»Wollen Sie behaupten, Ihre Ingenieure befinden sich in bester Verfassung und werden das auch noch sein, wenn sie ohne Pause zwei oder drei Tage weiterarbeiten?«, fragte Geary ungläubig.
»Auf jeden Fall. Natürlich wird es häufiger zu Halluzinationen und widersprüchlichem Verhalten kommen, aber…«
»Sie sollen sich ausruhen, Captain Smythe. Das ist ein Befehl. Ich werde mich höchstpersönlich davon überzeugen, ob man sich an meine Anweisungen hält.«
Auch wenn Geary selbst vorhatte, am Morgen auszuschlafen, konnte er es sich nicht leisten, einen ganzen Tag lang nichts zu tun.
»Ich bitte um eine persönliche Besprechung«, sagte Captain Badaya, dessen Bild in Gearys Quartier stand.
Er wirkte so zurückhaltend, wie Geary ihn wohl noch nie erlebt hatte. »Gewährt. Setzen Sie sich, Captain.«
»Vielen Dank, Admiral.« Badaya nahm in seinem eigenen Quartier Platz und beugte sich vor, bis er sich mit den Ellbogen auf den Knien abstützen konnte. »Sie kennen ja bereits meinen förmlichen Bericht zum letzten Gefecht.«
»Ja. Sie haben sich darin nicht geschont.«
»Was ich auch verdient habe.« Er lehnte sich nach hinten. »Ich hab’s vermasselt. Ich konnte nicht damit rechnen, dass die Titan einen Teil ihres Antriebs verlieren würde. Und ich konnte auch nicht wissen, dass die Incredible einen Defekt an ihren Hauptantriebseinheiten genau in dem Moment erleiden würde, als die Schilde der Illustrious zusammenbrachen. Aber als das geschah, hätte ich besser und schneller reagieren sollen. Ohne Captain Geary wäre der größte Teil der mir unterstellten Schiffe vermutlich zerstört worden, und der Rest hätte schwerste Schäden davongetragen.«
»Die Entscheidung, die Captain Jane Geary getroffen hat, hätte eigentlich gar nicht so gut funktionieren dürfen, wie es der Fall gewesen ist«, machte Geary ihm klar.
»Trotzdem war es die richtige Entscheidung«, beharrte Badaya. »Ich war mit der Frage beschäftigt, wie ich meine gesamte Formation retten sollte, obwohl ich das gar nicht konnte. Aber sie hat erkannt, dass es notwendig war, ein Opfer zu bringen. Ich weiß, es ist nicht Ihre Art, Offiziere öffentlich zu demütigen, auch wenn sie es verdient hätten — und Sie und ich kennen beide einige von denen, die es verdient hätten. Aber ich wollte Ihnen sagen, ich werde nicht dagegen protestieren, wenn ein anderer Offizier das Kommando über eine Unterformation übernimmt, zu der auch mein Schlachtkreuzer gehört. Mir ist klar, dass jeder das als eine Degradierung ansehen wird, aber mir ist auch bewusst, dass ich in einer höheren Kommandoposition gescheitert bin. Vielleicht werde ich mit der Zeit einen Weg finden, mit solchen Situationen besser umzugehen. Wenn Sie es für angemessen halten, werde ich auch nicht widersprechen, wenn Sie das Kommando über die Sechste Schlachtkreuzerdivision an Captain Parr übertragen. Er ist nicht so erfahren wie ich, aber er ist ein guter Offizier.«
Geary musterte Badaya eine Weile, ehe er antwortete: »Es hätte besser laufen können, aber es hätte auch viel schlimmer kommen können.«
»Danke, Admiral.«
»Ich musste an den befehlshabenden Offizier auf meinem ersten Schiff denken«, redete Geary weiter. »Ich war noch ein frischgebackener Offizier, gerade mal einen Monat auf dem Schiff, als mir ein schwerer Fehler unterlief. Mein Abteilungsleiter hätte mir am liebsten den Kopf abgerissen, der XO brüllte mich an, dass mir fast die Trommelfelle platzten. Das ging den ganzen Morgen so. Dann wurde ich zum Captain gerufen.«
»Das muss aber ein wirklich schlimmer Fehler gewesen sein«, meinte Badaya.
»Allerdings. So schlimm, dass ich nicht darüber reden werde, was eigentlich passiert war. Aber mein Captain rief mich zu sich. Ich Junioroffizier zitterte am ganzen Leib, zumal man mich bereits stundenlang zur Schnecke gemacht hatte. In ruhigem Tonfall sagte er zu mir: ›Aus Fehlern lernen wir.‹ Nachdem ich ihn einen Moment lang ungläubig angestarrt hatte, fügte er in einem Tonfall hinzu, der so frostig war wie gefrorener Stickstoff: ›Machen Sie diesen Fehler nie wieder.‹ Und dann schickte er mich weg.«
Badaya lachte. »Das kann ich kaum glauben.«
»Was ich damit sagen wilclass="underline" Ich habe aus diesen zwei Sätzen mehr gelernt als aus all den Beschimpfungen und Vorhaltungen, die ich den Morgen über ertragen hatte. Dieser Captain war in der Lage, mich mit zwei Sätzen zur Schnecke zu machen und mir gleichzeitig zu vermitteln, dass er weiterhin sein Vertrauen in mich setzte. Danach habe ich ihn nie wieder enttäuscht. Ich wollte immer Gewissheit haben, dass ich ihn nicht noch mal enttäusche.« Geary lehnte sich zurück und strahlte absichtlich Gelassenheit aus. »Ja, Sie haben Mist gebaut, und das wissen Sie auch. Ich werde das bei zukünftigen Entscheidungen über den Befehlshaber einer Unterformation in Erwägung ziehen, und Sie wissen, ich muss das tun. Aber ich werde auch in Erwägung ziehen, was Sie richtig gemacht haben. Es wird keine Veränderungen beim Kommando über die Sechste Schlachtkreuzerdivision geben. Ich habe keine Probleme mit Captain Parr, der sich als guter Offizier bewährt hat, wie Sie selbst ja auch sagen. Aber Sie besitzen weiterhin mein Vertrauen als Befehlshaber dieser Division.«
Es dauerte gut eine halbe Minute, bis Badaya sich in der Lage sah, darauf zu antworten, und selbst dann war seine Stimme fast mehr ein Krächzen. »Sie sind tatsächlich er, wissen Sie? Ich habe Leute reden hören, dass niemand wirklich Black Jack sein kann, aber…«
»Ich habe auch genug Fehler gemacht«, unterbrach Geary ihn und hielt inne, als ihm deutlich wurde, dass er diesen Augenblick für andere Dinge zu seinen Gunsten nutzen konnte. »Vor allen Dingen auf den Gebieten, für die ich nicht ausgebildet bin. Captain Badaya, nur weil viele der Politiker, die die Allianz führen, keine gute Arbeit geleistet haben und nach wie vor nicht leisten, heißt das noch lange nicht, dass Sie oder ich das besser machen könnten.«
Badaya schaute ihn an, seine Augen verrieten, wie sein Verstand arbeitete. Schließlich sagte er: »Das ist ein gutes Argument. Haben Sie bei einer Schlacht jemals das Gefühl, dass das alles zu viel für Sie ist, Admiral? Dass zu viele Dinge gleichzeitig geschehen und Sie nicht wissen, wie Sie sich entscheiden sollen?«
»Aber natürlich.«
»Als Sie gerade eben von den Politikern sprachen, da habe ich versucht, mir vorzustellen, wie ich in einer Krisensituation politische Entscheidungen treffe. Dabei ist mir schnell deutlich geworden, wie leicht man dabei das Gefühl bekommen kann, dass alles zu viel für einen ist.« Er ließ eine kurze Pause folgen. »Deshalb überlassen Sie ihnen immer noch in den meisten Punkten die Entscheidungen, nicht wahr?«
»Ja, richtig.« Es war eine teilweise Lüge, bei der Geary sich innerlich verkrampfte. Badaya war der Ansicht, dass Geary hinter den Kulissen der Regierung sagte, was sie zu tun und zu lassen hatte. Es war notwendig gewesen, diesen Eindruck entstehen zu lassen, weil sich nur so ein Staatsstreich in Gearys Namen, wenn auch ohne seine Zustimmung, hatte verhindern lassen. Trotzdem suchte Geary nach einem Ausweg aus diesem Täuschungsmanöver, gleich nachdem er sich darauf hatte einlassen müssen. »So schlecht sie ihre Arbeit auch erledigen mögen, jedenfalls gilt das für die meisten von ihnen, können sie das immer noch besser als ich. Es gibt einige, die sind schlichtweg verheerend, aber es sind auch einige Gute darunter. Das Wichtigste dabei ist, dass sie ihre Macht aus der Tatsache ableiten, von den Menschen der Allianz gewählt worden zu sein.«
Badaya sah Geary eindringlich an. »Die Menschen der Allianz würden Sie wählen, wenn Sie sie öffentlich fragen würden.«
»Ich weiß.« Das war jetzt die ungeschminkte Wahrheit. »Und das macht mir eine Höllenangst.«
»Das kann ich nur zu gut verstehen.« Badaya stand auf und salutierte. »Vielen Dank, Sir.«
Sein Komm meldete sich in dem Moment, in dem Badayas Bild verschwunden war.