Dann endlich wurde ein Trupp fündig und entdeckte die Brücke des Superschlachtschiffs, ein Abteil, in dem sich hinter den Kommandoplätzen etliche Sitzreihen befanden, so als würden Dutzende Zuschauer dort regelmäßig irgendwelche Veranstaltungen besuchen.
»Das ist sehr eigenartig«, fand Desjani. »Welchen Zweck soll das haben?«
»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Geary.
General Carabali meldete sich und erstattete wie immer todernst Bericht: »Der organisierte Widerstand an Bord des Schiffs hat aufgehört, Admiral. Aber ich kann noch nicht sagen, dass die Situation jetzt keine Risiken mehr birgt. Das weiß ich erst, wenn wir uns viel gründlicher umgesehen haben. Meine Marines auf dem Schiff werden in Gefechtsbereitschaft bleiben, und jegliches Flottenpersonal, das an Bord kommen möchte, muss von Marines begleitet werden.«
»Danke, General«, sagte Geary. »Verdammt gute Arbeit. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg und ich spreche Ihnen mein Mitgefühl für Ihre Verluste aus.«
»Danke, Admiral.«
»Leben noch irgendwelche Bärkühe?«
»Die Kiks haben bis zum Tod gekämpft, und in den Fällen, in denen wir im Begriff waren, sie zu überwältigen, sind sie einfach gestorben. Bislang wissen wir nicht, ob sie irgendetwas bei sich tragen, das ihnen die Möglichkeit gibt, sich im Ernstfall das Leben zu nehmen, oder ob das Ganze eine psychologische Angelegenheit ist. Sie haben auch die Verletzten getötet, die bewusstlos waren, sobald die Gefahr bestand, dass wir sie gefangen nehmen könnten.«
»Die Vorfahren mögen uns beistehen!«
Carabali verzog den Mund. »Na ja, Admiral, stellen Sie sich doch mal vor, Sie wären eine Kuh und Sie wüssten, welches Schicksal eine Ihrer Mitkühe ereilen wird, wenn sie in Gefangenschaft gerät. Dann ergibt das Handeln der Kiks durchaus einen Sinn. Sie beschützen ihre Verwundeten vor einem Schicksal, das schlimmer ist als der Tod. Meine Marines suchen unter den Toten nach Kiks, die so schwer verletzt wurden, dass sie ohnmächtig sind, aber von den anderen irrtümlich nicht getötet wurden.«
Dann zögerte Carabali. »Wo wir gerade von toten Feinden reden… Admiral, nach jeder Schlacht stellt sich die Frage, was man mit den sterblichen Überresten des Gegners anfängt. Unsere Verfahrensweise während des Kriegs war sehr unterschiedlich, wie Sie wissen, auch wenn unsere Widersacher eigentlich Menschen wie wir waren. Aber seit Sie das Kommando übernommen haben, behandeln wir diese Überreste mit Würde und Respekt. Jetzt allerdings… Admiral, hier sind so viele Tote, dass ganze Korridore unpassierbar sind, außerdem treibt so außerordentlich viel Blut durch die Luft, dass wir es nicht wagen würden, die Ventilation einzuschalten, selbst wenn wir wüssten, wo der Schalter wäre. Was sollen wir mit ihnen machen?«
Wie konnten sie so viele tote Gegner angemessen beisetzen? Vor allem, da viele der Leichen in kleine Stücke zerrissen worden waren…
Aber sie mussten sie aus dem Schiff schaffen, sonst würde es in wenigen Tagen unmöglich werden, sich dort aufzuhalten.
»General, wir behandeln sie so gut, wie wir es können. Die Toten sollen in einen der Frachträume gebracht werden. Die medizinische Abteilung wird zweifellos ein paar Exemplare behalten wollen. Für den Rest gilt, dass jedes Mal ein Gottesdienst abgehalten wird, wenn der Frachtraum voll ist. Danach werden die Toten auf eine Flugbahn in Richtung des Sterns geschickt, und anschließend beginnen wir, das Dock von Neuem zu füllen.«
»Ja, Sir. Es wäre nützlich, wenn uns Matrosen dabei helfen könnten. Ich weiß, es ist keine angenehme Aufgabe, und es gilt etliche Tote wegzuschaffen.«
Geary warf einen Blick auf die Anzeigen zum Flottenstatus, während er bedächtig den Kopf schüttelte. »General, jeder verfügbare Matrose arbeitet quasi rund um die Uhr bei der Reparatur des eigenen oder eines anderen Schiffs mit. Oberste Priorität ist es, die Gefechtsbereitschaft so bald wie möglich wiederherzustellen.« Welche anderen Ressourcen standen sonst noch zur Verfügung?
Die Senioroffiziere aus dem Syndik-Arbeitslager auf Dunai.
Die Syndik-Bürger, die sie vor der Enigma-Rasse gerettet hatten. Viel war das nicht, aber immerhin etwas. »Ich werde bei unseren beiden Passagiergruppen anfragen, ob es freiwillige Meldungen gibt, und ich werde bei den Hilfsschiffen nachfragen, ob es dort womöglich irgendwelche Geräte gibt, die diese Aufgabe eigenständig erledigen können.«
Carabali machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, dennoch nickte sie. »Ich verstehe. Momentan hat es niemand leicht. Aber ein paar Mann, die meinen Marines unter die Arme greifen könnten, wären schon eine große Hilfe.«
»Ich werde dafür sorgen, dass Sie die bekommen, General.«
Fast zwei Tage lang wurde das Schiff auf den Kopf gestellt. Die Marines setzten kleine Robotersonden ein, um auch die Bereiche zu erkunden, in die sie selbst nicht vordringen konnten. Dann erst wurde das Kik-Schiff von General Carabali offiziell für in Besitz genommen erklärt.
Lange vor Ablauf dieser Zeit waren Ingenieure, die eigentlich dringend benötigt wurden, um die Reparaturen auf Gearys Schiffen zu erledigen, von diesen Aufgaben abgezogen worden, um herauszufinden, wie die Kontrollen des Superschlachtschiffs funktionierten. Außerdem sollten sie dafür sorgen, dass keinerlei Gefahren mehr drohten.
Die Ingenieure der Hilfsschiffe hatten ein halbes Dutzend Dekontaminierungseinheiten zur Verfügung gestellt, mobile Geräte, die ein Schiff von allen Verseuchungen und Verunreinigungen befreien konnten. Sie saugten das Blut aus der Luft, wischten die Schotte, Decken und Böden sauber, sammelten das ein, was von den Ingenieuren als zufällige biologische Überreste bezeichnet wurde, und schafften in großen Stückzahlen die relativ unversehrt gebliebenen toten Bärkühe in den Frachtraum. Ihre Arbeit gewährte den erschöpften und schlecht gelaunten Marines eine Verschnaufpause. Offiziere des mittleren Dienstgrads der Flotte und der Marines wechselten sich im Frachtraum ab, wobei jeder von ihnen die Worte des standardmäßigen Gottesdienstes sprach, ehe die nächste Ladung toter Bärkühe ins All geschickt wurde, um ihre letzte Reise zum Stern dieses Systems anzutreten.
In der Masse der toten Bärkühe hatten die Marines sechs Überlebende entdeckt, die so schwer verletzt waren, dass sie nicht aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt werden konnten. Alle sechs wurden in medizinische Quarantäne auf die Mistral gebracht, wo die Flottenärzte sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie sie am Leben erhalten sollten.
»Und was machen wir jetzt mit dem Ding?«, fragte Desjani am dritten Tag. Sie war genauso erschöpft und müde wie alle anderen auch. »Wir nehmen es mit, richtig?«
»Ja, das müssen wir.« Geary wusste, sie kannte die Antwort auf ihre Frage so gut wie er selbst.
»Und wie?«
Die Antwort darauf fiel deutlich schwieriger aus. »Ich werde Captain Smythe fragen.« Geary rieb sich die Augen und bemerkte, dass sein Verstand sich nach so vielen Tagen mit zu wenig Schlaf anfühlte, als wäre er in Watte gepackt worden. Es kostete einfach zu viel Zeit, alle Reparaturen und sonstigen Arbeiten zu überwachen. »An alle Einheiten: Hier spricht Admiral Geary. Morgen ist Ruhetag. Alle sollen sich erholen, ausruhen, schlafen, essen und neue Kraft schöpfen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«
Desjani schaute ihn ungläubig an. »Wir können uns keinen Ruhetag leisten.«
»Ich weiß, wir können das nicht. Aber es geht nicht anders. Wir gehen alle auf dem Zahnfleisch, wir sind vor Übermüdung wie benommen. Wir brauchen Ruhe, wir müssen uns erholen. Danach können wir wieder deutlich mehr leisten.«
Auch Captain Smythe hatte etwas gegen diesen Befehl einzuwenden. »Meine Ingenieure brauchen keinen Ruhetag, Admiral. Dadurch werden sie nur aus ihrem Rhythmus gerissen. Die können noch zwei oder drei Tage weitermachen, ohne eine Pause einlegen zu müssen.«