Ihm wurde bewusst, dass er sie nach den Unterhaltungen mit den Wissenschaftlern und dem Arzt wieder als Bärkühe sah, nicht als Kiks. Doch es war egal, welchen Namen er benutzte, die Probleme blieben die Gleichen. Und das Gespräch mit Dr. Nasr über Commander Benan war auch alles andere als erfreulich verlaufen.
Zweifellos hatten sich ein paar wichtige Leute eingeredet, dass in bestimmten Fällen der Einsatz von mentalen Blockaden gerechtfertigt war und dass es sich um eine humane Methode handelte, um Wissen zu handhaben, das zu gefährlich war, um es in die falschen Hände geraten zu lassen. Aber zumindest eine Person, die von Benans Beteiligung an Brass Prince wusste, hatte keine Blockade erhalten und war dadurch in die Lage versetzt worden, Rione mit diesem Wissen zu erpressen. Alles deutete darauf hin, dass es ein sehr hochrangiges Individuum in den Reihen der Flotte oder der Regierung sein musste.
Es war längst an der Zeit, Licht in ein sehr unerfreuliches Dunkel zu bringen. Er konnte sich an Lieutenant Iger wenden, um sich über die angemessenen Sicherheitsvorkehrungen zu informieren, aber der würde ihm zweifellos erklären, dass die darin bestanden, niemandem gegenüber auch nur ein Wort über diese Angelegenheit zu verlieren. Vorausgesetzt, der Geheimdienstoffizier war in dieser Angelegenheit überhaupt auf dem Laufenden. Nein, das würde er gar nicht erst versuchen. »Stell keine Fragen, wenn du nicht die Antworten hören willst«, hatte ein Chief ihm mal gesagt, als er noch ein Ensign gewesen war. Es kam ihm vor, als wären hundert Jahre vergangen, seit er diese Unterhaltung geführt hatte — aber dann machte er sich bewusst, dass sie wirklich hundert Jahre her war. Doch auch eine derartige Zeitspanne reichte nicht, um diesen besonders weisen Ratschlag zu vergessen.
Wenn ich ins Allianz-Gebiet zurückkehre, wird es Veränderungen geben, und Leuten wie Commander Benan wird geholfen werden. Ich werde jeden dazu anhalten, der notwendig ist, um das geschehen zu lassen. Sicherheitsbedenken sind kein Freibrief für Leute in hohen Positionen, um Taktiken zu verheimlichen, zu deren Anwendung sie sich öffentlich niemals bekennen würden.
Am nächsten Morgen legte er einen Zwischenstopp auf der Brücke der Dauntless ein, um den aktuellen Status zu überprüfen. Dabei gab er sich alle Mühe, ausgeruht und gelassen zu erscheinen. Er hätte diese Überprüfung auch von seinem Quartier aus vornehmen können, doch eine Führungspersönlichkeit musste sich immer wieder unters Volk mischen, um zu zeigen, dass sie mit Leib und Seele bei der Sache war.
»Ich hoffe, wir bekommen heute zu hören, dass wir grünes Licht kriegen, um quer durch das von den Spinnenwölfen kontrollierte Gebiet heimkehren zu können«, sagte er zu Tanya.
»Gut«, erwiderte sie. »Aber bevor Sie sich mit ihnen auf irgendwelche Vereinbarungen einlassen, muss Lieutenant Yuon Ihnen noch was sagen.« Desjani deutete auf ihren Gefechtswachhabenden.
Lieutenant Yuon zwinkerte ein paar Mal, straffte ein wenig die Schultern und machte dann eine Geste hin zu seinem Display. »Admiral, Captain Desjani hatte uns angewiesen, die Sprungpunkte in diesem System sehr genau unter die Lupe zu nehmen. An dem Sprungpunkt, durch den wir ins System gekommen sind, gab es nichts festzustellen, was uns nicht bereits bekannt gewesen wäre. Allerdings sind wir an jedem der anderen Sprungpunkte auf etwas gestoßen.«
Auf Gearys Display leuchteten neue, intensiv rote Symbole auf, die auf eine bekannte Gefahr hinwiesen. »Minen?«
»Eine Mine, Admiral. Nur eine einzelne Mine. An jedem Sprungpunkt, versehen mit einer wirklich beeindruckenden Tarntechnologie. Eine richtig große Mine.«
Das ergab doch keinen Sinn. Eine einzige, große Mine? Geary warf Desjani einen verständnislosen Blick zu.
Wieder gab sie Yuon ein Zeichen. »Erstatten Sie Bericht, Lieutenant.«
»Jawohl, Captain. Ich habe die Sensoren angewiesen, alle verfügbaren Daten zu den Minen zu liefern, aber da war nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Also habe ich sie das Gebiet rund um die Minen nach Auffälligkeiten scannen lassen, und schließlich sind sie fündig geworden und haben mir eine Raum-Zeit-Verzerrung angezeigt.«
»Eine Raum-Zeit-Verzerrung? Rund um eine Mine? Wie soll das…? Moment mal, eine Raum-Zeit-Verzerrung. Kommt es zu so etwas nicht in der Nähe von Hypernet-Portalen?«
»Sie haben es erkannt«, erwiderte Desjani und deutete Applaus an. »Oder besser gesagt: Lieutenant Yuon hat es erkannt.«
»Diese Minen sind die Hypernet-Portale in Waffenform, Admiral«, redete Yuon eifrig weiter. »Keine Transportfähigkeit, lediglich ein Mittel, um einen verheerenden Energieausstoß zu erzeugen.«
»Was sagen die Waffeningenieure dazu?«
»Wir haben Captain Smythe gefragt«, sagte Desjani. »Seine Leute haben es zunächst für unmöglich gehalten, so etwas in einem Objekt von der Größe einer Mine unterbringen zu können, selbst wenn sie so extrem groß ist. Dann aber mussten sie eingestehen, dass wirklich gute Ingenieure wohl dazu in der Lage sein könnten.«
»Wirklich gute Ingenieure«, wiederholte Geary. »Wie beispielsweise die Spinnenwölfe.«
»Und das«, fuhr sie fort, »ist der Grund, weshalb die Bärkühe nicht einfach in dieses Sternensystem und weiter zum nächsten gesprungen sind. Wenn jemand versucht, einen dieser Sprungpunkte ohne die Erlaubnis der Spinnenwölfe zu benutzen, erwartet ihn ein Feuerwerk. Ich dachte mir, das sollten Sie wissen.«
»Danke. Und Ihnen auch, Lieutenant Yuon. Das war eine beeindruckende Recherche und Analyse.«
Yuon strahlte vor Freude. Lieutenant Castries hob eine Faust, um ihm zu gratulieren.
»Wenn Sie mit diesen Typen verhandeln«, sagte Desjani zu Geary, »dann denken Sie immer daran, dass sie vermutlich immer noch ein Ass mehr im Ärmel haben — ganz zu schweigen davon, dass sie auch noch mehr Ärmel haben als wir. Woher wissen wir, was sie in Wahrheit denken?«
»Die zivilen Experten sind der Meinung, dass die Spinnenwölfe in Mustern denken. Uns fällt dabei wohl eine Rolle zu, die dieses Muster stabil hält.«
Desjani zog skeptisch die Brauen hoch. »Ein stabiles Muster? Im Sinne von… ähm… einfach allem?«
»Ja, im Sinne von allem. Dem Leben, dem Universum.«
»Wie können sie glauben, dass da irgendwas stabil ist? Es gibt nichts Stabiles, was das Leben, das Universum und den ganzen Rest angeht. Alles verändert sich ständig, alles ist im Fluss. Die können nicht glauben, dass irgendein Muster existiert, das sich nie verändert, solange es nur gut genug verankert ist.«
»Nein«, gab Geary zurück. »Sie sprachen davon, dass sich das Muster verändert und trotzdem gleich bleibt. Es kann sich also verändern, trotzdem ist dieses Muster für sie die Realität.«
»Hm«, machte sie unüberhörbar skeptisch. »Ich will ja nicht sagen, dass sie wie die Bärkühe oder wie die Enigmas sind, aber es handelt sich trotzdem um Aliens.«
»Das müssen Sie mir nicht erzählen.«
Bevor sie darauf etwas erwidern konnte, meldete sich Rione bei Geary, Charban war im Hintergrund zu sehen. »Die Spinnenwölfe sind einverstanden, dass wir ihr Territorium durchfliegen«, verkündete sie und klang ein wenig außer Atem.
»Den lebenden Sternen sei Dank. Wie schnell…«
»Das ist noch nicht alles.« Rione verzog den Mund zu einem triumphierenden Lächeln. »Sie verfügen über ein Hypernet. Sie werden einige ihrer Schiffe zur Verfügung stellen, die uns durch dieses Hypernet in ein System begleiten, das nahe an von Menschen besiedeltes Gebiet heranreicht.«
Geary konnte kaum glauben, dass sie so viel Glück haben sollten. »Das ist ja großartig. Wann…«
»Das ist noch immer nicht alles«, unterbrach Rione ihn erneut. »Sie stellen zwei Bedingungen. Die erste lautet, dass eines ihrer Schiffe mit einer diplomatischen Delegation an Bord uns nach Hause begleitet.«