»Dennoch sollten Sie etwas erwidern«, beharrte Rione. »Lassen Sie sie wissen, dass wir reden wollen. Vielleicht wissen sie ja, was ein Mensch ist. Immerhin sind sie sozusagen Nachbarn der Enigmas.«
Geary sah Rione mürrisch an. »Ich habe die Bärkühe angelächelt, und als sie meine Schneidezähne sahen, dachten sie, ich wollte sie verspeisen.«
»Das ist nur eine Vermutung, Admiral«, hielt sie ihm vor Augen. »Wenn auch eine ziemlich überzeugend klingende Vermutung, wie ich zugeben muss. Aber Sie sprachen zuvor von technischen Aspekten, die auch auf Lebewesen zutreffen. Eine Angriffshaltung unterscheidet sich von einer Abwehrhaltung, nicht wahr? Das muss doch so sein, oder?«
Charban meldete sich zu Wort. »Das kommt ganz auf die Umstände an. Es gibt eine ganze Reihe von Gefechtsmethoden, bei denen ein Individuum sich in der Schwebe befindet und gleichermaßen zum Angriff wie auch zur Verteidigung bereit ist. Diese Dinge sind aber sehr hochentwickelt.« Er hielt inne und schaute nachdenklich drein. »Bei uns Menschen deuten wir Angriffslust an, indem wir uns nach vorn beugen, die Arme dicht am Körper halten und zum Zuschlagen bereit sind. Eine Abwehrhaltung kann ganz ähnlich aussehen. Aber wenn ein Mensch seine friedfertigen Absichten kundtun will, dann stellt er sich hin, streckt die Arme aus und hält seinem Gegenüber die geöffneten Hände hin. Diese Haltung passt weder zum Angriff noch zur Abwehr.«
»Die Art, wie der… ähm… Spinnenwolf dastand«, stimmte Geary ihm zu. »Die Arme ausgestreckt, die Klauenhände geöffnet.«
»Bereit um zuzuschnappen«, warf Desjani ein. »Mit welcher Feinmotorik bewegen die eigentlich ihre Klauen?«
»Auch eine berechtigte Frage.« Geary setzte eine finstere Miene auf. Er wusste, Rione hatte recht, doch er fragte sich, ob er tatsächlich noch frei und ruhig reden konnte, nachdem er nun wusste, wie seine Zuhörer aussahen. »Können wir die Antwort im gleichen Format senden wie die Nachricht, die wir empfangen haben?«
»Natürlich kann die Dauntless das«, erwiderte Desjani und wirkte fast beleidigt angesichts seines Gedankens, ihr Schiff könnte zu irgendetwas nicht fähig sein.
»Wir können das gleiche Umwandlungsprogramm einsetzen, Admiral«, erklärte der Komm-Wachhabende. »Wir lassen einfach Ihre Mitteilung in unserem durchlaufen und senden es in deren Format.«
Er nickte stumm und versuchte, sich in die richtige geistige Verfassung zu bringen, um zu diesen Kreaturen zu sprechen, ohne sich dabei anmerken zu lassen, wie sehr ihr Aussehen ihn abstieß.
Mit beschwichtigender Stimme meldete sich wieder Charban zu Wort. »Sie können einen anderen zum Teil danach beurteilen, was er tut, was er erschafft und womit er sich umgibt. Bei den Bärkühen sind wir so vorgegangen, indem wir uns ihre Welt angesehen haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass sie anderen gegenüber erbarmungslos sein müssen. Hier können wir zwar keinen Blick auf die Heimatwelt dieser neuen Spezies werfen, aber wir sehen, was sie geschaffen haben. Wir können erkennen, wie ihnen bestimmte Dinge am liebsten sind. Das verschafft uns eine Grundlage, um mit ihnen mitzufühlen.«
»Mitfühlen«, wiederholte Geary, hörte aber aus diesem einen Wort seine eigene Skepsis heraus.
»Ja. Genau so, wie Sie bestimmte Aspekte von uns Menschen in dem sehen, was wir erschaffen und wir Dinge in Angriff nehmen.« Charban machte eine ausholende Geste. »Wir haben diese Flotte geschaffen, ein mächtiges Kriegsgerät. Das sagt etwas über uns aus, aber da ist mehr als nur das Offensichtliche. Nicht alles in dieser Flotte spiegelt pure Wissenschaft, Physik oder Ingenieurskunst wider. Vieles davon zeigt, wie wir Dinge erledigt wissen möchten, weil wir es eben so wollen. Es ist uns wichtig, auch wenn wir den Grund dafür vielleicht gar nicht erklären können.«
»Der Goldene Schnitt«, sagte Rione. »Er bestimmt ein Verhältnis zwischen Zahlen. Wir Menschen wenden ihn oft an, weil uns Dinge mit diesen Proportionen gefallen.«
»Ein Verhältnis?«, erkundigte sich Geary.
»Eine irrationale mathematische Konstante«, warf Lieutenant Castries ein und schaute blinzelnd auf die Ergebnisse der Anfrage, die sie eingegeben hatte. »Abgeleitet vom Verhältnis einer größeren zu einer kleineren Menge. Sie beträgt 1 zu 1,6. Man findet sie in der Architektur und der Bildhauerei, es ist das Format für gedruckte Bücher, für Papier, Spielkarten und unter anderem auch für virtuelle Fenster.«
»Ganz genau.« Rione deutete auf ihr Display. »Diese Anzeigen weisen dieses Format wahrscheinlich aus dem Grund auf, dass wir Dinge gern in diesem Größenverhältnis sehen. Das ist irgendwie ein Teil von uns. Und jetzt sehen Sie diese Kreaturen und deren Schiffe an. Wenn sie so etwas erschaffen können, besitzen sie auf irgendeine Weise selbst innere Schönheit.«
»Die muss aber sehr tief in ihrem Inneren verborgen sein«, sagte Geary.
»Sehen Sie sich an, was sie geschaffen haben, und denken Sie daran, wenn Sie sich an sie wenden.«
»Sie könnten sich auch zuerst betrinken«, schlug Desjani vor. »Das macht es immer einfacher, etwas Abscheuliches zu akzeptieren.«
»Ich werde gar nicht erst fragen, woher Sie das wissen«, gab Geary zurück, seufzte und stand auf, wobei er versuchte, eine Haltung zu wahren, die nicht aggressiv wirkte. Dann auf einmal hielt er inne. »Bilder. Wir können es mit Bildern versuchen. Was muss ich tun, damit mein Display mit mir zusammen zu sehen ist?«
»Wir sollen ihnen eines unserer Displays zeigen?«, hakte Desjani nach.
»Ja.«
»Einen Augenblick, Admiral«, sagte der Komm-Wachhabende, während seine Finger förmlich über die Tastatur wirbelten. »Fertig. Wenn Sie jetzt senden, ist es neben Ihnen zu sehen. Hier ist ein sekundäres Fenster, das Ihnen anzeigt, wie das als Ganzes aussieht.«
Das sekundäre Fenster öffnete sich vor ihm, und Geary konnte sich betrachten, wie er neben dem Bild eines Displays stand. Einen Moment lang überlegte er, wie er anfangen sollte, dann betätigte er die Komm-Kontrolle. »Vielen Dank, dass Sie mit uns Kontakt aufgenommen haben. Wir möchten in friedlicher Absicht dieses System durchqueren.« Er zeigte auf den Sprungpunkt, durch den sie ins System gekommen waren, und zeichnete mit dem Finger eine Kurve zu einem der Sprungpunkte auf der anderen Seite des Systems. »Dort sind Feinde, die uns bis hierher verfolgt haben.« Jetzt hielt er die Handfläche wie einen schützenden Schild vor die Armada der Bärkühe, die andere Hand war erhoben, als wollte er zuschlagen. »Wir wollen nicht mit Ihnen kämpfen.« Beim Anblick der Darstellung der Spinnenwolf-Streitmacht ließ er die Arme sinken und drehte die leeren Handflächen nach vorn. »Auf die Ehre unserer Vorfahren, hier spricht Admiral Geary, Ende.«
»Captain?« Desjani drehte sich zur Seite und betrachtete das Fenster, das vor ihr aufgetaucht war und einen Lieutenant Commander zeigte. Geary erkannte den Mann als den Offizier, der für die Systemsicherheit der Dauntless zuständig war. »Wir haben den Anhang dieser Nachricht isoliert und auf einem System geöffnet, das mit keinem anderen System auf dem Schiff verbunden ist. Dadurch war es unmöglich, irgendetwas an Bord zu infizieren. Es hat einiges an Arbeit bedeutet, aber wir sind dahintergekommen, wie dieses Programm funktioniert, weil es sein eigenes Betriebssystem enthielt, das sich offenbar an unsere Hardware anpassen konnte.«
»Es hat sich an unsere Hardware angepasst?«
»Ja, Captain, aber keine Sorge. Es kann nicht auf andere Systeme überspringen. Es gibt keine materielle oder elektronische Verbindung, und die Einheit befindet sich in einem isolierten Umfeld.«
Desjani atmete tief durch, dann fragte sie: »Und was für ein Programm ist das?«
»Ich glaube…« Der Offizier der Systemsicherheit kratzte sich am Kopf. »Es gibt Bilder zu sehen, und da ist auch eine Art interaktive Routine. Mich erinnert das Ganze an ein Kinderbuch für wirklich kleine Kinder, denen man bestimmte Begriffe beibringen will.«