Wie alt war diese Warnung bloß, und worauf hatte sie sich wohl ursprünglich einmal bezogen?, fragte sich Geary. Vielleicht ging der Satz auf eine Zeit zurück, in der jemand mit einer offenen Flamme eine Zündschnur angezündet hatte. Mittlerweile war es nur noch die Standardwarnung vor einer bevorstehenden Explosion.
Das Bild zitterte erneut, diesmal länger als zuvor. Jubelrufe ertönten, als die Marines dorthin zurückkehrten, wo nun Löcher in der gepanzerten Luke klafften.
»Noch fünf! Da, da und da! Dann wird das Stück rausbrechen. Los!«
Geary schaute zu den anderen Fenstern und sah eine ähnliche Szene an all den Stellen, an denen die Marines versuchten, sich den Weg in das feindliche Schiff freizusprengen. Nach und nach entstanden so Löcher in der Hülle, die groß genug waren, damit die Marines sich ins Innere ziehen konnten.
Er öffnete ein anderes Fenster, das ihm zeigte, was einer der Marines zu sehen bekam, der soeben in eine Art Frachtbereich gelangt war. Es gab dort kein Licht, nur schwarze, gähnende Leere. »Keine Schwerkraft! Entweder ausgefallen, oder sie haben sie abgeschaltet!« Der Marine bewegte sich zu einer Seite, um seinen Kameraden Platz zu machen, deren Infrarotlichter für geisterhafte Bilder eines Frachtraums sorgten, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem beliebigen Frachtraum auf einem Schiff der Allianz aufwies. Warum hätte er auch anders aussehen sollen? Die Anforderungen an einen solchen Raum waren im Grunde immer gleich, egal, von welcher Art von Kreatur er benutzt wurde.
»Keine Schwerkraft an Bord?«, hörte Geary General Charban fragen, der irgendwo hinter ihm stand. »Marines werden für so etwas ausgebildet, richtig?«
»Ja, richtig«, antwortete Desjani. »Sie kämpfen lieber in einem Schwerkraftfeld, aber mit null g kommen sie auch zurecht.« Es klang fast so, als sei sie stolz darauf, dass die Marines mit einer Situation umgehen konnten, für die Bodentruppen gar nicht erst ausgebildet wurden. Geary hatte sie über das Verhalten und die Einstellungen der Marines klagen hören, aber wenn man mit Außenstehenden zu tun hatte, die den Bodentruppen oder der Luftmacht angehörten, dann waren die Flotte und die Marines sich auf einmal so nah wie Waffenbrüder und -schwestern.
Die Marines, auf die sich Geary bis gerade eben konzentriert hatte, bewegten sich zügig, aber behutsam weiter, um das Abteil zu sichern. Ihre im Helmvisier gespiegelten Displays zeigten ihnen dabei alles an, was irgendwie ungewöhnlich oder verdächtig aussah. In diesem Fall, bei dem sie an allen Schotten und Decken von fremdartigen Geräten umgeben waren, die vermutlich nur allzu bekannte Funktionen erfüllten, wurde fast alles mit einer Warnung belegt, was nicht eine glatte Oberfläche war. Vereinzelt war es sogar so, dass scheinbar schmucklose Bereiche der Wände, der Decke und des Bodens irgendetwas an sich hatten, das die Sensoren in der Gefechtsrüstung der Marines anschlagen ließ.
»Druckausgleichsschalter?«, überlegte einer der Marines in der Einheit, in der sich Geary umsah.
»Kann schon sein«, erwiderte der Sergeant. »Vielleicht auch nur eine Vorrichtung, um Fracht zu bewegen. Aber vielleicht auch nicht. Also Finger weg.«
»Was zum Teufel ist denn das?«
»Wenn ihr nicht wisst, was etwas ist, dann fasst es nicht an! Und jetzt hört schon auf, euch wie Touristen zu benehmen, und haltet lieber Ausschau nach den Luftschleusen und den dazugehörigen Steuerungen!«
Geary wechselte von einer Einheit zur anderen, bekam aber überall fast die gleichen Bilder zu sehen. Einheiten in den Abteilen, zu denen die Ingenieure den Weg freigesprengt hatten. Marines, die sich in der Schwerelosigkeit bewegten und nach Luken suchten, durch die sie tiefer ins Schiff vordringen konnten. »Hab eine gefunden!«, rief plötzlich einer von ihnen. »Ist das die Steuerung? Die ist ja richtig tief unten angebracht, fast schon auf dem Deck.«
»Bist du hirntot, oder was? Das sind ganz kurze Typen, schon vergessen?«
»Klappe halten«, ging ein Corporal dazwischen. »Hey, Sarge, das sieht ganz danach aus. Bloß eine Art Messerschalter, kein Knopf.«
»Lieutenant?«
»Warten Sie. Okay, Sergeant. Der Captain sagt, wir sollen die Luke öffnen, aber wir sollen uns darauf gefasst machen, dass sie uns auf der anderen Seite empfangen. Waffen ziehen.«
»Alles klar. Sichert die Luke, ihr Schlafmützen. Kezar, Schalter umlegen.«
Geary wartete und sah mit an, wie Corporal Kezar den Messerschalter nach oben schob.«
Und er wartete weiter.
»Es tut sich nichts, Sarge.«
»Das sehe ich auch. Lieutenant?«
»Mit keinem der Schalter lässt sich eine Luke öffnen, Sergeant. Lassen Sie Ihren Hacker ran.«
»Cortez! Machen Sie das Ding auf.«
Ein weiterer Marine hockte sich vor den Schalter, zog mit einigen Mühen die Abdeckung herunter und spähte in die Öffnung. Sofort schaltete Geary um, weil er wissen wollte, was Cortez sah, aber er hatte keine Ahnung, was er da vor sich hatte.
Wieder war die Stimme des Lieutenants zu hören. »Wie sieht’s aus? Können Sie die Steuerung umgehen?«
»Ich weiß ja nicht mal, was da die Steuerung sein soll!«, protestierte Private Cortez. »Dieser Kasten sieht so aus, als könnte er es sein…«
»Dann finden Sie den Zugang, suchen Sie nach Kabeln oder…«
»Lieutenant, ich sehe da nichts weiter als diesen Schalter, und Drähte gibt es in dem Ding schon gar nicht. Da ist nur irgendeine Masse drin… was ist das für ein Zeug? Sieht aus wie Gel oder so was.«
»Sie können nicht… was ist…?« Der Lieutenant musste nun auch gesehen haben, was Cortez und Geary betrachteten. »Wie zum Teufel funktioniert dieses Zeugs?«
»Keine Ahnung, Lieutenant. Ich weiß nur, ich kann mich nicht in etwas einhacken, das nicht auf die Weise arbeitet, die uns vertraut ist.«
Ähnliche Unterhaltungen spielten sich auch bei den anderen Gruppen ab, die ins Schiff vorgedrungen waren. »Captain, wir werden die Luftschleusen heraussprengen müssen«, meldete der Lieutenant, nachdem er sich mit seinem Sergeant beratschlagt hatte.
»Sind die Öffnungen nach draußen wieder verschlossen?«
»Sir, das weiß ich nicht, aber wir können im Vakuum ohne Weiteres…«
»Unser Befehl lautet, das Schiff so intakt wie möglich einzunehmen, und es gibt eine Menge Dinge, die mit einem Vakuum nicht so gut klarkommen wie unsere Gefechtsrüstungen«, sagte der Captain. »Warten Sie. Colonel, wir müssen wissen, ob die Löcher in der Hülle hier in diesem Bereich inzwischen versiegelt worden sind.«
»Yuhas! Wir benötigen grünes Licht, damit wir die Schleusen aufsprengen können!«
Fast eine Minute verstrich, und weitere Marines ließen über die Befehlskette die Frage durchreichen, ob sie den Weg ins Innere des Schiffs freisprengen durften.
»Colonel Yuhas meldet, seine Gefechtsingenieure hätten gesagt, wir können hier weitermachen«, kam schließlich die erlösende Antwort von weiter oben. »Sprengt ein Loch ins Schott, nicht in die Luke. Wir wissen nicht, wie sie versiegelt oder verriegelt ist. Das kommt vom Brigadekommando. Alle sollen sich den Weg ins Innere freisprengen, dabei aber die Luftschleusen meiden. Wir hinken weit hinter unserem Zeitplan hinterher. Los, los, wir müssen da rein.«
»Wie sieht es aus?«, erkundigte sich Desjani.
»Sie sprengen die inneren Schotte, um weiter vorzudringen«, berichtete Geary ihr.
»Ach, deshalb haben sie Löcher in die Hülle gesprengt und sie mit Notfall-Luftschleusen wieder geschlossen. Schon irgendwelche Kiks gesehen?«