»Ich will schwer hoffen, dass diese Kerle da vor uns auf unserer Seite stehen«, sagte Desjani leise.
Sechs
Dies war eine der Gelegenheiten, bei denen die gewaltigen Entfernungen im All einfach nur frustrierend waren. Da eine Streitmacht unbekannter Aliens sich vor ihnen befand und eine zweite sich von hinten näherte, deren feindselige Absichten ihnen nur zu vertraut waren, wollte Geary etwas unternehmen. Irgendetwas. Aber er konnte nur warten, ohne zu wissen, wie die neue fremde Spezies auf die Ankunft der Menschen reagieren würde. Ihm war mehr als bewusst, dass jede Aktion von seiner Seite falsch ausgelegt werden könnte. Unterdessen hatte die Armada der Bärkühe erneut beschleunigt und näherte sich der Allianz-Flotte. Zumindest in dieser Hinsicht spielten die immensen Entfernungen Geary in die Hände, denn selbst wenn die Bärkühe auf über 0,2 Licht beschleunigten, würde es Stunden dauern, um die Schiffe der Menschen einzuholen.
»Captain, wir empfangen etwas von vorn«, meldete der Komm-Wachhabende. »Ein sich wiederholendes Funksignal auf etlichen Frequenzen gleichzeitig.«
Rione lachte laut auf. »Die wollen mit uns reden.«
»Vielleicht wollen sie uns ja nur sagen, dass sie uns umbringen werden«, murmelte Desjani, dann fragte sie ihren Wachhabenden: »Nur Audio oder auch Video?«
»Eindeutig Video, Captain. Es ähnelt einem der alten Sendeformate, die früher von den Menschen benutzt wurden. Daher können wir das Signal auch in ein brauchbares Bild umwandeln, sobald das System das erforderliche Protokoll erzeugt hat. Das Bild kann ab und zu ruckeln, aber es sollte klar und deutlich sein, und das Gleiche dürfte auch für den Ton gelten.«
»Lassen Sie es uns sehen, sobald Sie bereit sind«, befahl Desjani.
»Das sollte in weniger als einer Minute der Fall sein, Captain.«
Tatsächlich vergingen lediglich Sekunden, ehe sich vor Geary und den anderen auf der Brücke virtuelle Fenster öffneten, die ein klares, deutliches Bild zeigten. Im ersten Moment bekam Geary den Mund nicht mehr zu, und erst allmählich wurde ihm klar, dass alle auf der Brücke verstummt waren.
»Wie groß ist das Ding?«, fragte Desjani schließlich mit erstickter Stimme. »Lieutenant Yuon?«
»Das… das lässt sich nicht sagen, Captain«, stammelte Yuon. »Es gibt keine Bezugsgröße, an der wir uns orientieren könnten.«
Geary zwang sich, das Bild genauer zu betrachten. Hätte sich eine sehr große Spinne irgendwie mit einem Wolf gepaart, wäre wohl dieses Ding dabei herausgekommen: mindestens sechs Gliedmaßen, die als Arme ebenso wie als Beine dienen konnten; glänzende Haut, die hart wie ein Panzer zu sein schien, aber mit Haarbüscheln überzogen war; der Kopf verfügte über sechs Augen, die um den Mittelpunkt herum verteilt waren; eine lappenähnliche Öffnung oberhalb der Augen diente möglicherweise der Atmung; darunter ein riesiges Maul aus mehreren Kiefern. Zwei Lappen zu beiden Seiten des Kopfs aus hauchdünner, von feinen Adern durchzogener Haut stellten möglicherweise die Ohren dar.
Es war so, als hätte jemand bei allen Lebewesen nach den am schrecklichsten aussehenden Elementen gesucht und sie zu diesem Ding kombiniert.
»Wenigstens hat es keine Tentakel«, stellte Charban fest.
Geary richtete sein Augenmerk auf die Kleidung der Kreatur, wie Seide schimmernde Stoffbänder in leuchtenden Farben überzogen den Leib in einem komplexen Muster. Die Farben stachen sich dabei nie und ergaben ein sonderbares, auf ihre Weise aber schönes Bild.
Die Kreatur sprach in schrillen, wabernden Tönen. Dabei streckte sie vier ihrer Gliedmaßen zu beiden Seiten des Körpers zu voller Länge aus. Auch die Klauen an den Enden dieser Gliedmaßen wurden gespreizt. Während das Wesen zu ihnen sprach, behielt es diese Pose bei. Die Töne wurden hin und wieder von einem Knacken unterbrochen, das immer dann entstand, wenn die Kiefer aufeinanderschlugen.
»Die Vorfahren mögen uns beistehen«, flüsterte Desjani, dann schluckte sie und redete in einem fast normalen Tonfall weiter. »Werden wir bedroht?«
»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Geary.
»Etwas, das so aussieht, baut solche Schiffe und denkt sich derartige Formationen aus?«
»Offenbar ja.« Er schaute nach unten und atmete ein paar Mal tief durch, um seine Fassung zu bewahren. »Leiten Sie das an die zivilen Experten weiter. Ich will wissen, was das Ding ihrer Meinung nach macht.«
Schließlich meldete sich Rione zu Wort. Ihre Stimme klang von allen auf der Brücke noch am normalsten. »Es redet mit uns. Was für eine Spezies das auch sein mag, sie haben mit uns Kontakt aufgenommen. Die Enigmas haben erst nach langem Versteckspiel begonnen mit uns zu reden, und auch das nur sehr zögerlich. Von den Bärkühen haben wir nicht ein einziges Wort gehört.«
»Vielleicht will es ja bloß wissen, wonach wir schmecken«, meinte Desjani leise und musste dann lachen. »Möchte wissen, was in ihrer Sprache ›schmeckt wie Hühnchen‹ heißt.«
Auch Geary musste lachen, da der rabenschwarze Humor eine willkommene Ablenkung nach dem Schock war, den er erlitten hatte, als die Kreatur zum ersten Mal auf seinem Display aufgetaucht war.«
»Captain?« Der Komm-Wachhabende hatte sein halb hysterisches Gelächter über Desjanis Witz unter Kontrolle gebracht. »Es ist etwas an diese Mitteilung angehängt. Irgendein Programm.«
Desjani warf Geary einen finsteren Blick zu. »Ein Trojaner, ein Virus oder was?«, fragte sie den Wachhabenden.
»Weder noch, Captain. Es ist nicht in irgendeiner Weise versteckt worden. Der Anhang ist auf den ersten Blick erkennbar. Entweder sind diese… ähm, was immer sie sind… völlig unbeholfen, was Sicherheitsvorkehrungen bei Computern angeht, oder aber sie wollten sicherstellen, dass wir das Programm auf jeden Fall entdecken.«
»Lassen Sie es von der Sicherheitsabteilung überprüfen«, wies Desjani an. »Ich will, dass unsere Kodierspezialisten es analysieren und mir ihre Einschätzung mitteilen, bevor wir irgendwas damit machen. Augenblick mal, jedes Schiff der Flotte könnte diese Nachricht empfangen haben.«
»Ja, Captain.«
Geary betätigte hastig die Komm-Kontrolle, ohne den Blick von der Nachricht abzuwenden. »An alle Einheiten: Die an die Nachricht der Aliens angehängte Software wird weder gespeichert noch gestartet noch in irgendeiner anderen Form aktiviert. Sie wird zunächst unter kontrollierten Bedingungen getestet und aktiviert.«
Im Komm-Fenster vor Geary hatte die Kreatur ihre Nachricht beendet, sie verschränkte die vier oberen Gliedmaßen vor der Brust, dann hob sie zwei von ihnen hoch, um den Kopf einzurahmen, ehe im nächsten Moment die Übermittlung beendet wurde.
»Und jetzt?«, fragte Desjani.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Geary. »Vielleicht ist es leichter zu entscheiden, was wir tun sollen, wenn sie nicht mit uns reden.«
»Uns sitzen die Bärkühe im Nacken. Wir können nicht einfach hier stillstehen und darauf warten, dass wir dahinterkommen, was diese… diese Spinnenwölfe wollen oder vielleicht auch nicht wollen.«
»Sie sollten eine Antwort senden«, sagte Rione.
»Eine Antwort?«, wiederholte Geary. »Auf was denn? Ich weiß nicht, was das Ding zu uns gesagt hat.« Vor ein paar Stunden war es noch eine gute Idee gewesen, blindlings eine Nachricht an die Fremden abzuschicken. Doch nachdem er nun die Übermittlung der Spinnenwölfe gesehen hatte, kam es ihm so vor, dass zwischen seiner und dieser Spezies eine Lücke klaffte, die erheblich breiter war als die ohnehin immense Entfernung zwischen zwei Sternen.
»Sie werden meine Gesten nicht begreifen, sie werden meine Worte nicht verstehen, und möglicherweise finden sie mich genauso hässlich wie ich sie.«