die bei den letzten Manövern und beim Gefecht im Pandora-System an allen Seiten ausgefranst war, die so gar nichts von den faszinierenden Kreisen und Spiralen der Alien-Flotte hatte. »Versuchen wir, nicht ganz so barbarisch auszusehen.«
Er durchsuchte die Auswahl an verfügbaren Formationen in der Datenbank der Steuersysteme, dann entschied er sich für eine, bei der die einzelnen Divisionen und Geschwader die Konturen von Diamanten bildeten, die sich wiederum zu größeren Formationen zusammenfügten, bis ein großer Diamant entstanden war. Das Ganze hatte Geary bislang immer für ein beeindruckendes Schauspiel gehalten, doch im Vergleich zur Leistung dieser Aliens würde es immer noch grob wirken, wenn auch nicht so extrem primitiv wie die aktuelle Schachtelformation.
»An alle Einheiten: Nehmen Sie sofort die Diamantformation ein.«
Rione stand angespannt neben seinem Sessel. »Sprechen Sie sie an, Admiral. Etwas Kurzes und Knappes, um ihnen zu versichern, dass wir in Frieden kommen.«
»Wir kommen in Frieden«, murmelte Desjani sarkastisch, »und bringen eine Flotte aus Kriegsschiffen mit.«
»Vor wem wollen sie dieses System beschützen?«, fragte Rione und ging über Desjanis Bemerkung hinweg. »Sie sind diesem Sprungpunkt zugewandt, durch den die Bärkühe kommen könnten. Sagen Sie Ihnen, dass wir nicht hier sind, um zu kämpfen.«
Vielleicht würde eine solche Erklärung ja zur Abwechslung einmal Gehör finden. Während er über die Bärkühe nachdachte, die in Kürze in diesem System eintreffen würden, um seine Flotte weiter zu verfolgen, hoffte er, dass er zwar weitere Aliens, aber nicht auch weitere Feinde entdeckt hatte. »Ist alles für eine Übertragung auf der gesamten Breite des Spektrums bereit?«, fragte er Desjani.
Sie sah zu ihrem Komm-Wachhabenden, der sofort bestätigend nickte. »Sie können jederzeit anfangen, Admiral.«
Nachdem er sich gerade hingesetzt hatte, begann er, ruhig und gemächlich zu reden, wobei er versuchte, zwar Stärke erkennen zu lassen, dabei aber nicht bedrohlich zu wirken. »Wir grüßen die Besatzungen dieser Schiffe hier im System. Wir sind Vertreter der Menschheit und befinden uns auf einer friedlichen Forschungsmission.« Er konnte nur hoffen, dass die Waffen und sichtbaren Gefechtsschäden auf der Hülle etlicher Schiffe der Beteuerung nicht allzu offensichtlich zuwiderliefen, sie seien in friedlicher Absicht unterwegs. »Wir möchten eine freundschaftliche Beziehung zu Ihnen aufbauen und dieses System durchqueren und in die Region zurückkehren, die von unserer Spezies kontrolliert wird. Mein Name ist Admiral John Geary. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Ende.«
Er lehnte sich zurück und musste unwillkürlich lachen. »Wie sollen die auch nur ein einziges Wort von dem verstehen, was ich gerade gesagt habe?«
»Es ist zu hoffen, dass sie in der Lage sind, die Einstellung des Sprechenden zu erfassen«, sagte Rione, doch es klang nicht so, als würde sie selbst daran glauben.
Desjani hatte auf ihrem Display verschiedene Dinge durchgerechnet, wobei sich ihre Finger flink über die Tasten und Anzeigen bewegt hatten, um die Berechnungen zu steuern. Nun zeigte sie auf die Darstellung der fremden Streitmacht. »Wir befinden uns in einer Position vor ihnen, die es ihnen erlaubt, sich uns in den Weg zu stellen, ganz gleich welchen Sprungpunkt wir wählen. Laut Schätzung unserer Steuersysteme dürfte die Armada der Bärkühe zwischen einer halben und einer vollen Stunde benötigen, um zu wenden und uns durch den Sprungpunkt zu folgen.«
»Eine halbe bis eine volle Stunde?« Geary sah auf die Uhr. »Wir befinden uns inzwischen seit gut zwanzig Minuten in diesem System.«
»Sollen wir beschleunigen, um auf Abstand zum Sprungpunkt zu gehen?«, wollte Desjani wissen.
»Damit würden wir uns deren Formation nähern«, gab Geary zu bedenken. »Das könnte als aggressiver Akt aufgefasst werden.«
»Wenn sie uns angreifen wollen, werden sie das so oder so machen.«
Nachdrücklich schüttelte er den Kopf. »Ich werde die Situation nicht eskalieren lassen, nur weil das sowieso passieren könnte. Die Vorstellung, zwischen diesen beiden Flotten in der Falle zu sitzen, ist schon unerfreulich genug. Aber noch schlimmer wäre es, wenn wir auch noch selbst dafür sorgen würden, dass wir in diese Falle gehen.«
Sie hielt inne und kam zu dem Entschluss, dass Geary nicht einlenken würde, woraufhin sie sich wieder ihrem Display zuwandte. »Dann werde ich meiner Crew befehlen, sich zurückzuhalten. Die Reaktionen dieser Aliens werden wir erst in gut zwei Stunden sehen können, und wenn die Bärkühe hier auftauchen, haben sie noch eine lange Strecke vor sich, während wir uns überlegen können, wo wir uns von ihnen einholen lassen.«
Diesmal nickte er nur. An eine große Schlacht gegen die Bärkühe wollte er lieber gar nicht denken, doch er wusste, dass er genau das tun musste. Er konnte nicht zulassen, dass eine solche Streitmacht ihnen bis in das von Menschen kontrollierte Gebiet folgte. Aber vorher musste er in Erfahrung bringen, ob sie das tatsächlich vorhatten. Womöglich waren die Bärkühe ja schon zufrieden damit, dass sie die Menschen aus dem Pandora-System verjagt hatten.
Allerdings durfte er dabei nicht vergessen, dass er den Führer dieser Armada mit seinen ständigen Kurswechseln zur Weißglut getrieben haben musste. Und er durfte erst recht nicht vergessen, wie wütend der darüber sein musste, dass die Flotte ihm auch noch entkommen war.
Es dauerte noch einmal fünfundzwanzig Minuten, bis die Flotte — die vom Sprungpunkt gut sechs Lichtminuten entfernt war — die Antwort auf die Frage erhielt, was die Bärkühe beabsichtigten. Warnsymbole blinkten auf den Displays auf, als die Sensoren der Flotte deren Kriegsschiffe als aus dem Sprungpunkt kommend registrierten. Sie hatten die Verfolgung der Allianz-Flotte also nicht abgebrochen.