»Ich… verstehe.« Wie mochten die Spinnenwölfe wohl riechen? Er war sich nicht mal sicher, ob er das überhaupt wissen wollte. »Haben sie sich zu dem Schiff geäußert, das von uns erobert wurde?«
»Das Schiff?« Beiden schien das Thema unbehaglich zu sein. »Darüber haben wir nicht viel geredet…«, sagte Dr. Setin.
»Wieso nicht? Sind die Spinnenwölfe darüber verärgert?«
»Nein, es ist…« Dr. Setin senkte den Blick. »Der Angriff. Wir sahen die… die Folgen. So viele, so schrecklich viele…«
Geary begriff, um was es hier ging. »Die Bärkühe, die wir töten mussten. Ich weiß, das ist nicht so leicht zu verarbeiten. Das haben wir nicht aus freien Stücken gemacht. Sie haben uns gejagt, sie sind uns hierher gefolgt und haben uns angegriffen. Und sie haben sich geweigert zu kapitulieren.«
»Aber wenn man auf eine völlig fremde Spezies trifft und sie einfach so…«
»Haben Sie sich auch so viele Gedanken über die Männer und Frauen gemacht, die gestorben sind, weil die Bärkühe nicht mal mit uns reden wollten?« Das war ihm schroffer als beabsichtigt über die Lippen gekommen. »Tut mir leid. Aber so traurig das auch ist, die Bärkühe haben weniger Mitgefühl mit ihresgleichen gezeigt als wir. Das ist ein Unterschied zwischen unseren Spezies, der mir keine andere Wahl ließ. Wenn Sie glauben, dass ich darüber erfreut bin, dann täuschen Sie sich.«
»Das wissen wir, Admiral«, beteuerte Dr. Shwartz. »Wir bedauern, dass es so kommen musste. Und das ist keine Kritik an Ihrem Handeln.«
Dr. Setin machte nicht den Eindruck, dass er diese Meinung hundertprozentig teilte, aber zumindest war er klug genug, den Mund zu halten.
»Was ist mit den sechs lebenden Bärkühen, Admiral?«, erkundigte sich Dr. Shwartz. »Wir bekommen immer zur Antwort, dass es sich um eine Verschlusssache handelt.«
»Soweit wir das beurteilen können, erholen sie sich zwar, aber sie liegen nach wie vor im Koma«, sagte Geary. »Sie sind völlig isoliert von jeglichem menschlichen Kontakt, um zu verhindern, dass sie beim Erwachen in Panik geraten. Mehr weiß ich dazu momentan auch nicht.«
Nachdem das Gespräch beendet war, saß Geary eine Weile da und starrte auf das Sternendisplay. Er überlegte, dass er vielleicht versuchen sollte, sich eine Weile auszuruhen. Oder irgendetwas einfach nur zu tun, um seinen Spaß zu haben. Er könnte ein Buch le—
Der Summer seines Komms ertönte.
Flottenarzt Dr. Nasr sah aus, als hätte er seit Tagen kein Auge mehr zugekriegt. Vermutlich war das auch der Fall, obwohl Geary allen befohlen hatte, einen Ruhetag einzulegen. Aber Ärzte waren schon immer der Meinung gewesen, über der militärischen Disziplin zu stehen, die allen außer ihnen sagte, was zu tun und zu lassen war. Sie machten auch keinen Hehl daraus, dass sie ihren hippokratischen Eid für wichtiger hielten als die Regeln und Gesetze, denen sich andere Offiziere unterordnen mussten. »Sie hatten mir eine Nachricht hinterlassen, Admiral?«
Tatsächlich? Wann war denn das gewesen? Dann erinnerte er sich doch wieder. Die Nachricht war im Zwischenspeicher des Komm-Systems der Dauntless gelandet und hatte übermittelt werden sollen, als die Flotte vor Tagen den Sprungraum verlassen hatte. Weder er noch der Arzt hatten bislang Zeit gefunden, sich um diese Nachricht zu kümmern. »Es geht um einen Offizier der Flotte, Commander Benan.«
»Benan?« Nasrs Blick verriet, dass er sein Gedächtnis durchforstete. »Wurde er bei der Schlacht verwundet?«
»Nein. Es geht um die Gründe für seine Schwierigkeiten, sich daran zu gewöhnen, dass er aus dem Gefangenenlager bei Dunai befreit worden ist.«
Nasr seufzte. »Admiral, ich bewundere es wirklich, wie besorgt Sie um jeden Ihrer Offiziere sind, aber im Moment haben wir alle Hände voll zu tun, um die Verwundeten zu versorgen.«
»Doctor«, sagte Geary in einem unbewussten Tonfall, der den Arzt argwöhnisch dreinschauen ließ, »was wissen Sie über mentale Blockaden?«
Der Mann starrte Geary sekundenlang schweigend an. »Nicht viel.«
»Wissen Sie, ob sich die Art der Blockaden in den letzten hundert Jahren maßgeblich verändert hat?«
Wieder schickte der Arzt eine lange Pause voraus, ehe er eine zunehmend finstere Miene aufsetzte und schließlich den Kopf schüttelte. »Nicht in einer Weise, die etwas ausmachen würde.«
»Aber sie werden heutzutage eingesetzt«, sagte Geary und machte daraus eine Feststellung.
»Sie wissen davon, Admiral?«
»Ich weiß davon. Bis vor Kurzem war mir davon allerdings noch nichts bekannt.«
Der Arzt schloss für einen Moment die Augen, dann schaute er wieder Geary an. »Offiziell werden keine Blockaden eingesetzt, nicht einmal für die höchsten Geheimhaltungsstufen. Ich könnte darüber mit niemandem sonst reden, aber Sie sind der Flottenbefehlshaber. Ich habe keine Blockade. Lieber hätte ich den Dienst quittiert, anstatt mich darauf einzulassen. Aber ich habe einen Eid abgelegt, dass ich die Sicherheitsprotokolle beachte.«
»Commander Benan konnte auch nur mit mir darüber reden, weil ich der Flottenbefehlshaber bin.«
»Commander Benan? Warum sollte ein Offizier wie er mit Ihnen… er hat eine Blockade?«
»Ja.« Geary überlegte, was er weiter dazu sagen konnte und durfte. »Durch einen puren Zufall habe ich all die Voraussetzungen erfüllt, unter denen er mit mir darüber reden konnte.«
»Mir konnte er es nicht sagen.« Der Arzt schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, Wut prägte seine Gesichtszüge. »Verdammt! Wissen Sie eigentlich, Admiral, dass Sie bereits gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen, wenn Sie mit mir über einen speziellen Fall einer mentalen Blockade reden?«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Sicherheitsvorschriften Sie daran hindern zu erfahren, was mit einem Patienten nicht stimmt? Einem Patienten, der ein Offizier dieser Flotte ist?«
»Nicht einmal das darf ich Ihnen sagen!« Geary hatte sich daran gewöhnt, dass Dr. Nasr sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, doch jetzt machte er keinen Hehl aus seiner Verärgerung. »In dieser Flotte könnte es ein oder zwei Ärzte geben, die sich mit der Anwendung von Blockaden auskennen, aber ich weiß nicht, wer diese Leute sind.«
»Die Vorfahren mögen uns beistehen«, seufzte Geary. »Bedeutet das wenigstens, dass Blockaden äußerst selten eingesetzt werden?«
»Soweit ich weiß.« Der Arzt antwortete voller Ironie, während er eine Anfrage in seine Konsole eintippte. »Auf jeden Fall erklärt das die Probleme, die wir bei Commander Benan erleben. Persönlichkeitsveränderungen, Wutausbrüche, gelegentliche Verwirrung.«
»Er hatte eine tadellose Personalakte, als er von den Syndiks gefangen genommen wurde«, betonte Geary.
»Tatsächlich?« Nasr öffnete eine Akte und überflog sie. »Verstehe… ja… Er meldete sich auf seinem neuen Schiff, und drei Monate später geriet er in Gefangenschaft. Davor zwei Wochen Urlaub, dazu gut drei Wochen im Transit, ehe er sein Schiff erreicht hatte. Insgesamt etwas mehr als vier Monate.« Er hielt inne und legte die Stirn in Falten. »Ja, genau. Sechs Monate. Das ist die übliche Zeit, ehe erste Symptome der Blockade auftreten. Commander Benan wurde gefangen genommen, ehe sich die Symptome zeigen konnten.«
Wäre er nicht in Gefangenschaft geraten, hätte sich sein Verhalten an Bord des Schiffs zusehends verschlechtert, und er hätte gegen die Disziplin und die allgemeine Ordnung verstoßen, und das alles ohne erkennbaren Grund, bis man ihn schließlich aus dem Flottendienst entlassen hätte.
»Ich habe da etwas in Erinnerung, was Selbstmorde angeht«, sagte Geary zögerlich. »Als ich vor hundert Jahren das Training für den Fall von Gefangennahme und Verhör durchlief, da erfuhren wir nicht viel über Blockaden, aber es war die Rede von Selbstmorden, als davon gesprochen wurde, warum Blockaden nicht eingesetzt wurden.«